Potsdam wählt den Oberbürgermeister: Opfer des eigenen Erfolgs
Am Sonntag wird in Potsdam der Oberbürgermeister gewählt. Dabei wird sich einmal mehr zeigen, dass es "das Potsdam" nicht gibt: Je erfolgreicher Brandenburgs Landeshauptstadt ist, desto größer die Unzufriedenheit.
Gäbe es ein statistisches Glück, Potsdam läge ganz oben. Nie war die Zahl der Zuzüge höher als vergangenes Jahr. 10.101 Neupotsdamer zog es in die brandenburgische Landeshauptstadt, das macht einen Wanderungsgewinn von 1.139.
Und dann sind da noch die Kinder. Nicht Jaqueline oder Kevin führen die Statistik der beliebtesten Namen an, sondern Lilly, Anna, Emma, Lena, Paul und Elias. In jeder normalen Stadt wäre unter diesen Umständen und mit dieser Bilanz die Oberbürgermeisterwahl eine klare Sache. Nur ist Potsdam alles andere, bloß keine normale Stadt.
Mit Jann Jakobs (SPD) stellt sich ein Politiker zur Wiederwahl, der bereits seit 2002 Oberbürgermeister in Potsdam ist. Der gebürtige Ostfriese hatte sich damals nur knapp gegen seinen PDS-Konkurrenten Hans-Jürgen Scharfenberg durchsetzen können.
Auch am 19. September tritt Scharfenberg wieder an für die Linke. Seine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit hat er 1995 offengelegt. Wie die SPD fordert auch die Linke die Öffnung des Uferwegs am Griebnitzsee.
Kandidatin der CDU ist Barbara Richstein. Die ehemalige Jusitzministerin gehört zum Flügel des umstrittenen Sven Petke.
Für die Grünen tritt Marie Luise von Halem an. Zusammen mit Axel Vogel schaffte sie als Spitzenkandidatin ihrer Partei bei den Wahlen 2009 den Einzug ins Landesparlament. Weitere Kandidaten sind Benjamin Bauer (Die Andere), Marcel Yon (FDP) und Marek Thutewohl (Piraten). Wahrscheinlich wird erst eine Stichwahl am 3. Oktober ein Ergebnis bringen. (taz)
Es ist Mittwoch Nachmittag, am Nauener Tor drängen sich die Touristen. Die einen sind auf dem Weg nach Sanssouci, die andern auf dem Rückweg zum Hauptbahnhof. Potsdam gleich Sanssouci, daran hat sich nichts geändert, obwohl die 155.000 Einwohner zählende Stadt längst mehr zu bieten hat: junge Kultur an der Schiffbauergasse, Szenefeeling in Babelsberg, Frauenfußball bei Turbine.
"Dass das Image so hartnäckig ist", sagt Sigrid Grabner, "hat viel mit dem Potsdam-Mythos zu tun." Den hat 1664 Johann Moritz von Nassau-Siegen begründet, der seinem Freund, dem Großen Kurfürsten, riet: "Das ganze Eyland muss ein Paradies werden." So staunen die Touristen bis heute übers Neue Palais, das Babelsberger Schloss, das Marmorpalais und den Pfingstberg, und die Potsdamer staunen, dass die Welt ihre Stadt so schön findet.
Sigrid Grabner sitzt im Café Haider und lächelt ein weises Lächeln. "Im Grunde war die ganze Geschichte mit Sanssouci und dem preußischen Hof 1918 vorbei", sagt die 68-jährige Schriftstellerin. "Das Ende der Monarchie war für Potsdam eine Katastrophe. Bisher hatte die Stadt von und mit den Königen gelebt. Nun stürzte es tief."
Das Ende des Ersten Weltkriegs war die erste Zäsur in der Erfolgsgeschichte der Havelstadt, die bald im Schatten Berlins und seiner goldenen Zwanziger stand. Die nächste Zäsur kam 1945. Über die Entwicklung Potsdams zur DDR-Bezirkshauptstadt, zum Truppenstandort der Roten Armee, zur Kaderschmiede der SED, hat Grabner ein Buch geschrieben. Es hat den Titel "Zwischen Anpassung und Aufbegehren".
Von dieser zweiten Zäsur ist in der Virchowstraße nichts mehr zu spüren. In der Villa von Winston Churchill, der mit Harry Truman und Josef Stalin das Dreigestirn bildete, das auf der Potsdamer Konferenz über das Schicksal Nachkriegseuropas entschied, residiert nun Hasso Plattner. Der milliardenschwere Gründer des Softwareunternehmens SAP hat der Stadt vor einigen Jahren 20 Millionen Euro geschenkt. Potsdam kann also sein Stadtschloss wiederaufbauen und dort den Landtag unterbringen. Stadtbildpflege durch Schwerreiche - im Potsdam nach der Wende ist das nichts Ungewöhnliches. Das wiedererrichtete Fortunaportal des Schlosses hat TV-Moderator Günther Jauch seiner Stadt spendiert.
