piwik no script img

Polnisches Verhältnis zu DeutschlandMedienkrieg um die Nachbarn

Nach einem Entschuldigungsbrief polnischer Journalisten an deutsche Kollegen gibt es Reaktionen. Vor allem von Rechten und PiS-Treuen.

Ratspräsident Donald Tusk im Gespräch mit der deutschen Kanzlerin Foto: reuters

Berlin taz | Deutsche Politiker in Wehrmachtsuniformen, eine deutsche Dominanz über Europa und ein polnischer Kandidat für das Amt des EU-Ratspräsidenten, der aus dem Bundeskanzleramt gesteuert wird: schräge Bilder, haltlose Behauptungen eines Teils der polnischen Presse, vor allem regierungsnaher Medien. Die Gazeta Polska etwa hat zuletzt besonders tief in die Trickkiste gegriffen.

Das Rechtsaußenblatt, das sogenannte „kluby“, regierungstreue Aktivistengruppen, auch in Deutschland in Berlin, Hamburg oder Frankfurt am Main unterhält, zeigte auf einer Titelseite einen polnischen Straßenbahnwagon, aus dem Angela Merkel steigt, auf der Frontseite ein Schild: „Nur für deutsche Fahrgäste“, eine Anspielung auf die deutsche Besetzung Polens während des Zweiten Weltkriegs.

Der Anlass für diese drastische Darstellung war am 9. März die Wiederwahl Donald Tusks, ehemals Premierminister Polens und Mitglied der liberalkonservativen PO (Bürgerplattform), zum EU-Ratspräsidenten. Er trat gegen den Willen der in Warschau regierenden, nationalkonservativen PiS (Recht und Gerechtigkeit) an. Die Partei des mächtigen Vorsitzenden, in Polen meist einfach „prezes“ genannten Jarosław Kaczyński stellte einen Gegenkandidaten auf, den weitgehend unbekannten EU-Parlamentarier Jacek Saryusz-Wolski.

Das Vorhaben, einen Mann in Brüssel zu platzieren, der nicht die Politik der PiS kritisiert, so wie Tusk es tut, musste scheitern. Von Beginn an war klar, dass die meisten EU-Mitgliedsstaaten den gut vernetzten Amtsinhaber aus Danzig stützten. Dass aber die Ungarn Saryusz-Wolski die Stimme und somit der PiS die Gefolgschaft verweigern würden, damit wohl hat Kaczyński, der „große Stratege“, wie er nun ironisierend von der Opposition genannt wird, nicht gerechnet.

Genervt von Ränkespielen

Auch wenn Kaczyński jetzt versuchen kann, Polen als Underdog, als Streiter für die eigene Sache gegen ein übermächtiges Europa zu verkaufen, um die Einheit seiner Wählerschaft und vielleicht sogar so etwas wie die nationale Einheit zu beschwören, das Land scheint sich auf dem internationalen Parkett zu isolieren. In Brüssel zeigt man sich genervt davon, sich mit innerpolnischen Ränkespielen beschäftigen zu müssen.

Für rechte polnische Medien lässt sich Tusks Wiederwahl nur damit erklären, dass er Kanzlerin Merkels Mann für den Posten sei. Von Behauptungen wie dieser, aber auch von einer in Polen immer häufiger geforderten „Renationalisierung“ verschiedener Verlage und Angriffen gegen ausländische Medienunternehmen wie Ringier Axel Springer, Herausgeber der polnischen Newsweek, distanzierte sich in einem offenen Schreiben am vergangenen Wochenende eine Gruppe polnischer Journalisten.

Die „Towarzystwo Dziennikarskie“ („Journalistische Gesellschaft“), eine Organisation, die von Journalisten vor allem der Gazeta Wyborcza, Polens größter Tageszeitung, um den Publizisten Seweryn Blumsztajn gegründet wurde, richtete sich an deutsche Journalisten und eine deutsche Öffentlichkeit. In dem Dokument, das in seiner deutschen Version auch von der taz veröffentlicht wurde, war zum Beispiel die Rede von Worten „der Entschuldigung und des Bedauerns“ angesichts der schrillen Rhetorik aus Warschau.

Die PiS-Treuen ließen mit ihren Reaktionen darauf nicht lange auf sich warten. Cezary Gmyz zum Beispiel, seit September 2016 Korrespondent des Polnischen Fernsehens in Berlin, kommentierte, der Brief sei Ausdruck einer unterwürfigen Haltung gegenüber den Deutschen. Und die Gazeta Polska machte am 21. März mit Bildern der Mitglieder der Towarzystwo Dziennikarskie auf, darüber die Zeile „Wazeliniarze“, frei übersetzt heißt das soviel wie „Speichellecker“.

Chefredakteur Tomasz Sakiewicz fragte dann noch ironisch auf Twitter: „Wofür sollen wir uns bei den Deutschen entschuldigen? Für den Warschauer Aufstand?“ Im Zuge der Niederschlagung des Aufstandes ab 1. August 1944 zerstörten die Deutschen die polnische Hauptstadt beinahe vollständig, in den Ruinen überlebten nur wenige Tausend Menschen.

Zweifel an Tusk

Die Tatsache, dass bisweilen auch deutsche Journalisten nicht vorurteilsfrei über Polen berichten, stattdessen alte Bilder bedienen, die an die besten Tage des Polenwitzes eines Harald Schmidt erinnern, ist einer kritischen Selbstbespiegelung würdig. Die verstörenden Attacken polnischer Journalisten jedoch helfen niemandem weiter.

Auch die Wiederwahl Donald Tusks zum EU-Ratspräsidenten kann kritisch begleitet werden, immerhin wurde ein Pole von einer europäischen Mehrheit gegen die Regierung seines Landes durchgesetzt, ein Novum, das institutionelle Fragen aufwirft. Zudem ist Tusk in Polen nicht nur unter PiS-Anhängern umstritten, seine Rolle in der sogenannten Amber-Gold-Affäre, die sich um Betrug und Geldwäsche dreht, ist für viele nicht abschließend geklärt; und in Folge eines Abhörskandals in den Jahren 2014 und 2015 mussten Minister seiner Partei zurücktreten.

Nach der Einführung eines neuen Mediengesetzes, des personellen Umbaus der öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunkanstalten und des Drucks, den PiS auch auf private Verlage, wie Agora, zu dem die Gazeta Wyborcza gehört, ausübt, wird eine seriöse Berichterstattung und sachliche Auseinandersetzung jedoch zunehmend schwierig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!