Post-Rock von Algiers: Sägemehl statt Benimm

Die US-Rumpelfüßer Algiers veröffentlicht ihr neues Album „There Is No Year“ und kommt auf Tour. Das hat diesmal mehr von Dronemetal als von R&B.

Schwarzweiße Spiegelbilder von Männern

Verwirrend: Algiers hinter den Spiegeln Foto: Christian Högstedt

„You look like Denzel Washington! You look like Forest Whitaker!“ Der 37-jährige Franklin James Fisher hat solche vergifteten Komplimente oft zu hören bekommen, so wie viele Afroamerikaner:Innen. Fisher wuchs in einem weißen Suburb von Atlanta auf, sein Vater arbeitete dort als erster afroamerikanischer Bezirksarzt. Sein Sohn interessierte sich gleichermaßen für Bücher wie für Punk, gründete eine Band und studierte und unterrichtete später auch englische Literatur.

In der Tradition von Autoren wie James Baldwin schreibt Fi­sher seine Erlebnisse in Songtexten auf: Darin finden sich subtile Andeutungen ebenso wie unverhohlene Beispiele für Rassismus. Kunst als verdichtete Form von Wut und Angst, ein klassischer Ansatz für Pop. „Für mich ist es am besten, wenn ich ständig texte“, sagt Fi­sher, in Jeansjacke und weißem Hemd im Hamburger Büro seiner Plattenfirma sitzend. „Nicht nur, wenn ein Album ansteht. Ich habe also anderthalb Jahre stetig gearbeitet.“

Das erste auditive Resultat dieser Schreibwut ist „Can the Sub_Bass Speak?“, ein im Sommer 2019 veröffentlichter Track seiner Band Algiers. Es ist eine in enervierend hektischem Sprechtempo vorgetragene Aufzählung von Respektlosigkeiten und Beleidigungen, die der Sänger sich im Laufe der Jahre anhören musste: „Where are you real­ly from in Africa? How does it feel to be a black man making white music?“

Saxofonist Skerik schraubt sich in schrille Jazz-Höhen, ein Schlagzeug stolpert, ein Bass wummert, während Fischer schneller und schneller deklamiert. Immer wieder ruft er: „You niggers don’t know how to act.“ Zu Deutsch: „Ihr Nigger habt kein Benehmen.“ Ein Satz wie ein Tritt in die Magengrube, ein Satz, wie ihn schon Sklaven jahrhundertelang ertragen mussten.

Algiers: „There Is No Year“ (Matador/Beggars/Indigo)

Algiers formierten sich 2012 in Atlanta. Bassist Ryan Mahan und Gitarrist Lee Tesche kannten sich aus der Underground-Noise-Szene. Drei Jahre später stieß der ehemalige Schlagzeuger der britischen Band Bloc Party, Matt Tong, hinzu. Die Band veröffentlichte zwei Alben und wurde für ihren wuchtigen Mix aus New Wave, Soul, Post-Punk und Gospel gefeiert. Nun erscheint das dritte Album von Algiers: „There Is No Year“. Gemeinsam entstanden ist es mit Randall Dunn als Produzent; ein Toningenieur, der schon den brachialen Sound der Drone­metaller Sunn O))) inszenierte. Das Resultat: Algiers klingen jetzt noch harscher.

Power und ­Geltungsbewusstsein

Aggressive Synthie-Beats und mechanische Drums dominieren die zehn Songs, nur ab und zu schimmert ein Piano oder ein verzerrtes Saxofon-Solo durch. Vom R&B-Sound, welcher der Band zuweilen attestiert wird, ist hier nicht mehr viel zu spüren. „Ich kann immer noch nicht genau ­sagen, wer was gespielt hat – ich war nie zur selben Zeit im Studio wie die anderen“, sagt Fi­sher, ein erstklassiger Sänger.

14.2., Köln, „Club Volta“; 15.2., Schorndorf, „Club Manufaktur“; 17.2., Frankfurt, „Zoom“; 18.2., Dresden, „Beatpol“; 24.2., München, „Strom“

Die Musik stamme zum allergrößten Teil von Lee Tesche, meint Matt Tong. „Er spielt die Gitarre unorthodox“, so der Drummer. „Lee geht vor den Aufnahmen stets in den Baumarkt. Sein Keller wird zu einem Labor: eine Welt voller Wunder! Berge von Sägemehl und zerbrochener Werkzeuge.“

Bei aller Experimentierfreude: Kein Stück auf „There Is No Year“ kann es in Sachen Dringlichkeit mit dem als Bonustrack angehängten „Can the Sub_Bass Speak“ aufnehmen. Der Song­titel bezieht sich auf einen Aufsatz der Literaturwissenschaftlerin Gayatri Spivak und ihre Theorien über die Marginalisierten der Gesellschaft, die sprachlos sind angesichts eines übermächtigen Herrschaftssystems.

Man würde die „Postpunk-Dekonstruktion von ethnischer und klassenorientierter Politik“ vornehmen, ließ man vorab verlauten. Konkreter wird die Band leider nicht, Fishers Songtexte sind voller pathetischer Metaphern. Da ist von einstürzenden Kartenhäusern die Rede, von zerfallenden Königreichen und von Feuer, das auf die Straßen regnet. Algiers haben Power und Geltungsbewusstsein.

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