piwik no script img

Postkolonialer AufbruchKarnevalstanz mit 145 bpm

Eine Anthologie feiert die Band África Negra aus dem Inselstaat São Tomé e Príncipe. Ihre panafrikanische Fusion wird Puxa genannt.

Euphorisch und treibend, positiv und der Zukunft zugewandt ist der Sound von África Negra Foto: Bongo Joe

Indepêndencia, Unabhängigkeit! Im portugiesischsprachigen Afrika wurde sie erst spät erkämpft, im Anschluss an die Nelkenrevolution in Portugal von 1974. Dafür war die Freude umso größer, die Feiern waren umso ausgelassener – auch im kleinen Inselstaat São Tomé e Príncipe im Golf von Guinea vor der Küste Gabuns. Die Band África Negra (Schwarzes Afrika) durfte ihren Namen nun offiziell verwenden; vorher hatte die Kolonialverwaltung das noch untersagt, weshalb sie zeitweilig unter dem Namen Girasol (Sonnenblume) firmieren mussten.

Der Sound von África Negra klingt mit seinen zauberhaften phaserverfremdeten und am kongolesischen Soukous angelehnten Gitarrenklängen im Rückblick jedenfalls nach Zeitenwende: Euphorisch und treibend, positiv und der Zukunft zugewandt. 1974, ein Jahr vor der Unabhängigkeit der Zwillingsinsel gegründet, machte sich die Band bei den Fundões, den Straßenfesten auf São Tomé, einen Namen und wurde bald zum bekanntesten Ensemble der Insel.

Die Band um den Lead-Gitarristen Imídio Vaz, seinen Partner Leonildo Barros an der Rhythmusgitarre und den aus Príncipe stammenden Sänger João Seria (wegen seines militärischen Bérets als Markenzeichen oft auch „General“ genannt) spielte einen Mix, der alles aufgriff, was die Inseln an Einflüssen erreichte. Diese waren schon deshalb recht vielfältig, weil hier auf den Kakaoplantagen, die den Eilanden den Kolonialtitel „Schokoladeninseln“ einbrachten, unter anderem Kapverdianer, Angolaner und Mosambikaner arbeiteten.

Rumba, Soukous, Highlife, Coladeira

In der Musik África Negras verbindet sich hausgemachter Rumba mit Soukous aus Zentralafrika, ghanaischem Highlife, brasilianischem Afoxé und kapverdischer Coladeira zu einem eigentümlichen energetischen Stil. Puxa wird diese panafrikanische Fusion genannt. Das Schweizer Label Bongo Joe hat dankenswerterweise einige Perlen der Musik beider Inseln veröffentlicht.

Nach der Kompilation „Léve, Léve – São Tomé & Príncipe sounds 70’s–80’s“ und „Maguidala“ des Sängers Pedro Lima, beide von 2020, folgt nun der erste Teil einer África-Negra-Anthologie aus jener so kurzen wie unbeschwerten Postunabhängigkeitsära. In den ersten Jahren der neuen Ära regierte zunächst die marxistische Einheitspartei MLSTP (Movement for the Liberation of São Tomé and Príncipe) – eine Zeit voller Motorradtaxis, Marshall-Verstärkern und Militärschirmmützen.

Eröffnet wird das Album mit dem Wah-Wah-lastigen „Vence Vitoria“ von ihrem ersten Album, das África Negra erst 1981 aufgenommen haben. Einige ihrer auf Creole und Portugiesisch gesungenen, oft sozialkritischen Songs sind frenetisch, vor allem „12 De Julho“, ein Karnevalstanz mit 145 bpm, der den jährlichen Unabhängigkeitstag feiert.

Doch es geht auch zurückhaltender – etwa mit „Quá Na Bua Nega Fa“, das Puxa mit haitianischen Kompa und französisch-westindischem Cadence verschmelzt. In „Saozinha“ wiederum trifft kubanische Rhythmik auf rasanten Soukous, während „Pedlelo“ von einer eigentümlichen, aber unwiderstehlichen Gitarrenmelodie getragen wird. África Negra spielten regelmäßig im Ausland auf – in Kamerun über Angola bis Lissabon. 1989 zog ein Teil der Musiker auf die Kapverdischen Inseln, doch ist die Band bis heute aktiv. Im Sommer soll es auf Tour nach Europa gehen.

Bis zu elf Musiker umfasste África Negra zeitweise, darunter eine vierköpfige Bläsersektion. Sie passten nicht alle zusammen in das kleine Studio des Senders Rádio Nacional de São Tomé, wo die Band normalerweise ihre Aufnahmen machte. Also setzten sie sich einfach vor die Tür. Man kann sich beim Hören gut vorstellen, wie die Musiker von África Negra dort in lauen tropischen Nächten unter dem Sternenhimmel mit Blick aufs Meer ihren betörenden Puxa einspielten.

África Negra: „Antologia Vol. 1“ (Bongo Joe, 2022)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!