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Polizeivorfall wegen fehlendem TicketUnbeholfene Polizeiarbeit

Mehrere Zeugenvideos zeigen, wie drei Po­li­zis­t*in­nen eine Schwarze Frau an einer Bushaltestelle niederringen. Initiative kritisiert das Vorgehen.

Ausschnitt aus dem Zeugenvideo Foto: screenshot

Berlin taz | „Nicht hingucken, Schatz“ und „Können wir jetzt endlich weiterfahren“, hört man eine Frau im Bus sagen. Mehrere Zeugenvideos, die der taz vorliegen, zeigen, wie drei Po­li­zis­t*in­nen eine Schwarze Frau an der Bushaltestelle Adenauerplatz minutenlang angehen und mehrmals versuchen, sie niederzuringen und sie festhalten, um ihr Handschellen anzulegen.

„Ich war im X10 in Richtung Halensee unterwegs, als unser Bus hielt und minutenlang nicht mehr weiterfuhr“, sagt ein Zeuge gegenüber taz. Am Adenauerplatz hätte der Busfahrer hinter einem anderen Bus gestoppt, zwei Kontrolleure, erkennbar an ihren Ablesegeräten, hätten sich am vorderen Bus aufgehalten.

Laut Polizeimeldung vom Dienstag sei die Frau „ohne gültigen Fahrausweis“ unterwegs gewesen und „soll sich geweigert haben, ihre Personalien anzugeben“, in der mitgeführten Tasche waren laut Polizei „mutmaßliche Betäubungsmittel“.

Der Busfahrer habe eine zufällig vorbeifahrende Polizeistreife auf die Situation aufmerksam gemacht. „Als die Polizisten sich ihre schwarzen Handschuhe angezogen haben, habe ich angefangen zu filmen“, erinnert sich der US-Amerikaner. Davor habe er gehört, dass einer der Polizisten sich aggressiv vor der Frau aufbaute und ihr auf Englisch ins Gesicht brüllte: „We're gonna arrest you!“ Diese Szene ist nicht auf dem Video enthalten, was die Po­li­zis­t*in­nen und die Frau sagen und schreien, hört man auf allen Videos nur schlecht bis kaum, da sie aus dem Inneren des Busses gefilmt sind.

BVG-Kontrolleur hält mit fest

Das längste Video mit über sechs Minuten beginnt damit, dass die Frau einen der Polizisten sichtlich beschimpft und ihm ins Gesicht schlägt. Die Frau wirkt verstört und stemmt sich mit ganzer Kraft gegen die drei Polizist*innen, dreht ihren Kopf nach links und versucht die Polizistin zu beißen.

Es folgt ein minutenlanges, unbeholfen anmutendes Gerangel. Die Po­li­zis­t*in­nen treten die Frau, schlagen sie. Die Frau stößt einem der Polizisten, der sich erneut vor sie aufbaut, ihren Kopf in die Brust.

Daraufhin würgt er sie und drückt ihr Gesicht gegen die Fensterscheibe der Bushaltestelle. Sie beißt ihn in die Hand. Mit einem Tritt gegen die Beine wird sie zu Fall gebracht. Hilfe bekommen die Po­li­zis­t*in­nen beim Fixieren auf dem Boden aber auch von einem der anwesenden BVG-Kontrolleure, der die Frau zusammen mit den beiden Polizisten am Oberkörper festhält, und von einem Passanten. Markus Falkner von der BVG begründet das Verhalten des Kontrolleurs damit, dass „Kontrollkräfte im Rahmen der Nothilfe natürlich helfen“ dürften. Nach etwa vier Minuten ist die Frau in Handschellen, die Polizistin hält sie weiterhin fest. Einer der beiden Polizisten blutet sichtlich an der rechten Hand.

Ermittlungen gegen die Frau laufen

Weiteres konnte die Polizei nicht zu dem Fall sagen, da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien. Die Personalien der Frau seien per Fingerabdruck festgestellt worden. Laut Polizeimeldung sei die „aggressiv agierende 42-Jährige“ in Polizeigewahrsam gebracht. Ihr sei Blut abgenommen worden „da sie nach Alkohol roch, unter starken Stimmungsschwankungen litt und gerötete Augen hatte“. Die Ergebnisse würden erst in den kommenden Tagen feststehen.

Gegen die festgenommene Frau laufen nun mehrere Ermittlungen: unter anderem wegen tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte, Widerstands, eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und Erschleichen von Leistungen.

Biplab Basu von der Beratungstelle ReachOut Berlin, die Opfer von Racial Profiling und rassistischer Polizeigewalt unterstützt, ist mehr als verwundert über das Verhalten der drei Polizist*innen. „Das geht doch nicht, dass Po­li­zis­t*in­nen so gering in Deeskalation geschult sind“, sagt er. Man sehe, dass die Frau nervös und verstört sei und wahrscheinlich auch ihre Gründe habe, ohne Ticket zu fahren. “Und das kann man ihr doch klarmachen, ohne die Situation derart eskalieren zu lassen.“

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5 Kommentare

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  • Nun die Polizistinnen wollten hier nicht deeskalieren und beruhigen, sondern eine schwarze Frau zusammenschlagen und das haben sie auch gemacht.



    Dass die Frau das nicht einfach so über sich ergehen ließ, ist für die Polizei natürlich ein Skandal.

    • @TeeTS:

      Nach dem Artikel war es wohl anders.

  • Die Frau fängt an, einem Polizisten ins Gesicht zu schlagen, und versucht zu beißen.

    Wo soll da noch Spielraum für Deeskalation sein?

    Und da sie wahrscheinlich ihre Gründe hat, ohne Ticket zu fahren, darf sie das?

    Hat nicht jede_r,die/der eine Straftat begeht, seine Gründe?

    Vielleicht sollte sich ReachOut mehr über den Job der Polizei und die rechtlichen Rahmenbedingungen informieren

    • @rero:

      "Vielleicht sollte sich ReachOut mehr über den Job der Polizei und die rechtlichen Rahmenbedingungen informieren"

      Genau. Das ist hier der Punkt. Das ist das Defizit.

      ReachOut hat keinen blassen Dunst von deutscher Polizeiarbeit.

      • @Jim Hawkins:

        Die Regeln für die ÖPNV-Nutzung sind, wie sie sind.

        Man kann sie blöd finden, ignorieren, dagegen protestieren etc.

        Beißen und ins Gesicht schlagen geht gar nicht.

        Da gibt es auch nichts rumzulegitimieren.

        Da liegt das zentrale Defizit, stimmt.

        ReachOut scheint sich vorzustellen, die Polizei hätte die Frau weiterfahren lassen sollen, schließlich habe sie ja ihre Gründe gehabt.

        Da gilt für die Polizisten: "Herzlich willkommen in der Strafvereitelung im Amt".

        Dafür verlieren sie ggf. ihren Job.