Pop-Frauen: Leben in der Farce
Falsche These, gutes Ergebnis: In dem Interview-Bildband "Frontfrauen des deutschen Pop" reden 13 Musikerinnen über ihren Beruf.
Allein die Vorstellung! Ein ganzes Hochglanz-Buch voll mit Interviews, mit den Frontmännern des deutschen Pop. Und an alle die gleichen Fragen: Wie ist es so, auf Deutsch zu singen? Was willst du mit deiner Musik beim Publikum erreichen? Wie sieht für dich das ideale Leben aus? Und dann die Antworten, vielleicht von Marcus Wiebusch (Kettcar), Farin Urlaub (Ärzte), Bill Kaulitz (Tokio Hotel) oder gar Peter S. Brugger (Sportfreunde Stiller). Man stelle sich das vor! Gähn. Grusel.
Da kann man sich freuen, dass die Frauen, die der Autor Arnt Cobber in seinem Interview-Bildband jetzt als "Frontfrauen des deutschen Pop" versammelt hat, mit seinen immergleichen Fragen einfallsreicher umgehen, als es von den Männern zu erwarten gewesen wäre. Eine ganze Reihe der 13 Interviewten ist beispielsweise so geschmackssicher, das reißerische Wort "Frontfrau" von vornherein recht weit von sich zu weisen. Christiane Rösinger, Sängerin und Gitarristin der Band Britta (und taz-Autorin), sagt gleich auf die erste plumpe Frage von Cobber ("Fühlst du dich als Frontfrau des deutschen Pop?"): "Das ist ein ganz schlimmer Titel, finde ich." Auch die Disco-Agitations-Chanteuse Bernadette La Hengst findet den Begriff "problematisch", weil er ihr zu sehr nach "Mainstream-Einheitsbrei" klingt. Und die Musikjournalistin Pinky Rose, die als Expertin eingeschaltet wird, sagt: "Die Frontfrau im deutschen Pop ist vor allem ein typisch deutsches Hirngespinst."
Ein Hirngespinst allerdings, das diesem frisch erschienenen Band einigermaßen trotzig als Legitimation für sein eigenes Erscheinen dient. Ein Hirngespinst, das zu tun hat mit einigen der zurzeit chartkompatibelsten deutschen Bands, Bands mit einer Frau als Sängerin und Männern als Instrumentalisten. Man denke an Wir Sind Helden, Juli, Silbermond, Rosenstolz, Mia - deren "Frontfrauen" Cobbers allerdings gerade nicht als Interview-Partnerinnen gewinnen konnte. Und auch wenn die Marketingabteilungen der noch überlebenden Plattenfirmen es vielleicht gut hinbekommen haben, einen neuen Weiblichkeitsboom auszurufen, so ist das natürlich Augenwischerei, wie auch Suzie Kerstgens von Klee weiß: "Letztlich ist die Popmusik oder überhaupt die Musikszene sehr stark männerdominiert, auch wenn Bands wie Juli oder Wir Sind Helden gerade sehr populär sind. Aber deswegen gibt es ja jetzt nicht mehr Bands mit Mädchen."
Immerhin gibt es aufgrund der Girl-Wellen-Schimäre einen Anlass, die wichtigen Frauen der deutschen Popwelt zusammenzutrommeln. Auch wenn der Autor in Sachen Interviewführung noch lernen kann: Er schafft es zumindest, keine Interviews à la "Betroffenheit only" zu fabrizieren, also die Frauen ausschließlich als Leidgeprüfte zu befragen, die sich in einer Macho-Männerwelt aus ihrem kategorischen Opferstatus mühsam herausgebissen haben. Denn dass das Musikbusiness und die ganze Kaste der Populärmusikmachenden immer noch zu 90 Prozent männlich ist, wird ihm von jeder seiner Gesprächspartnerinnen einfach allzu deutlich aufs Brot geschmiert - als Fakt und nicht als Riesenproblem. Bernadette La Hengst sagt herrlich lakonisch: "Aber das ist in sehr vielen Berufen so, und es ist eine Farce, dass das Leben überhaupt noch so funktioniert." Das Leben in dieser Farce scheint bei allen Gesprächen durch, aber eben als eine pragmatisch zu behandelnde und vielfach auch produktiv zu nutzende.
Zum Glück bleibt Cobbers nicht ausschließlich bei Gender-Issues, sondern fragt seine 13 Gesprächspartnerinnen - darunter Elke Brauweiler (Paula), Anja Krabbe (AK 4711), Inga Humpe (2raumwohnung) und Barbara Morgenstern - einigermaßen brav, im Endergebnis aber doch recht aufschlussreich auch nach ihrer Musiksozialisation, ihren Karrierewegen, ihrer Weise, Musik herzustellen, ihrem Ehrgeiz, ihrer Arten der Überlebenssicherung, ihrer Meinung zur Musikkritik, ihrem Popbegriff.
Das zieht sich manchmal ein wenig in die Länge, das hätte auch ansprechender illustriert sein können als mit all diesen aalglatten Promofotos, ist aber letzten Endes doch eine unterhaltsame und leise aufrüttelnde Lektüre. Zu erfahren, wie sich nicht besonders divenhaft sich gebende Frauen - die interessantesten haben die 30 bereits hinter sich gelassen - das hinbekommen haben mit einem annähernd selbstbestimmten Leben in einer Mens World, ist schön. Auch weil man den Eindruck gewinnt: Sie mussten nicht unglaublich crazy sein. Sie mussten nicht wahnsinnig sexy sein. Sie brauchten ein bisschen Zufallsglück hier, ein wenig Klavierunterricht in der Jugend dort, eine Jungsband als Einstieg mal, eine Portion Mut, ihre Liebe zur Musik und viel Durchhaltevermögen. Recht normale Dinge also für eine weibliche Berufsbiografie.
Man sollte "Frontfrauen im deutschen Pop" schon kleinen Mädchen in die Hände drücken - sie werden Lust bekommen, sich ein Mikrofon zu schnappen, sich eine Gitarre umzuhängen, sich das Sequencing- und Musikbearbeitungsprogramm "Logic" auf dem Laptop zu installieren. Außerdem sollte auf der Basis dieses Buches ein Soziologie-Graduiertenkolleg eingerichtet werden, das sich die immer noch so dringend gebotene Grundlagenforschung vornimmt zum Thema "Warum ist das eigentlich so, dass Frauen nicht so selbstverständlich das Produktionsfeld Pop für sich reklamieren wie Männer?". Denn dass hier außer wuchernden Vermutungen noch nicht viel zur Debatte steht, ist nach der Lektüre traurig klar. Christiane Rösinger sagt auf die nämliche Frage gleich: "Wie viele Stunden darf ich reden?" Und Suzie Kerstgens fährt eine ganz exquisite These auf, die mit dem Start einer jeden Musikerkarriere zu tun hat: In den abgeranzten Proberäumen irgendwo am Stadtrand gebe es eben keine Toiletten. Was Stehpinkler nicht groß stört. Es wäre zu schön, wenn nur der Einsatz einiger Wasserinstallateurinnen das Geschlechtergleichgewicht nicht nur im deutschen Pop richten würde.
Arnt Cobbers: "Wir sind jetzt! Frontfrauen im deutschen Pop". Schott Music, Mainz 2007, 127 Seiten, 19,95 Euro
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