Post von der Bundeswehr: Frieden durch Inklusion
Trisomie 21 ist nichts, womit sich die Bundeswehr auskennt. Trotzdem möchte sie meinen Sohn Willi mit ihrem Talent-Scout bekannt machen.
U nser Sohn Willi erhielt neulich eine persönliche Einladung sich einen der begehrten Teilnehmerplätze „als VIP beim TALENT SCOUT“ am „Tag der Bundeswehr“ zu sichern. Ich bezweifle zwar, dass die Plätze so richtig begehrt sind, aber ich hätte trotzdem nicht erwartet, dass die Truppe schon so inklusiv – oder so verzweifelt ist – dass sie sogar schon Rekruten mit so deutlichen geistigen Einschränkungen nehmen. Da seit der Nazizeit aus guten Gründen in Deutschland aber kein Register geführt werden darf über Menschen mit Behinderungen, ist diese Besonderheit dem Einwohnermeldeamt (welches Willis Daten an die Bundeswehr weitergegeben hat) bestenfalls gar nicht bekannt.
Mein Mann ärgerte sich über die Postkarte, auf der vorne der Name unseres Sohnes wie auf dem Namensschild einer Uniform abgebildet war. Die Karriere eines seiner Kinder als Soldat:in wäre für ihn – neben einer Theologielaufbahn – wahrscheinlich das berufliche Worst-Case-Szenario.
Willi selber interessiert sich glücklicherweise überhaupt nicht fürs Militär, sondern mehr für das Sortieren von Farbstiften und Murmeln. Aber unter anderen jungen Menschen mit Down-Syndrom ist das Interesse an einem Job in Uniform (egal welcher) schätzungsweise ziemlich groß. In der Regel bleibt der Wunsch jedoch unerfüllt. Eigentlich schade, denn dann gäbe es noch mehr nette Bahnbeamte und wenn wir weltweit alle militärischen Führungspositionen mit ihnen besetzten, gäbe es auch bald keinen Krieg mehr. Aber auf mich hört ja wieder keiner.
Ich googelte „Trisomie 21“ und „Bundeswehr“ und der erste Treffer verwies im Bericht des Wehrbeauftragten von 2017 auf einen Vorfall, bei dem ein Offizier während einer Fortbildung seine Kameraden mit den Worten „Bin ich hier in einer Mongowerkstatt? Ihr seid Affen mit Trisomie 21!“ beschimpft hatte.
Mal davon abgesehen, dass es bei der Bundeswehr eine ganze Menge Probleme mit Diskriminierung von Minderheiten gibt, praktizieren sie tatsächlich Inklusion. Laut eigenen Angaben dienen dort zurzeit 9.500 schwer beeinträchtigte Personen. Der Großteil von ihnen (8.100) sind allerdings Zivilbeschäftigte und sie haben keine geistige, sondern Körperbehinderung.
Beim Zivilpersonal sind das fast zehn Prozent aller Stellen und die Bundeswehr liegt damit weit über der Quote. Darauf darf man stolz sein! Soldat:in kann man mit einer Behinderung allerdings nicht werden und in Willis Fall ist das wohl auch ganz gut so. Die 1.300 Soldat:innen, die in der Bundeswehr einen Schwerbehindertenausweis besitzen, leiden in der Regel unter Einsatzschädigungen, wie beispielsweise einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Da kann man dann nicht stolz sein, wenn die Zahl hoch ist.
Ich bin dankbar, dass es Menschen gibt, die bereit sind unser Land zu verteidigen und dafür ihre Gesundheit und im Ernstfall sogar ihre Leben einsetzen. Ich selber möchte das nämlich nicht tun und ich möchte auch nicht, dass meine Kinder das tun müssen.
Trotz aller Dankbarkeit habe ich aber immer noch Vorurteile gegen die Bundeswehr – und das nicht, weil sie dort keine Affen mit Trisomie 21 einstellen. Ich fürchte grundsätzlich in militärischen Machtstrukturen deren Missbrauch und rechtsextreme Tendenzen. Wie man mehr gute Leute dazu bringen soll, zum Bund zu gehen, das weiß ich leider auch nicht. Ungefragt Nachwuchswerbung für den Soldatenberuf an Minderjährige zu verschicken scheint mir aber nicht der richtige Weg zu sein.
Um unser persönliches Verhältnis zur Bundeswehr etwas zu entkrampfen haben wir für Willi nun einen Flecktarn-Jogginganzug bestellt und ihn beim Talent Scout am Tag der Bundeswehr angemeldet. Es soll dort Militärmusik und Erbseneintopf nach Bundeswehrart geben. Ich bin sicher, keiner der jungen VIPs wird sich dafür so begeistern können wie Willi – ich bezweifle nur, dass er in Sachen Suppe auf den Befehl „Verpflegen Sie jetzt“ warten würde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?