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Postengeschacher in der EUSpitzenkandidaten in der Sackgasse

Vier Wochen nach der Wahl zum EU-Parlament ist die Nachfolge für Kommissionschef Juncker noch unklar. Bringt ein Gipfel am Donnerstag den Durchbruch?

Noch wird um seine Nachfolge gerungen: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Foto: ap

BRÜSSEL taz | Donald Tusk hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Er strebe weiter eine Einigung über fünf europäische Topjobs an, schrieb der Ratspräsident in seiner Einladung zum EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel. Noch vor dem Gipfel werde er viele Staats- und Regierungschefs zu Einzelgesprächen treffen – und sei vorsichtig optimistisch, eine schnelle Entscheidung herbeiführen zu können.

Auch in Paris und Berlin übt man sich in Zweckoptimismus. „Dies darf kein Gipfel ohne Ergebnis werden“, heißt es im Umfeld von Staatspräsident Emmanuel Macron. Man müsse die „notwendigen Entscheidungen“ treffen, bevor das neu gewählte EU-Parlament am 2. Juli zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkomme, erklärte Kanzlerin Angela Merkel. Doch wie das gehen soll, ließ sie offen.

Bisher ist nicht einmal klar, ob Merkel weiter für ihren Spitzenkandidaten Manfred Weber kämpft, der im Herbst EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker ablösen will. In der Großen Koalition in Berlin hat sie dafür kein Mandat erhalten. Die SPD kämpft weiter für ihren niederländischen Genossen Frans Timmermans. Nur auf das „Prinzip Spitzenkandidaten“ konnte sich die Groko in Berlin einigen.

Auch in Brüssel hat sich der Nebel nicht gelichtet. Rund vier Wochen nach der Europawahl ist die Lage verworrener denn je. Denn nicht nur Gipfelchef Tusk versucht ein Personalpaket zu schnüren. Auch das Europaparlament und drei europäische Parteien haben sich in den Machtkampf um die Juncker-Nachfolge eingeschaltet. Bisher endeten alle Bemühungen in einer Sackgasse.

Frustrierende Verhandlungen

Besonders frustrierend sind die Verhandlungen im Parlament. Dort versuchen vier EU-freundliche Fraktionen – Konservative, Sozialdemokraten, Liberale und Grüne – ein Koalitionsprogramm aufzustellen. Ursprünglich sollte es am Montag fertig werden und signalisieren, dass die Abgeordneten für einen Neustart und für ambitionierte Klimaziele stehen. Doch der Termin wurde verschoben.

Ein Flop war auch ein neues „Format“ der Altparteien. Bei einem Minigipfel mit sechs Regierungschefs wollten Konservative, Sozialdemokraten und Liberale den gordischen Knoten lösen. Doch eine erste Runde in Brüssel vor zehn Tagen endete ergebnislos. Nun soll es vor dem EU-Gipfel ein zweites Treffen geben – mit einem Durchbruch rechnet keiner.

Als handlungsunfähig hat sich auch der Europäische Rat erwiesen, der den EU-Gipfel organisiert. Dort steht nicht nur Macron auf der Bremse – er lehnt das „Prinzip Spitzenkandidaten“ ab und hat mit einem Veto gegen Weber gedroht. Eine entscheidende Rolle spielt auch Spaniens neuer Premier Pedro Sánchez. Der Sozialist kämpft für Timmermans und wird von allen Seiten umworben. Sogar Merkel sucht seine Nähe.

Zusätzlich erschwert wird eine Lösung durch den Plan, nicht nur einen Juncker-Nachfolger zu suchen, sondern weitere vier EU-Topjobs neu zu besetzen: die Präsidenten des EU-Parlaments, des Rats und der Europäischen Zentralbank sowie der Job des Außenvertreters. Dabei soll der Parteienproporz gewahrt werden, es sollen mindestens zwei Frauen dabei sein und auch Osteuropäer.

Quadratur des Kreises

Diese Aufgabe gleicht der Quadratur des Kreises. Da sie auf Anhieb kaum lösbar erscheint, wollen sich die Chefs bei ihrem Gipfel am Donnerstag auch mit einer „strategischen Agenda“ für die nächsten Jahre beschäftigen. „Es geht nicht nur um das Casting, sondern auch um die Grundsätze der Politik“, sagt ein EU-Diplomat. Doch auch hier geht es schleppend voran. Nur beim Klimaschutz zeichnen sich Fortschritte ab.

So bekennt sich eine Mehrheit der 28 EU-Staaten zu einer „klimaneutralen“ Wirtschaft bis zum Jahr 2050. Zuletzt war auch Deutschland auf dieses Ziel eingeschwenkt. Doch ob es der Gipfel auch verabschiedet, ist noch unsicher. „Der Kampf geht weiter“, heißt es in Macrons Umfeld. Es klingt fast so, als könnte ein weiterer Gipfel nötig werden. Einen Termin hat Tusk schon anvisiert: den 30. Juni, noch rechtzeitig vor der konstituierenden Sitzung des EU-Parlaments.

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