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Dänische Schriftstellerin Olga RavnWenn sich Frauen zusammenschließen, macht sie das verdächtig

Olga Ravn ist eine der innovativsten Schriftstellerinnen Dänemarks. Ihr neuer Roman führt tief hinein in die dunkle Zeit der Hexenverbrennungen.

Das Okkulte hat die dänische Schriftstellerin Olga Ravn schon immer fasziniert Foto: Sara Galbiati

„Und dann habe ich gemerkt, dass es ein Tanz ist“, sagt die dänische Schriftstellerin Olga Ravn und springt auf. Sie macht mit ihrem Körper zwischen den unverputzten Betonwänden eines Cafés in Berlin-Mitte eine schnelle Drehbewegung und hebt ihre Arme.

Gerade versucht sie, ein altes Ritual aus Island nachzustellen, auf das sie während der Recherche für ihren neuen Roman in einem Folklorearchiv in Kopenhagen gestoßen war. „Wachskind“ ist der deutsche Titel, und die Übersetzung ist gerade im März Verlag erschienen. Er führt zurück in die Zeit der Hexenprozesse im Dänemark des 17. Jahrhunderts.

Olga Ravn deutet das Ritual nur kurz an, lässt sich wieder in den sleeken Metallstuhl fallen, lacht und erinnert sich daran zurück, wie das bei ihr begann – mit der Faszination für Hexen, für Genreliteratur und wie all das eng verknüpft ist mit ihrer Arbeit als Schriftstellerin, die schon für den Booker Prize nominiert war. Denn Ravn, 39 Jahre alt, ist heute eine der innovativsten literarischen Stimmen Dänemarks.

„Schon als Kind habe ich mich zum Okkulten hingezogen gefühlt“, sagt sie. „Mittlerweile treffe ich mich zweimal im Jahr mit einer Gruppe im Wald und halte Rituale ab, die ich in den Archiven in Dänemark und Norwegen entdeckt habe.“ Sie nimmt zum Beweis ihr Smartphone in die Hand und zeigt ein Foto. Eine einsame Waldlichtung ist zu sehen, darauf steht ein riesiger, aus Stoff gefertigter Vogel, den Ravn für eines der Happenings nachgebaut hat und der Teil der Rituale wurde. Die Rituale, sagt sie, seien ein Weg, um Gemeinschaft zu erzeugen.

Wurzeln in der experimentellen Lyrik

In erster Linie, sagt sie heute, ginge es ihr darum, eine Gruppe von Frauen zusammenzubringen, einen Zustand der tiefen Verbundenheit zueinander zu schaffen. Es sei selten, dass man sich in Räumen nur mit anderen Frauen befinde, ohne dass ein Mann kommt und das kommentiert, sagt sie. Auch im Literaturbetrieb. Darum die Rituale im Wald und darum ihr Performance-Kollektiv, das sie „hekseskolen“ nennt, Hexenschule.

Es ist wichtig, diese Prägung zu kennen, um zu verstehen, warum Olga Ravn schreibt, wie sie schreibt. Ihre ersten Veröffentlichungen waren experimentelle Lyrikbände, erst später begann sie auch Prosa und Theatertexte zu schreiben. Mittlerweile sind vier Romane erschienen, drei davon ins Deutsche übersetzt: „Die Angestellten“, eine Abhandlung über das Menschliche im Unmenschlichen auf einem Raumschiff; „Meine Arbeit“, ein Buch über Schwangerschaft, Einsamkeit und Depressionen und eine kluge Reflexion über das Zusammenspiel zwischen Mutterschaft und Schreiben; und nun „Wachskind“.

Der Roman

Olga Ravn: „Wachskind“. Aus dem Dänischen von Alexander Sitzmann. März Verlag, Berlin 2025. 190 Seiten, 25 Euro

Es ist ein Text, der den alltäglichen Horror von Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft offenbart und vor allem zeigt: Wenn sich Frauen zusammenschließen, macht sie das verdächtig. In „Wachskind“ werden sie deswegen schließlich verbrannt.

Ravns Romane eint, dass sie fragmentarisch sind, eine literarische Zerfaserung in einzelne Textteile, Ausflüge in Lyrik, Essay und szenische Texte und ein Spiel mit Intertextualität. Die Kernelemente aller ihrer Texte sind die Fragen danach: Wie kann eine solidarische Gemeinschaft entstehen? Und inwiefern halten patriarchale Strukturen und ungleiche Arbeitsbedingungen uns davon ab?

Dass die Handlungen dabei nicht nur in der Gegenwart verankert sind, sondern auch auf Raumschiffen der Zukunft und in Kerkern der Vergangenheit, ist eine große Stärke Ravns: Genreliteratur fließt in ihre Texte ganz natürlich mit hinein.