"Auch Stalins Villa ist inzwischen Privatbesitz", sagt Walter Raffauf und zeigt auf das Gebäude aus den 1910er Jahren, das von Alfred Grenander erbaut wurde. "Immerhin, der Balkon, von dem die Großen Drei am Ende der Potsdamer Konferenz den Fotografen winkten, ist zugänglich." Eigentümer der Stalinvilla ist der Bauindustrieverband. Ein bisschen zugänglich, das ist am Griebnitzsee schon eine Erfolgsmeldung.
Walter Raffauf, Neurologe mit Praxis in Berlin-Mitte, lebt mit seiner Familie seit einigen Jahren in der Virchowstraße - und ist der Sprecher der Bürgerinitiative Freies Ufer. "Wir sind nach Potsdam gezogen, weil es dort ein bisschen ist wie am Mariannenplatz in den Siebzigern, nur grüner", lacht er. Womit er nicht gerechnet hat: "Es gibt in Potsdam eine Klasse von Leuten, die meinen, mit ihrem Geld alles kaufen zu können - egal, was das demokratische Gemeinwesen beschlossen hat." Die Sperrung des Uferwegs am Griebnitzsee durch einige Anlieger sei erst der Anfang. "Diese Mentalität wird um sich greifen."
Potsdam und seine Reichen, das ist ein Thema für sich. Da gibt es die Plattners und Jauchs, die sich für ihre Stadt engagieren. "Und dann", sagt Christiane Raffauf, "gibt es welche, die wollen nur ihre Ruhe haben. Die könnten genauso gut eine Villa in Spanien haben. Mit den Nachbarn gibt es keinerlei Kontakte."
"Die Welt als Villa": Mit dieser Überschrift hat eine Berliner Zeitung dieses Potsdamer Bedürfnis nach Abstand einmal beschrieben. Nicht nur am Griebnitzsee findet man diese Welt, sondern auch in Groß Glienicke, wo einige Besitzer von Seegrundstücken ebenfalls den Uferweg gesperrt haben. In der Berliner Vorstadt fordern Villenbesitzer bereits ein Badeverbot für den Heiligen See. Und hinter der Glienicker Brücke verspricht eine Gated Community maximale Distanz zum Rest der Potsdamer Welt. Weil der Uferweg dort nicht zu verhindern war, hat der Investor das Gelände anheben lassen und mit einem Zaun versehen. So muss der Geldadel, der seine Drittwohnung in Potsdam nimmt, sein Auge nicht von Fahrradfahrern und Spaziergängern beleidigen lassen.
Die Welt als Villa, das ist das eine Potsdam. Die Welt als Plattenbau das andere. Knapp 40 Prozent aller Wohnungen in Potsdam finden sich in den Stadtteilen Zentrum-Ost, Am Stern, Schlaatz und Drewitz. Hier wohnen die Funktionäre aus DDR-Zeiten ebenso wie die zunehmende Zahl der Hartz IV-Empfänger. Bundesweit Schlagzeilen machte die "Potsdamer Spaltung", als der Spiegel 1996 beim Leipziger Institut für Marktforschung eine Studie in Auftrag gab, aus der Potsdam als "Jammerhauptstadt des Ostens" hervorging. Im Vergleich mit allen anderen Ost-Städten ging es den Potsdamern zwar überdurchschnittlich gut, doch sie waren auch überdurchschnittlich unzufrieden. Als das Rathaus der Landeshauptstadt 1998 an die PDS zu fallen drohte, schickte der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe seinen Umweltminister an die Wahlfront. Matthias Platzeck rettete Potsdam für die SPD. Die beiden Potsdams, das der Villen, und das der Plattenbauten, hat er nicht miteinander versöhnt.
Auch Matthias Klipp residiert in einem Plattenbau. "Hier war vor der Wende die Potsdamer Stasi-Zentrale", sagt Klipp, einst Bürgerrechtler, dann grüner Baustadtrat in Prenzlauer Berg, nun Beigeordneter der Stadt Potsdam für Stadtentwicklung, eine Art Bausenator der Brandenburgischen Landeshauptstadt. Als solcher weiß Klipp auch um die Schattenseiten des Potsdamer Wachstums. "Wer hierher kommt, kann sich Potsdam leisten", sagt er. Das bleibt nicht ohne Folgen für die, die schon in Potsdam leben, zählt Klipp auf: "Die ganze Umwelt ändert sich, die Stadt wird teurer, die Mieten steigen. Für viele ist das eine Bedrohung. Sie fragen sich, wie lange sie ihre Wohnung noch halten können."
Natürlich weiß Klipp, dass es in Potsdam keinen nennenswerten Neubau von Sozialwohnungen geben wird, also muss er sich um den Bestand kümmern - und das sind vor allem die Plattenbauwohnungen der Wohnungsbaugesellschaft Pro Potsdam. Einen Erfolg kann er bereits für sich verbuchen. "In Drewitz wollte die Wohnungsbaugesellschaft die Häuser nach drei Standards sanieren: Komplettstandard, mittlerer Standard, Substandard", sagt er und spricht von einem abenteuerlichen Konzept. "Das hätte bedeutet, dass sich die Spaltung verfestigt." Klipp dagegen will das Gegenteil: einen Ausgleich zwischen dem reichen und dem armen Potsdam. Einen großflächigen Abriss von Plattenbauten in der Innenstadt, wie ihn viele fordern, soll es mit ihm nicht geben.
Dort, wo einst das Schloss stand, werkeln nun die Bagger. Die Straßen aus DDR-Zeiten, die bis vor kurzem übers Gelände des einstigen Stadtschlosses führten, sind verlegt, bald soll mit dem Hochbau begonnen werden. Mit dem Stadtschloss soll auch Potsdams Alter Markt wieder entstehen und das verlorene Zentrum der Stadt. Doch kann man mit dem Umbau einer Stadt auch die Stimmung verbessern? Lassen sich die Schichten der Vergangenheit, die noch immer unterm Potsdamer Pflaster liegen, einfach zuschütten? Und was ändert ein neuer Alter Markt an der Mentalität der Verwaltung, in der die DDR munter weiterlebt, zum Verdruss nicht nur der Reichen, sondern auch der Zuzügler aus Berlin?
Heidi Chmura ist skeptisch. Die Kulturwissenschaftlerin sitzt im 11-Line, einem Szenecafé in der Charlottenstraße, und überlegt, was sie zu Potsdam sagen könnte, ohne dass es allzu schroff klingt: "1970 bin ich nach Babelsberg gezogen, da hat es mir gefallen, da gab es ein Kino und Leute, mit denen man was machen konnte." Aus familiären Gründen musste sie irgendwann über die Havel nach Potsdam ziehen. Lange vor der Wende war das, doch viel, lacht sie, hat sich seitdem nicht verändert. "Potsdam steht noch immer für provinzielle Possen, für die Mentalität eines Obrigkeitsstaats." Da stimmt Chmura ganz mit Sigrid Grabner überein, die gesagt hat, dass sich die Eliten der DDR nach der Wende schnell wieder zurechtgefunden und die Vertreter der Bürgerbewegung und der Zivilgesellschaft zurück in die zweite Reihe gedrängt hätten.
Gerne würde Heidi Chmura wieder nach Babelsberg ziehen. "Doch die Mieten sind zu hoch", sagt sie. Das gleiche gilt fürs andere Szeneviertel in Potsdam-West, in das der Beigeordnete Matthias Klipp gezogen ist. So bleibt sie in ihrer Plattenbauwohnung im Zentrum-Ost, für Normalverdiener wird der Spielraum in der Boomtown immer geringer.
Einer, der Glück hatte, ist Thomas Schulz. Unweit des Weberplatzes hat der Literaturwissenschaftler für sich und seine Frau eine bezahlbare Wohnung gefunden. "Zuvor haben wir in Potsdam gewohnt, nun sind wir in Babelsberg angekommen", freut er sich. "Hier wird man schnell heimisch." Für Schulz ist Babelsberg damit jener Stadtteil, an dem Ost und West problemlos zusammenwachsen.
Babelsberg, das ist für viele Potsdamer und die, die es werden wollen, eine Alternative zur Welt der Villen und der Plattenbauten, eine Welt für sich, die sich auch baulich vom Barock der Innenstadt auf der nördlichen Havelseite unterscheidet. Gründerzeitstraßen finden sich hier ebenso wie die eingeschossigen Weberhäuser in Alt-Nowawes. Und um den Schlosspark beneiden die Babelsberger sogar manche Touristen aus Prenzlauer Berg. Und dann ist da noch die hartnäckige Babelsberger Identität: Eingemeindet wurde die bis dahin selbständige Stadt erst unter den Nazis 1939.
Babelsberger aus Überzeugung ist auch Walter Raffauf, der Kämpfer für einen freien Uferweg am Griebnitzsee. "In Kreuzberg und Schöneberg haben wir uns am Wochenende immer gefragt: Wo fahren wir hin? Im Babelsberg fragen wir uns das nicht mehr. Da will man nicht mehr weg." Einen Augenblick ist sie wieder da, die Freude über die neue Heimat. Doch dann fallen die Mundwinkel wieder nach unten. "Es wäre schön, wenn wir eines Tages wieder am Griebnitzsee joggen könnten."
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