Polizeiruf 110 Krimi im Ersten: Menschliche Abgründe im Grenzgebiet
Das ungleiche Team versucht den Mord an einer Geologin aufzudecken. Nicht selten stehen sie sich dabei selbst im Weg.
Ein Frau rennt panisch durch den Wald, sie stolpert. Es ist dunkel, nur die Umrisse der Bäume sind zu erkennen. Sie schreit angsterfüllt, bevor sie niedergeschlagen wird. Es geht alles ganz schnell, am Ende der Szene ist sie tot. Erstickt mit einer Plastiktüte über dem Kopf. Mit diesem altbekannten Krimi-Bild beginnt der Polizeiruf 110 „Abgrund“ in der Lausitz.
Die Kulisse, in der der Polizeianwärter Vincent Ross (André Kaczmarczyk) und Kriminalhauptkommissar Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) den Fall lösen müssen, ist dagegen ziemlich eindrücklich.
Die Leiche wird von dem Partner der Verstorbenen in der Nähe eines ehemaligen Braunkohlegebiets gefunden. Kamerafahrten zeigen im Laufe der Folge viel Sand im deutsch-polnischen Grenzgebiet, das wuchtige, stillgelegte Braunkohlenwerk, ein verlassenes Ferienlager. Die Tote ist die Geologin Magdalena Nowak, sie arbeitete an einem Bodengutachten für de Renaturierung des Gebiets.
Die Ermittler müssen herausfinden, ob der Mord mit dem Tod einer anderen Person zusammenhängt, deren Leiche bei einer Rutschung im ehemaligen Werk auftaucht. Sie quartieren sich in dem kleinem Ort Fehlow ein, das von Einwohnerschwund geprägt ist.
Toxische Männlichkeit
Die Leute scheinen nicht viel Gutes in dem Ort zu finden: Die Mutter, mit Gemüseladen, hat seit eineinhalb Jahren keinen Kontakt zu ihrer Tochter, der Wirt, der beinahe ein Hotel gebaut hätte, und der unsichtbare Wärter des stillgelegten Braunkohlenwerks. Menschen von außerhalb werden in der Gemeinde nicht akzeptiert, obwohl manche hierherkommen, um „alles Schlechte hinter sich zu lassen“, wie die Barkeeperin Eva Wozniak aus Breslau in einer Kneipe dem Hauptkommissar anvertraut.
Brandenburg-„Polizeiruf 110: Abgrund“, Sonntag, 12. Dezember, 20.15 Uhr, ARD
Die Kommissare schauen in menschliche Abgründe und sehen Trauer, Wut und Perversion. Sie betrachten aber auch ihre eigenen und stehen sich bei den Ermittlungen häufig selbst im Weg. Die Zusammenarbeit zwischen dem urbanen Polizeianwärter Ross im pinken Pullunder und dem überarbeiteten Hauptkommissar ist von toxischer Männlichkeit geprägt.
Im Laufe der Folge spitzt sich die Dynamik zu, Raczek verweigert jedes Gespräch über seine Panikattacken, aber auch Ross versucht sich mit seinem psychologischen Wissen über seinen älteren Partner zu stellen.
In Nebensträngen zeigt sich dieser Machtkampf am besten: Als sich die beiden in Fehlow in ein Hotel einmieten, bestellt Ross zunächst ein Zimmer mit Doppelbett, Raczek will aber unbedingt alleine schlafen. Sie spielen ihre unterschiedlichen Methoden gegeneinander aus und einigen sich: Wer am Ende recht hatte, gibt ein Bier aus. Klassisch.
Weniger gelungen sind bei diesem „Polizeiruf“ die als Rückblenden gedachten Filmaufnahmen. Mit lachenden, feiernden Menschen kontrastieren sie die Tristesse im Ort, stehen so aber ziemlich zusammenhanglos da. Die Landschaftsaufnahmen des alten Werks im Dämmerlicht, das die zweite Leiche offenlegt, sind dafür umso eindrucksvoller.
Neben den Aufnahmen können die Zuschauer*innen vor allem den zunehmend verschlechterten psychischen Zustand des Hauptkommissars Adam Raczek verfolgen, der am Ende eine folgenschwere Entscheidung trifft. Denn für Lucas Gregorowicz ist das die letzte Folge im deutsch-polnischen Team.
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