„Portraits 1989–2020“ von Albrecht Fuchs: Sie sind auch nur Menschen
Albrecht Fuchs porträtierte Künstler wie Christoph Schlingensief. Das Museum für Photographie in Braunschweig zeigt nun seine Arbeiten.
„Wenn dein Leben sich in eine Tragödie verwandelt, versuche, sie als Zuschauer zu betrachten.“ Diesen Satz sprach Christoph Schlingensief 2008 in sein Diktiergerät, als ihn die Krebsdiagnose unvermittelt ans Krankenbett fesselte. Mit diesem Zitat begann im selben Jahr auch ein Gespräch mit dem Aktionskünstler im Magazin der Süddeutschen Zeitung, für das der Kölner Fotograf Albrecht Fuchs die Bildstrecke schoss.
Ein Close-up von Schlingensief – entschlossen blickend, man mag den Trotz auf seine Erkrankung erkennen – hängt jetzt im Museum für Photographie Braunschweig. Das Museum widmet Albrecht Fuchs eine erste umfassende Ausstellung seiner Porträtfotografie, die er immerhin bereits seit gut 30 Jahren betreibt.
Das Schlingensief-Porträt fällt aus dem für Fuchs typischen Bilderkanon, denn er beschränkt sich selten auf die physiognomische Präsenz der Abgebildeten, gar in der Nahaufnahme. Mindestens genauso wichtig ist ihm die Umgebung – sei es das private Zuhause, das Atelier, die Obhut eines Hotelzimmers oder eine Architektursituation –, in die er seine Protagonist:innen wenigstens als Halb-, meist als Ganzfigur einbettet.
Fuchs erzählt, wie der damalige Chefredakteur des SZ-Magazins das so bestellte Schlingensief-Konterfei auch kritisierte, aber wohl nicht, weil er den künstlerischen Zwiespalt des Bildautors Fuchs spürte, sondern weil er sich Dramatischeres erhofft hatte. Das richtige Maß an Nähe und Distanz zu den Porträtierten, aber auch die Zurücknahme seiner selbst als fotografischen Akteur macht das Geheimnis der Bildnisse von Albrecht Fuchs aus, als konzeptionelle Haltung vielleicht nicht ganz unverwandt dem späten Lebensprinzip Schlingensiefs. Fuchs hat sich im Laufe der Jahre auf eine professionelle Gruppe spezialisiert, die selber Expert:innen der Bildgestaltung und häufig Meister der Selbstdarstellung sind: Künstler:innen.
Längerfristige Porträtfolge
Seine ersten Porträtfotos entstanden 1989 in New York. Fuchs, 1964 in Bielefeld geboren, besuchte dort seinen Studienkollegen der Folkwangschule in Essen, Laurenz Berges, der für ein Jahr als Assistent bei Evelyn Hofer (1922–2009) arbeitete. Ein Schwerpunkt der jüdischen deutschen Fotografin waren Besuche in Künstlerateliers, sie hatte mit Andy Warhol, Jean-Michel Basquiat und Julian Schnabel die US-Kunstprominenz vor dem Objektiv. Hofer arbeitete mit der großformatigen Kamera auf dem Stativ und natürlichem Licht, sie wusste um den schmalen Grat zwischen unglaubwürdiger Inszenierung und banaler Belanglosigkeit, sie sah ein gutes Porträt als Ergebnis gelungenen Zusammenspiels zwischen Fotografin und Abgebildeten.
Fuchs nahm diese Prinzipien auf, wählte mit dem Negativformat von 6 auf 7 Zentimetern eine subtile Möglichkeit der Akzentuierung als stehendes oder als liegendes Bildnis. Und mittlerweile liest sich auch die Liste der von ihm Porträtierten wie das Who’s who der aktuellen deutschen und US-amerikanischen Kunstszene.
Albrecht Fuchs „Album. Portraits 1989-2020“, bis 6. Dezember, Museum für Photographie Braunschweig. Katalog (Verlag der Buchhandlung Walter König) 28 Euro
Häufig ist ein Auftrag der Erstkontakt für eine längerfristige Porträtfolge, so bei Martin Kippenberger. Fuchs begleitete ihn 1995 in die alte Goldgräberstadt Dawson City in Kanada, wo Kippenberger eine rustikal hölzerne Station seines weltumspannenden, fiktiven U-Bahn-Systems „Metro-Net“ installierte. Dabei entstand auch das ikonografische Motiv, das Kippenberger von hinten zeigt: im durchfeuchteten Mantel auf einer Geröllhalde stehend, blickt er in die vom Goldrausch verwüstete Landschaft.
Diesen modernen „Wanderer über dem Nebelmeer“, frei nach Caspar David Friedrich, stellte Kippenberger ans Ende seines Katalogs „MK 95“ – und er traf Fuchs dann noch mehrmals, nun privat. Eine kleine Serie etwa zeigt Kippenberger erschöpft im Hotel, gerade aus Japan zurückgekehrt. Und nochmals von hinten, Fernsehen schauend.
Auch manch anderer Kunstheroe ließ sich von Fuchs in sehr persönlicher Manier einfangen. John Baldessari, seiner stattlichen Körpergröße von über zwei Metern bewusst, belagerte eine braune Couch im Atelier, an der Wand zwei Fotografien von Cindy Sherman, Bücher im Regal, am Kopfende ein spießiger Gummibaum, das kontrapunktisch aufstrebende Bildelement. Der Wiener Bildhauer Franz West legte sich ebenfalls lang, auf eine seiner sparrigen Sofa-Skulpturen, nicht ohne vorher akkurat die Schuhe beiseite zu stellen.
Raymond Pettibon erwischte Fuchs 2018 in seiner New Yorker Hochhaus-Wohnung: eine schwarze Silhouette vor der offenen Fensterfront, Abbild der seinerzeit depressiven Stimmung des Hausherrn.
Albrecht Fuchs akzeptiert aber auch, wenn Vertrautheitsgesten nicht gewollt sind. Gerhard Richter stand für eine Titelstory gestreng blickend im aufgeräumten Atelier, Komponist Ennio Morricone saß verklemmt im kitschig römischen Wohnsalon. Denn alle Künstler:innen, so Fuchs, sind auch nur Menschen.
Bis 6. Dezember, Museum für Photographie Braunschweig, Katalog (Verlag der Buchhandlung Walter König), 28 Euro
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