Offener Brief polnischer Journalisten: Schluss mit den Nazivergleichen
Polnische Medien sind bisweilen schnell zur Hand mit drastischen Analogien, wenn es um Deutschland geht. Das kritisieren jetzt Journalisten des Landes.
Dass ein Teil der polnischen Presse gelegentlich scharf gegen Deutschland schießt, ist nichts Neues – und sicher oft auch nicht unbegründet. Eine kritische Grundhaltung gehört zur Pressearbeit dazu.
Die vergangenen Wochen aber, im Fahrwasser um die Kontroverse der Verlängerung der Amtszeit des EU-Ratspräsidenten Donald Tusk, der von der Regierung seines Heimatlandes Polen nicht unterstützt wurde, haben Vertreter regierungsnaher Medien wie Gazeta Polska oder Do Rzeczy jedoch besonders tief in die Trickkiste gegriffen. Die Verleumdung von Tusk als „deutscher Kandidat“ war da noch harmlos.
Als Illustrationen einer deutschen Dominanz in Europa wurden gerne auch Wehrmachtsuniformen ausgepackt. Vor dem Hintergrund der Faschismus-Vorwürfe gegen Europa aus der Türkei, ist das beinahe untergegangen.
In einem offenen Brief hat sich die polnische Journalistische Gesellschaft (Towarzystwo Dziennikarskie), eine unabhängige Journalistenorganisation, die auf eine Initiative von Angehörigen der Gazeta Wyborcza, der größten Tageszeitung des Landes zurückgeht, nun an deutsche Journalisten und die deutsche Leserschaft gewandt mit dem Ziel, zu zeigen, dass sie nicht hinter der schrillen Rhetorik der regierungsnahen Medien steht und diese verurteilt.
Wir dokumentieren nachfolgend die deutsche Übersetzung des Briefes.
Brief an deutsche Journalisten und die deutsche Leserschaft
Liebe Freunde,
die über Jahre aufgebaute deutsch-polnische Partnerschaft und Freundschaft werden heute durch Wellen lügnerischer, aggressiver und antideutscher Propaganda gefährdet, die von der polnischen Regierung initiiert wird und an die kommunistischen Kampagnen aus den 60er-Jahren erinnert.
Auf den ersten Seiten regierungsnaher Medien sehen wir beleidigende Fotomontagen, die deutsche Politiker und Vertreter der Europäischen Union in Uniformen der Wehrmacht zeigen. Die wichtigsten Politiker der polnischen Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) beschuldigen Deutschland – eigentlich ein Verbündeter und ein Freund Polens – es würde versuchen, Europa zu dominieren und dem Kontinent seinen „deutschen Willen“ aufzuzwingen.
Die Pressesprecherin der PiS beklagte in der Hauptausgabe der „Tagesschau“ des polnischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens, dass der deutsche Staat sich in die inneren Angelegenheiten Polens einmische. Und sie fragte, ob Polen ein freies Land sei oder eine deutsche Kolonie. Darüber hinaus hat sie eine neue Gesetzgebung angekündigt, in deren Folge deutsche Verlagshäuser aus dem polnischen Pressemarkt gejagt werden sollen. Sie ging sogar so weit zu versuchen, den Vorstand von Ringer Axel Springer mit einem Strafverfahren einzuschüchtern.
Liebe deutsche Freunde, wir wissen, wie peinlich und unrecht diese Lügen und Verleumdungen sind. Wir möchten Ihnen versichern, dass wir sie als genauso peinlich empfinden, wir, die wir den Rechtsstaat und die Demokratie in Polen verteidigen.
Obwohl wir für diese schäbige Propagandakampagne, von der wir auch betroffen sind, nicht verantwortlich sind, möchten wir an Sie Worte der Entschuldigung und des Bedauerns richten. Wir, die Unterzeichner dieses Briefes, sind Journalisten, Publizisten und Redakteuren der Medien, die mit der Idee von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stark verbunden sind. Wir bewundern die deutsche Gesellschaft und den deutschen Staat für die Einhaltung demokratischer und moralischer Standards und für die Solidarität mit Verfolgten.
Wir sind überzeugt, dass die Mehrheit der polnischen öffentlichen Meinung gegen diese mit bösen Absichten verbreitete antideutsche Propaganda immun wird. Wir hoffen darauf, dass es sich nur um ein peinliches und schamhaftes Kapitel in der Geschichte der guten deutsch-polnischen Beziehungen handelt.
Towarzystwo Dziennikarskie – Journalistische Gesellschaft
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier