Porträt Enver Altaylı: Ex-Agent bittet Deutschland um Hilfe
Nach Deutschland kam er als Spion, wurde enttarnt, ging zurück in die Türkei. Und dann wieder nach Deutschland. Nun sitzt er in der Türkei im Knast.
Enver Altaylı, 73-jähriger türkischer Exagent, der seit August letzten Jahres in der Türkei in U-Haft sitzt, bittet die deutsche Regierung um Hilfe. Altaylı hat neben der türkischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Er ist laut Auswärtigem Amt einer von vier Doppelstaatlern, die nach wie vor aus politischen Gründen in der Türkei inhaftiert sind.
Eine Tochter von Altaylı hat sich jetzt an die Deutsche Presseagentur in Istanbul gewandt, um den Fall ihres Vaters öffentlich zu machen. Auch wenn das Auswärtige Amt lediglich feststellt, dass es aufgrund der doppelten Staatsangehörigkeit keine Erlaubnis habe, den Mann konsularisch zu betreuen, dürfte er bei den deutschen Behörden kein Unbekannter sein.
Altaylı ist ein bekanntes Gesicht der türkischen Ultrarechten, war lange für den türkischen Geheimdienst in Deutschland und hat hier in den 70er Jahren die nationalistische Szene organisiert – im Auftrag von Alparslan Türkeş, dem Gründer der rechtsradikalen MHP.
Die Familie von Altaylı stammt aus Usbekistan, sein Vater floh vor Stalin in die Türkei. Enver Altaylı gehört zu den türkischstämmigen Antikommunisten aus Zentralasien, die vom türkischen Geheimdienst MIT rekrutiert wurden, um die kommunistische Bewegung zu bekämpfen. Er ging 1968 für den MIT nach Deutschland, angeblich um seine Kenntnisse der Sowjetunion zu vertiefen. Laut türkischen Zeitungen hatte er damals sowohl Kontakte zum deutschen Bundesnachrichtendienst als auch zur CIA.
Drahtzieher bei den Grauen Wölfen
In seiner Vernehmung nach seiner Verhaftung gab er an, damals für die Gründung und Organisation türkischer Vereine in Deutschland zuständig gewesen zu sein, er war mit anderen Worten ein Drahtzieher der Grauen Wölfe. Einer der damals bekanntesten türkischen Investigativ-Journalisten, der Cumhuriyet-Reporter Uğur Mumcu, enttarnte ihn als MIT-Agent. Ab 1977 war Altaylı in der Türkei Chefredakteur der MHP-Parteizeitung Hergün. Nach dem Militärputsch 1980 ging er erneut nach Deutschland, 1986 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft.
Seine eigentliche Karriere begann nach dem Zerfall der Sowjetunion 1989. Er soll bei der Staatsgründung Usbekistans beratend mitgewirkt haben, später den usbekischen Diktator Karimow und gleichzeitig den türkischen Präsidenten Turgut Özal beraten haben.
Dort ist er angeblich auf die Gülen-Bewegung getroffen, die laut türkischer Regierung Urheber des gescheiterten Putschversuchs im Juli 2016 gewesen sein soll. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm nun konkret vor, Gülen-Anhänger nach dem Putschversuch dabei unterstützt zu haben, zu flüchten.
Laut seinen Angehörigen sitzt Altaylı seit dem 26. August im Hochsicherheitsgefängnis in Sincan bei Ankara in Einzelhaft. Wie in anderen Fällen auch gibt es keine offizielle Anklage, ein Prozessbeginn ist deshalb nicht in Sicht. Seine Familie hofft, dass die Bundesregierung sich dafür einsetzt, dass Altaylı aus der U-Haft entlassen wird und das weitere Verfahren im Hausarrest abwarten kann.
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