Populisten bei „Hart aber Fair“: Und jetzt schreien sich alle an
Die Auftritte von Fabio De Masi (BSW) und Leif-Erik Holm (AfD) bei Klamroth erinnern an Trash-Talk à la „Britt“: Geschrei ohne gutes Fact-Checking.
Montagabend, kurz vor halb 12: Wäsche aufhängen, nebenbei läuft ARD. Aufgeregte Rufe sind zu hören. Ein verzweifelter Moderator versucht die Gäste zu beruhigen. „Britt – Der Talk“ läuft doch eigentlich am Nachmittag auf Sat.1, was ist da los? Bei „Hart aber Fair“ startet gerade ein weiterer erfolgloser Versuch des ÖRR, Rechte und Populisten in einer Talkshow zu stellen und ihre Argumente zu entkräften. So anders als bei „Britt“ geht es aber gar nicht zu.
Thema der montäglichen Sendung: „Kampf um Europa: Siegen die Populisten?“. Um dieser Frage nachzugehen, hat sich Moderator Louis Klamroth gleich zwei Vertreter populistischer Parteien in die Sendung geholt – Fabio De Masi vom BSW und Leif-Erik Holm von der AfD. Doch auch die meisten übrigen Gäste – Katharina Barley (SPD), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Anton Hofreiter (Bündnis 90/ Die Grünen), Julia Klöckner (CDU) und der Journalist Gordon Repinski – schrecken nicht davor zurück, populistisch zuzuspitzen.
Strack-Zimmermann bezeichnet De Masi als Putinversteher, derselbe fragt gleich zu Beginn, weshalb Politiker ihre Söhne denn nicht selber in die ukrainischen Schützengräben schicken würden. „Sie zündeln, sie zündeln!“, ruft Holm Strack-Zimmermann entgegen. De Masi und Strack-Zimmermann bezeichnen sich wechselseitig als Populisten und Klöckner vergleicht den demokratischen Sozialisten Pedro Sánchez mit dem ungarischen Autokraten Viktor Orbán.
Anders ist das bei „Britt“ nicht: Auch hier wird durcheinandergeschrien, sich gegenseitig beschimpft und höchst emotional argumentiert. Doch während es dort um die Zukunft belasteter Liebesbeziehung geht, geht es bei Klamroth um die Zukunft der Europäischen Union. Dabei könnte er sich durchaus etwas Gelassenheit bei Moderatorin Britt Hagedorn abschauen: Artet der Streit bei „Britt“ aus, lehnt sie sich zufrieden zurück und rennt nicht wie Klamroth hektisch herum und ermahnt erfolglos die Gäste.
Verspäteter Lügendetektor
Auch inhaltlich gibt es Überschneidungen: Bei „Britt“ wird darüber gestritten, wer Fremdgänger und wer Liebhaber ist. Bei „Hart aber Fair“ geht es darum, ob EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen sich mit Postfaschistin Melonie verbündet oder eine treue Verteidigerin der Brandmauer gegen rechts ist.
Fakten-Checks erfolgen bei „Britt“ per „Lügendetektor“, der auf die mutmaßlichen Fremdgeher gerichtet wird, während sie bei „Hart aber Fair“ am nächsten Tag nachgeliefert werden. So kann man bei „Britt“ sofort nachvollziehen, ob der Gast die Wahrheit spricht (theoretisch, denn die Funktionalität von Lügendetektoren ist leider widerlegt). Gäbe es funktionierende Lügendetektoren, wäre verzweifelten Moderatoren wie Klamroth sicher geholfen, denn Faktenchecks, die am nachfolgenden Tag geliefert werden, gehen meist unter.
So sind die Ressourcen, die der ÖRR für Talkshows bereitstellt, zu denen Populist:innen eingeladen werden, leider nicht ausreichend, um Argumente dieser Akteure noch während der Sendung zu widerlegen. Ähnlich wie bei „Britt“ buhen die die Zuschauer:innen dann auch, berechtigterweise: Denn Holm war nicht bereit, sich von den Aussagen Krahs zu distanzieren, die die Verbrechen der SS verharmlosten.
Klamroth dagegen ist kaum etwas vorzuwerfen. Vielmehr schwächelt das Format an zu vielen Gästen und zu wenig Expertise. So kommt AfD-Mann Holm, obwohl er sich nicht klar von den SS-Aussagen Krahs distanziert, recht gut weg und ist nicht mal der größte Schreihals der Runde. Während es bei „Britt“ recht egal ist, ob die diskutierten Fragen ausgewogen geklärt werden, kommt „Hart aber Fair“ eine immense Verantwortung zu. Wenn Talkshows wie diese Idioten eine Bühne bieten und eine extrem unproduktive Gesprächskultur prägen, ist das, anders als bei Britt nicht lustig, sondern gefährlich und verfehlt den Auftrag des ÖRR.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen