Porträts vier Befreiter: Tausche Mörder gegen Oppositionelle
Beim Gefangenenaustausch mit Russland kamen 24 Menschen frei. Darunter sind Oppositionelle, ein Auftragskiller und ein Tourist mit Cannabis im Gepäck.
In dem größten Gefangenenaustausch seit Ende des Kalten Krieges sind insgesamt 24 Menschen freigekommen. Während Russland und Belarus Journalist:innen, Menschenrechtsaktivist:innen und westliche Tourist:innen zum Tausch anbot, entsandte der Westen Profikiller und Spion:innen. Vier der Befreiten stellen wir im Porträt vor.
Ilja Jaschin
Ein erstes Foto nach seiner Freilassung postete der russische Oppositionspolitiker am frühen Freitagmorgen auf seinem Telegram-Kanal. „Ich werde bald alles erzählen. In der Zwischenzeit vielen Dank an alle, die sich Sorgen gemacht haben. Ich umarme Euch alle“, schreibt Jaschin.
Er ist seit 2000 politisch aktiv, war damals Vorsitzender des Jugendflügels der liberalen Partei Jabloko. Später wurde er Kommunalpolitiker für die „Bewegung Solidarnost“. Unter dem Motto „Russland ohne Putin“ stand er 2012 gemeinsam mit dem drei Jahre später ermordeten Politiker Boris Nemzow und Kremlkritiker Alexei Nawalny an der Spitze von wochenlangen Straßenprotesten gegen die manipulierten Parlamentswahlen von 2011. Obwohl der Druck größer und eine Festname immer wahrscheinlicher wurde, blieb Jaschin in Russland.
Am 9. Dezember 2022 wurde er von einem Moskauer Gericht wegen Verbreitung von „Falschnachrichten“ über die Armee zu achteinhalb Jahren Straflager verurteilt. Er hatte einen Stream über das Massaker russischer Truppen an Zivilist*innen im Kyjiwer Vorort Butscha im Frühjahr 2022 in Umlauf gebracht. Auch eine Geldstrafe in Höhe von umgerechnet rund 350 Euro wurde Jaschin, der zum „ausländischen Agent“ erklärt wurde, auferlegt.
Sein Vergehen: Er hatte ein Foto aus dem Jahr 1969 von Protesten gegen den Krieg in Vietnam veröffentlicht. „Für den Frieden zu bomben ist, als würde man um der Jungfräulichkeit willen ficken. 50 Jahre sind vergangen, aber diese Slogans sind immer noch relevant“, hatte er darunter geschrieben. Ende Dezember 2023 gab er der Wochenzeitung Sobesednik ein Interview. Er werde einem Gefangenenaustausch nicht zustimmen, sagt er darin. Ob er seine Meinung geändert hat, ist nicht überliefert.
Wadim Krassikow
Als Wadim Krassikow in Moskau als erster die Treppe vom Flugzeug zum Rollfeld hinuntergeht, wartet unten Russlands Präsident Wladimir Putin. Dieser reicht Krassikow erst die Hand, dann umarmt er ihn. Krassikow, der sogenannte Tiergarten-Mörder, ist ein Profikiller, der im Auftrag Russlands getötet hat. Und der Mann, um den es Putin bei dem Austausch vor allem ging.
Krassikow, ein Mann mit Glatze und Kinnbart, ist 58 Jahre alt und Offizier des russischen Geheimdiensts FSB, er soll Mitglied einer kleinen Eliteeinheit gewesen sein, die auf Oppositionelle im Ausland angesetzt war. Am 23. August 2019 hat er zur Mittagszeit im Kleinen Tiergarten in Berlin einen Georgier tschetschenischer Abstammung ermordet, der in Deutschland Schutz gesucht hatte.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Krassikow war mit dem Fahrrad gekommen, hatte zweimal von hinten geschossen und als sein Opfer am Boden lag, noch einmal auf den Kopf. Weil Zeugen die Polizei riefen, wurde er noch auf der Flucht festgenommen. In der Datenbank von Interpol fanden Ermittler einen russischen Haftbefehl wegen eines ähnlichen Mordes in St. Petersburg gegen Krassikow, der gelöscht worden war.
