Porträt Clara Herrmann (Grüne): Eine, die Haltung zeigt
Die Grünen-Politikerin Clara Herrmann hat keine Aussichten, zum dritten Mal ins Parlament gewählt zu werden. Beirren lässt sie sich trotzdem nicht.
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Morgens, halb neun, Warschauer Brücke. Glasscherben übersäen den Bürgersteig und zeugen von der letzten Nacht. Jetzt aber sind die Menschenmassen zwischen Tram, S-Bahn und U1 nicht mehr alkoholselig, sondern hasten geschäftig vorbei. Mittendrin steht Clara Herrmann, dunkles T-Shirt, helle Hose, die Haare zum Pferdeschwanz gebunden, und verteilt Wahlkampfmaterial. Die Sonne brennt an diesen allerletzten Sommertagen, kaum jemand bleibt stehen. Herrmann lässt sich nicht beirren, grüßt und streckt die Hand mit dem grün bedruckten Papier aus, immer wieder.
Dabei hätte sie allen Grund, die Sache etwas weniger energisch anzugehen. Denn dass Clara Herrmann, 31, am Sonntag für eine dritte Amtszeit ins Parlament gewählt wird, ist quasi ausgeschlossen. Ihre Partei hat sie nicht aufgestellt im März, als die Landesliste abgestimmt wurde. Zwei Mal hintereinander unterlag sie damals KonkurrentInnen um die Listenplätze.
Und dass sie in ihrem Wahlkreis, Nummer 4 in Friedrichshain-Kreuzberg, der das westliche Friedrichshain umschließt, ein Direktmandat bekommt, ist unwahrscheinlich: 2006 gewann hier die Linke, 2011 die SPD, eine von beiden wird wohl auch dieses Mal gewinnen – Herrmann schaffte es zwar, den Abstand der Grünen zum zweiten Platz auf zehn Prozentpunkte zu verringern, aber das ist immer noch viel.
„Das hat mich hart getroffen, die Sache im März, das kann ich zugeben“, sagt Herrmann. Aufgewachsen in Friedenau, ging sie mit 17 zur Grünen Jugend: „Wenn Partei, dann die Grünen, das war immer klar für mich, es war eher die Frage, ob ich mich nicht stattdessen zum Beispiel bei Greenpeace engagiere.“
2006 dann der Einzug ins Abgeordnetenhaus, bis zur letzten Wahl war sie dort das jüngste Mitglied. Sie wurde haushaltspolitische Sprecherin ihrer Fraktion – ein trockenes, kompliziertes Thema, nicht unbedingt die Wahl, die andere von einer jungen Abgeordneten erwartet hätten. Genau das macht sie stolz.
Gern erzählt sie einen Vergleich, den ein Fraktionskollege von ihr neulich gebracht habe: Wäre die Fraktion ein Schiff, so wären die HaushaltspolitikerInnen die, die im Inneren des Schiffsbaus schuften – harte ArbeiterInnen, unerlässlich für den Kurs, aber ohne die Chance, jemals so im Rampenlicht zu stehen wie der Kapitän auf der Brücke.
Keine Zeit zur Selbstinszenierung
Clara Herrmann (Grüne)
Hier sieht Herrmann auch einen Grund, warum sie es nicht erneut geschafft hat auf die Landesliste – neben einer ganzen Reihe von Faktoren, die nichts direkt mit ihr als Person zu tun haben, eine „Anti-Friedrichshain-Kreuzberg-Haltung“ im Landesverband oder den zahlreichen Quotenregelungen bei der Listenaufstellung, die etwa neue Gesichter begünstigen sollen. Sie habe sich immer auf ihre Arbeit konzentriert, auf ihre fachliche Kompetenz – zum Netzwerken und Kontaktpflegen, aber auch für die in der Politik nicht unwichtige Selbstinszenierung sei ihr da weniger Zeit geblieben.
Tatsächlich: Bei ihrer Arbeit im Abgeordnetenhaus, in den Ausschüssen und bei Debatten, wirkt Herrmann kompetent, aber der schillernde Auftritt ist ihre Sache nicht. Wenn sie etwa über ihre Arbeit im Ausschuss für Verfassungsschutz spricht, nimmt man ihr ab, dass sie die Sitzungen am liebsten mochte, wo keine Presse anwesend war und die Abgeordneten parteiübergreifend zusammenarbeiteten, statt sich gegenseitig auf Kosten des anderen profilieren zu wollen.
Für Zustände wie im Innenausschuss, wo sich Hakan Tas von der Linken, Ex-Pirat Christopher Lauer, der SPD-Mann Tom Schreiber und ihr grüner Fraktionskollege Benedikt Lux gerne testosterongeschwängerte Redeschlachten liefern, immer mit einem Auge bei den anwesenden JournalistInnen, hat sie nur Unverständnis übrig.
Auf der Warschauer Brücke ist sie inzwischen ein paar Mal mit Vorbeihastenden ins Gespräch gekommen, wenn auch nicht unbedingt so, wie erhofft: Mit einer Frau unterhält sie sich über ihr Knieleiden, eine Betrunkene bietet ihr Süßigkeiten an, zwei Touristinnen erkundigen sich nach dem Weg zur East Side Gallery. „Morgens ist es immer ein bisschen schwierig, mit den Leuten über Inhalte zu reden“, sagt sie unbeirrbar.
„Ich will das jetzt noch gut zu Ende machen, ich bin keine, die in so einer Situation einfach alles stehen und liegen lässt“, hatte sie bei einem vorherigen Gespräch gesagt. Was danach kommt, weiß sie noch nicht – und man merkt, dass diese Ungewissheit ihr zu schaffen macht.
Engagiert gegen Rechtsextremismus
Dass sie damals nach ihrem Einzug 2006 ihr Geografiestudium noch beendet hat, macht sie heute froh, trotzdem: Die letzten zehn Jahre war das Abgeordnetendasein ihr Leben, jetzt muss sie sich als gerade mal 31-Jährige neu orientieren. „Wenn Sie von einem Job hören, sagen Sie Bescheid“, witzelt sie, aber so richtig fröhlich klingt ihr Lachen dabei nicht.
In der Öffentlichkeit war sie weniger für ihre haushaltspolitische Tätigkeit bekannt als für ihr anderes Steckenpferd: Sie ist auch Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus, und diesen Job macht sie ebenfalls ziemlich engagiert und profiliert. Ein seltsames Zeichen, dass die Partei sie ausgerechnet in diesen Zeiten, wo die AfD ins Abgeordnetenhaus und die Bezirksparlamente einziehen wird, nicht wieder aufgestellt hat. Herrmann hofft, dass jemand auf diesem Feld ihre Arbeit weiterführen wird – und ein bisschen, das merkt man ihr auf der Warschauer Brücke an, hofft sie auch auf ein kleines Wunder am Wahlsonntag.
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