Präsidentschaftswahl in der Ukraine: Poroschenko laut Prognose Sieger
Nachwahlbefragungen sehen Petro Poroschenko bei über 55 Prozent der Stimmen. Bürgermeister von Kiew könnte offenbar Vitali Klitschko werden.
KIEW ap | Der Milliardär Pjotr Poroschenko hat die Präsidentenwahl in der Ukraine Prognosen zufolge bereits in der ersten Wahlrunde gewonnen. Er kam demnach auf 55,9 Prozent der Stimmen, abgeschlagene Zweite wurde die umstrittene frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko mit 12,9 Prozent. Offizielle Ergebnisse wurden für Montag erwartet.
Die Wahl am Sonntag fand trotz der seit Wochen andauernden Kämpfe in der Ostukraine statt, wo prorussische Separatisten Verwaltungsgebäude besetzt hielten und auch die Abstimmung blockierten. Dennoch hofft die Regierung in Kiew darauf, dass die Wahl zur Lösung der Krise in der Ukraine beitragen kann.
Für die Prognose befragten drei renommierte ukrainische Umfraginstitute 17.000 Wähler in 400 Wahlkreisen. Die Fehlerquote lag demnach bei zwei Prozentpunkten. Damit wäre der 48-jährige Poroschenko auf jeden Fall über der 50-Prozent-Marke, die für einen Sieg im ersten Wahlgang nötig wäre.
Am Abend gratulierte Poroschenko dem früheren Boxprofi Vitali Klitschko zum Sieg bei der Bürgermeisterwahl in Kiew. Poroschenko bezog sich dabei auf eigene Informationen seines Wahlkampfstabs. „Unseren internen Daten nach ist Vitali Klitschko zum Bürgermeister von Kiew gewählt worden“, sagte Poroschenko am Sonntag.
Er trat gemeinsam mit dem Sportstar, der für ihn auf eine Präsidentschaftskandidatur verzichtet hatte, in der ukrainischen Hauptstadt vor die Presse. Der Auftritt wurde live im Fernsehen übertragen. Offizielle Daten oder Prognosen auf Grundlage von Wahlnachbefragungen lagen zunächst nicht vor.
Hoffnung auf Frieden
„Ich bin überzeugt, dass diese Wahl der Ukraine endlich Frieden bringen, die Gesetzlosigkeit stoppen, das Chaos stoppen und den Banditenterror im Osten stoppen muss“, sagte Poroschenko nach seiner Stimmabgabe in Kiew. „Menschen mit Waffen müssen von ukrainischen Straßen, ukrainischen Dörfern und Städten entfernt werden.“
Poroschenko gilt als pragmatisch und kompromissbereit. So unterstützt er beispielsweise engere Bande mit der EU, aber betont zugleich, dass er es auch für wichtig halte, gute Beziehungen zu Russland aufzubauen.
Unklar war aber, wie viele der 5,1 Millionen Wähler in den Regionen Donezk und Lugansk im Osten überhaupt die Möglichkeit hatten, zu wählen. Schwer bewaffnete Milizen schüchterten dort Wähler ein, zerstörten Wahlurnen und blockierten einige der trotz des Aufstands geöffneten Wahllokale. In der Hauptstadt Kiew hingegen bildeten sich lange Schlangen.
Nach Angaben der Regionalverwaltung in Donezk waren am Sonntag nur 426 von 2430 Wahllokalen in der Region geöffnet, in der eine Million Einwohner zählenden Stadt Donezk gar keines. Auch in der Stadt Lugansk wurde nach örtlichen Behördenangaben nicht gewählt, in der gleichnamigen Region waren aber einige Lokale offen. Die Polizei konnte im Osten nur in neun von 34 Wahlkreisen für Sicherheit sorgen.
Im Zentrum von Donezk fuhr eine Gruppe von Aufständischen von Wahllokal zu Wahllokal, um sicherzugehen, dass auch alle geschlossen waren. In einem zog der 36-jährige Wjatscheslaw Kutscher an der Tür und zeigte seinen Kameraden einen erhobenen Daumen, als er sie verschlossen vorfand. „Ich prüfe, dass alles normal ist und es keinen Unsinn gibt, damit diese Junta nicht an die Macht kommt“, sagte er der Nachrichtenagentur AP.
Zwischenfälle in der Region Donezk
Im Dorf Artemiwka in der Region Donezk stürmten Bewaffnete nach Angaben des Innenministeriums ein Gebäude, in dem ein Wahllokal eingerichtet war und steckten es in Brand. Vor dem Gebäude der Regionalverwaltung in Donezk fuhren vermummte Männer mit konfiszierten Wahlurnen vor, die sie anschließend vor der Kameralinse eines Journalisten zerstörten. Ein Wahllokal in Donezk musste kurz nach seiner Öffnung wieder schließen, als Bewaffnete die Wahlhelfer aus dem Gebäude vertrieben.
Der Einsatz des ukrainischen Militärs gegen die Separatisten wurde für den Wahltag zurückgefahren, in der Stadt Nowoaidar in Lugansk war am Nachmittag aber heftiges Gewehrfeuer zu hören.
Nahe der Stadt Slawjansk wurde am Samstag ein italienischer Fotojournalist getötet, wie das Außenministerium in Rom mitteilte. Aufständische sagten, der 30-Jährige sei durch Mörserbeschuss der Regierungskräfte ums Leben gekommen. Auch sein russischer Dolmetscher sei getötet worden.
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