Ende 2021 verurteilte ihn das Berliner Kammergericht zu lebenslanger Haft und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Das schließt eine vorzeitige Entlassung eigentlich aus.
Um Krassikow freizukriegen, hatte Putin Geiseln genommen und ein großes Erpressungspotenzial angehäuft. In der Bundesregierung allerdings war der Austausch umstritten, Außenministerin Annalena Baerbock soll starke Zweifel geäußert haben, auch der Generalbundesanwalt war dagegen. Erst nach langen Abwägungen und einer direkten Anfrage von US-Präsident Joe Biden an Bundeskanzler Olaf Scholz soll dieser das Go gegeben haben. Justizminister Marco Buschmann wies den Generalbundesanwalt entsprechend an. Krassikow durfte fliegen.
Patrick Schöbel
Die Suche nach einer neuen Partnerin wurde ihm zum Verhängnis. Mitten im Krieg gegen die Ukraine hatte der 38-jährige Hamburger Patrick Schöbel im Internet eine Frau kennengelernt. Am 16. Januar 2024 war er nach St. Petersburg gereist, um sie zum ersten Mal zu treffen. Doch dazu kam es nicht. Bei seiner Ankunft wurde Schöbel festgenommen, weil man eine kleine, abgegriffene Tüte Gummibärchen mit einem Marihuanablatt darauf gefunden hatte.
„Fink Green Goldbears“ können in Deutschland legal erworben werden. In Russland wird Schmuggel und Besitz von Cannabis mit bis zu sieben Jahren Haft geahndet. Auf Bodycam-Aufnahmen von seiner Festnahme kann man hören, wie er die Fragen der Grenzkontrolle mit „das ist verdammtes Weingummi“ beantwortete. Die Süßigkeiten habe er schon ein Jahr zuvor gekauft, um sie „für einen erholsamen Schlaf“ auf langen Flügen zu essen.
„Geruch stechend, Gewicht 19,35 Gramm“, notierte der Zollbeamte zu den sechs Gummitieren. Ein Schnelltest bestätigte, dass sie den Cannabis-Bestandteil THC enthielten. In St. Petersburg stand Schöbel vor dem Bezirksgericht. Kurz nach der Festnahme warnte das Auswärtige Amt auf Instagram in Bezug auf den Fall vor Reisen nach Russland. Die diplomatischen Möglichkeiten seien hier begrenzt. „Anders als in Hollywood-Filmen können wir Euch nicht einfach irgendwo aus dem Gefängnis holen. Russland ist derzeit nicht das beste Reiseziel für ein erstes Date mit dem Online-Flirt.“
Anna Dulzewa und Artjom Dulzew
Der 1. August 2024 wird gewiss bald als Thriller verfilmt. Aus dem Stoff dieser Agentenfamilie kann man eine ganze Serie drehen, wie in der US-Produktion „The Americans“, in der ein KGB-Paar mit seinen beiden Kindern in den USA lebt und dort agiert (aka mordet).
Dulzew und Dulzewa lebten in Slowenien unter den Decknamen Ludwig Gisch und María Mayer Muños. Das Wall Street Journal schildert ihre Jahre in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana als scheinbar gewöhnliches Vorstadtleben. Das Paar sprach mit seinen beiden Kindern (von der taz verpixelt) Spanisch und schickte sie auf die British International School.
Artjom Dulzew ist aber offenkundig ein Offizier des russischen Auslandsgeheimdienstes SVR aus Baschkortostan, Anna Dulzewa, eine SVR-Offizierin aus Nischni Nowgorod. Von Slowenien aus hatten die beiden einen Zugang zur EU und koordinierten andere russische Agent:innen in Europa. Als sie Ende 2022 verhaftet wurden, fand man in einem Geheimfach im Kühlschrank Hunderttausende Euro. Ihre Kinder wurden nach der Verhaftung bei Pflegeeltern untergebracht. Gemeinsam flogen sie jetzt nach Russland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?