Veraltetes Verhältnis zwischen Schüler und Meister

Der Wunsch danach, sagt Ravn heute, festigte sich schon an der Forfatterskolen, der Literatur-Kaderschmiede Dänemarks. Als sie dort angenommen wird, ist sie 21 Jahre alt und schreibt Lyrik. Die Komplizinnenschaft mit anderen Schreibenden sei geblieben, das sei das Gute gewesen, einerseits.

Andererseits, sagt Ravn, habe es ein veraltetes Meister-Schüler-Verhältnis gegeben. Die Lehrenden, allesamt Schriftsteller, kamen angetrunken zu den Seminaren, hatten Verhältnisse mit Schülerinnen und überschritten ständig Grenzen. „Es war eine extreme Umgebung.“ Einige Jahre nachdem sie die Forfatterskolen verlassen hatte, gab es dort einen MeToo-Skandal.

Was an der Schule noch vermittelt wurde: Genres wie Science-Fiction oder Fantasy seien niedere Literatur. „Das Schlimmste überhaupt ist, wenn du in deinen Texten Tiere sprechen lässt, wurde uns damals gesagt“, so Ravn.

Vor allem „Die Angestellten“ und „Wachskind“ zehren nun von Science-Fiction, Fantasy und Horror. Darüber, dass Ursula K. Le Guin dank ihrer Tragetaschentheorie mittlerweile wieder eine Rolle spielt, freut sich Ravn. Sie muss aber auch ein wenig mit den Augen rollen, weil der Text mittlerweile hoch und runter zitiert wird und man Science-Fiction vor einigen Jahren in denselben Kreisen noch belächelte.

„An der Schreibschule hatte ich gelernt, dass gute Literatur aus persönlicher Erfahrung basiert. Irgendwann habe ich gemerkt, dass meine Vorstellungskraft ein sehr großer Teil meiner Erfahrungswelt ist“, sagt Ravn über ihre Entscheidung, sich den Genres anzunähern.

Basierend auf einem echten Fall

Bei „Wachskind“ verschwimmen nun die jahrelange Recherche in den Archiven zu Hexenprozessen und die darauf basierenden, real gelebten Rituale mit ihrer Gruppe in einem Text. Der Ausgangspunkt, sagt Ravn, sei die Erkenntnis gewesen, dass in all den Dokumenten über Hexenprozesse nie die beschuldigten Frauen selbst zu Wort kamen. Es wurde in der dritten Person über sie gesprochen, sie wurden vorverurteilt. Dazu kamen die genau dokumentierten Kosten für die Verbrennung der Frauen. Sie mussten schließlich auf eine eigens dafür gebaute Holzleiter klettern und wurden mit ihr ins Feuer gestoßen.

Ravn stieß auf den Fall von Christenze Kruckow, einer kinderlosen Adligen, die der Hexerei bezichtigt und schließlich verbrannt wurde, weil sie ein Kind aus Bienenwachs nachgeformt haben soll – das Wachskind. Das Besondere an ihrem Fall: Von ihr ist ein Brief dokumentiert. „Wachskind“ zeichnet die Geschichte dieser Frau nach, die gemeinsam mit ihren Freundinnen immer mehr ins Visier der Hexenjäger gerät. Der Text ist auch eine Abhandlung über Freundinnenschaft und gesellschaftliche Paranoia.

„Es wurde angenommen, dass Frauen schwächer sind als Männer und darum leichter vom Satan verführt werden können“, sagt Ravn. „Wenn nicht der Vater oder der Ehemann die Macht besitzt, so die Argumentation, dann jemand anderes.“ Frauen ohne männliche Präsenz seien in dieser Logik wie Spielfiguren für den Satan gewesen.

Auch in „Wachskind“ sieht ein Fischer zufällig Christenze mit ihren Freundinnen durchs Fenster, und das Unheil nimmt seinen Lauf. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive des von Christenze geformten Wachskindes. Der magisch-realistische Blick auf die Grauen der Hexenprozesse mit eingeschobenen Ritualen aus den Archiven macht den Text zu einem komplexen, aber unterhaltsamen Abriss, zu einem, wie Ravn es selbst nennt, „Anti-Historien-Roman“. Doch was sagt uns dieses Buch über die Gegenwart?

Die Handlung von „Wachskind“ lotet klug die Grenzen der Freiheit von Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft aus. Sie warnt davor, wie schnell die männliche Angst vor Machtverlust in Gewalt münden kann, vor allem wenn sie durch religiöse Paranoia verstärkt wird. Ravn wiederum lotet in ihrem Werk die Grenzen von Romankonzepten und Genrezuschreibungen aus und beweist, dass diese längst nichtig geworden sind, insofern man sie klug bricht. Wer weiß, womöglich wird sie in ihrem nächsten Text auch noch Tiere zum Sprechen bringen.

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