Präsidentschaftswahl in Frankreich: Buhlen um die Jägerlobby
Die etwa eine Million Jäger sind in Frankreich wichtige Wählerstimmen. Die Forderung nach einem Jagdverbot sorgt für hitzige Diskussionen.
Denn mehr als eine Millionen Bürger haben in Frankreich einen Jagdschein. Bei den kommenden Präsidentschaftswahlen am 10. April 2022 wollen sie mitreden und ihre Rechte verteidigen. Die Jagd bleibt für sie ein Symbol der Identität, eine unantastbare Tradition in einem ländlichen Raum, der von Verstädterung und Globalisierung bedroht wird. Ganz anders sehen dies Frankreichs Tierschützer und nun auch die Grünen, die mit der Forderung eines Jagdverbots an Wochenenden mit wachsendem Echo Wahlkampf machen. Die bislang so mächtige Jägerlobby gerät in die Defensive.
Anlass für die Forderung der Grünen war eine Petition, die von den Freunden und Nachbarn von Keane initiiert wurde. Sie wollten sich weder mit den Entschuldigungen des örtlichen Jägerverbands noch mit der Aussicht auf eine Gerichtsverhandlung dieses Jahr begnügen. In der Petition werden strengere Kontrollen und ein Jagdverbot am schulfreien Mittwoch und am Sonntag verlangt. Eine Kommission des französischen Senats befasst sich nun ebenfalls mit diesem Anliegen. Mittlerweile haben die Petition mehr als 120.000 Leuten unterzeichnet.
Die Jäger haben in Frankreich eine starke Lobby: Noch bei den Präsidentschaftswahlen von 2002 erhielt der Kandidat der Partei Chasse, Pêche, Nature et Traditions (CPNT), Jean Saint-Josse, immerhin 4,23 Prozent (1,2 Millionen Stimmen). Dieses Jahr stellen die Jäger keinen eigenen Bewerber auf, doch die meisten Parteien möchten die Jägerlobby trotzdem nicht verärgern. Auch nicht der amtierende Staatspräsident Emmanuel Macron: Er pflegt seit 2017 Kontakte zu den Verbandsverantwortlichen. Als Zeichen seiner Sympathie hat er die Gebühren für den Jagdschein halbiert, angeblich, um den nötigen Nachwuchs zu fördern.
Diese mehrheitlich konservativ eingestellte Wählerschaft, die längst nicht nur in ländlichen Bezirken lebt, wird von rechts und links umworben. Für sie ist die Jagd mehr als eine Freizeitbeschäftigung, sie wird als historische Errungenschaft aus der Zeit der Französischen Revolution von 1789 betrachtet, als das Jagdprivileg der Aristokraten abgeschafft wurde. Darum interpretieren sie die Verteidigung der Jagd als Kampf für ihre Rechte und ihre Identität.
400 Menschen bei Jagdunfällen gestorben
Doch in Frankreich werden immer mehr kritische Stimmen laut, die ein Verbot der Hetzjagd mit Hunden zu Pferd sowie vor allem neue Regeln zum Schutz der Bevölkerung verlangen. Die Gegner der Jagd machen die häufigen und oft dramatischen Unfälle zum Ausgangspunkt einer demokratischen Debatte im umgekehrten Sinne: Die Rechte und Freiheiten, die bisher den Jägern im Namen der Tradition und der Regulierung der Wildtierarten eingeräumt wurden, bedrohen im Gegenteil die Freiheit und Sicherheit der anderen Mitbürger*innen. Wenn nämlich die Jäger auf der Pirsch sind, wird es in den Wäldern und auf Naturpfaden für Wanderer und Freizeitsportler oder selbst Anwohner gelegentlich lebensgefährlich.
Wie die Petition für das Jagdverbot geltend macht, ist Keane bei Weitem kein Einzelfall. In den letzten 20 Jahren sind gemäß ihrer Statistik mehr als 400 Menschen bei solchen „Unglücksfällen“ gestorben, und jedes Jahr werden der Gendarmerie mehr als 150 nennenswerte Zwischenfälle gemeldet. Allein in der laufenden Jagdsaison sind laut der behördlichen Zählung des staatlichen Office français de la Biodiversité bereits sieben Menschen ums Leben gekommen.
In der überwiegenden Mehrheit sind die Opfer selbst Jäger oder andere Jagdteilnehmer, die trotz verschärfter Vorsichtsmaßnahmen mit einem Wild verwechselt oder von einem verfehlten oder versehentlich abgegebenen Schuss getroffen wurden. Immer wieder sind die Opfer aber auch völlig Unbeteiligte. Am 28. Oktober wurde etwa in dem französischen Département Haute-Savoie ein Spaziergänger von einem Schuss am Gesicht schwer verletzt.
Die Idee eines Jagdverbots schockiert die Jäger, die darin einen Angriff der städtischen Öko-Bourgeoisie auf ihre Freiheit sehen. Sie protestieren: „Denkt jemand ernsthaft daran, am Wochenende das Autofahren zu verbieten, bloß weil es auf der Straße Unfälle gibt?“, fragt etwa ein von dem Magazin L’Obs zitierter Jäger. Der nationale Jägerverband FNC (Fédération Nationale des Chasseurs) argumentiert, dass die Zahl der gravierenden Unfälle von Jahr zu Jahr abnehme.
Tatsache ist aber, dass sich Leute, die neben den Jagdrevieren wohnen, mehr denn je über Jäger beschweren, die ohne Zustimmung ihre Grundstücke betreten, wozu sie allerdings außer durch explizites Verbot gesetzlich berechtigt sind, oder sogar dort in der Gegend herumschießen.
Der Kandidat der grünen Europe Écologie-Les Verts, Yannick Jadot, hat sich als Erster die Forderung eines jagdfreien Sonntags zu eigen gemacht. Auch die Rechtsextreme Marine Le Pen vom Rassemblement National gefällt sich in der Rolle einer Katzenhalterin, die sich lieber wie Brigitte Bardot für die Sache der Tiere als für die Hetzjagd auf Füchse engagiert. Andere Kandidaten zögern noch, oder sie posieren ungeniert mit dem derzeitigen Vorsitzenden des Jägerverbands, Willy Schraen, der seinerseits alles unternimmt, um in der Kampagne seinen Einfluss dort zu verteidigen, wo man ihm Gehör schenkt.
Fast philosophisch meint der Vorsitzende aus Nordfrankreich: „Unser Problem ist es, dass wir überall Feinde haben, aber unsere Chance ist es, überall auch Freunde zu haben.“ Auf welche Seite das Pendel der Gunst im April 2022 schwenkt, weiß auch er noch nicht. Unbedingt vermeiden möchte er indes, dass seine Jäger bei den Wahlen zu Gejagten werden.
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