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PortraitZiviler Ungehorsam

Seit 64 Tagen im Hungerstreik: Nuriye Gülmen Foto: afp

Nuriye Gülmen klingt entschlossen, auch wenn ihre Stimme vor Schwäche immer wieder bricht: „Wir werden weitermachen, bis wir recht bekommen“, sagt sie in einem Video. Seit 64 Tagen ist die Literaturwissenschaftlerin im Hungerstreik, um gegen ihre Entlassung zu protestieren. In der Türkei ist die 35-Jährige zum Gesicht des zivilen Ungehorsams geworden: Seit dem 9. November 2016 demonstriert sie täglich vor dem Menschenrechtsdenkmal mitten in Ankara.

Nuriye Gülmen ist eine von Tausenden Akademiker*innen, die nach dem Putschversuch 2016 per Notstandsdekret entlassen wurden. Im Ausnahmezustand wurde sie von der Selçuk-Universität im zentralanatolischen Konya suspendiert. Der Vorwurf: Sie soll die Gülen-Bewegung unterstützt haben, die die Regierung hinter dem Putschversuch vermutet. Die linke Gewerkschafterin war entschlossen, sich dem Dekret nicht zu beugen, und forderte ihre Arbeit öffentlich zurück. Dabei richtet sich ihr Protest nicht nur ­gegen die Massenentlassungen von Akademiker*innen – es ist ein Aufbegehren gegen das Unrecht, das Tausenden Menschen in der Türkei seit dem Putschversuch widerfahren ist.

Mehr als 30 Mal wurde sie in den 183 Tagen ihres Protests verhaftet. Doch sie ließ sich nicht von ihrem Widerstand abbringen. In den Hungerstreik ist Gülmen zusammen mit ihrem Mitstreiter, dem Lehrer Semih Özak­ça, Anfang März getreten. Ihr Gesundheitszustand hat sich in den vergangenen Tagen drastisch verschlechtert. Nach Berichten der Ärztekammer in Ankara haben Gülmen und Özakça Herz- und Kreislaufbeschwerden sowie mentale und motorische Störungen. Eine medizinische Behandlung hätten die beiden abgelehnt.

Mit ihrem Protest wolle sie deutlich machen, dass die Regierung die Verantwortung für alles trage, was in diesem Land passiert, sagte Gülmen der taz.gazete.

Die Regierung reagiert nicht – und nimmt damit in Kauf, dass Gülmen und Özakça am Menschenrechtsdenkmal in Ankara, keine 500 Meter vom türkischen Parlament entfernt, vor aller ­Augen sterben.

Elisabeth Kimmerle

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