Polizeiliche Willkür beim "Christival": Knüppel gegen Knutschende
Zwei junge Queer-AktivistInnen klagen gegen die Bremer Polizei, weil diese sie während des evangelikalen Christivals in Gewahrsam genommen und durchsucht hatte. Warum es dazu kam, ist unklar.
Der Anwalt der Polizei bringt es mit seinen Fragen auf den Punkt. "Wie erklären Sie sich, dass die Polizisten Sie und Ihre Gruppe zurück drängen und schlagen mussten?", will Dieter Göddecke von seinem Gegenüber, dem 20-jährigen Ferdinand K. wissen. "Ich habe keine Ahnung", sagt der, während sich seine Anwältin über die Formulierung "schlagen müssen" empört. Göddecke fragt unbeirrt weiter. "Wie erklären Sie sich, dass ausgerechnet Sie auf den Boden gedrückt und in Gewahrsam genommen wurden - halten Sie das für polizeiliche Willkür?" Einige Zuhörer und Zuhörerinnen im überfüllten Saal 11 des Bremer Verwaltungsgerichts lachen auf.
"Polizeiliche Willkür" - genau deswegen sind sie ja hier, deswegen klagt K. gemeinsam mit Angela O., einer weiteren Betroffenen, gegen die Bremer Polizei. Diese hatte die beiden am 2. Mai 2008 während einer Aktion gegen das Evangelikalen-Fest "Christival" in Gewahrsam genommen - ohne dass es dafür einen Anlass gegeben habe, wie die beiden gestern darlegten. In K.s Fall kam noch dazu, dass er sich im Polizeigewahrsam vor drei Polizisten vollständig ausziehen musste und dabei nach seinem Empfinden beleidigt wurde. "Ich habe bestimmt keine Lust, Ihnen in die Arschritze zu glotzen", soll einer der Männer zu ihm gesagt haben. Und, als er nackt vor ihnen stand, "Arschritze okay, an der Nudel ist auch nichts."
Küsse gegen Heilung
Das Verwaltungsgericht soll auf Antrag der AktivistInnen die Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme und der Durchsuchung feststellen. Ein Urteil gab es dazu gestern nicht, aber der Vorsitzende Richter Ingo Kramer sagte nach Anhörung der beiden Kläger, dass ihre Klage erfolgreich sein könnte.
K. schildert, wie er an dem Abend vor fast zwei Jahren an einem "Kiss-In" in der Bremer Martinikirche teilgenommen hatte. Mit Küssen und Umarmungen protestierten Queer-AktivistInnen gegen den dort gehaltenen Vortrag über Seminare, die Homosexuelle "heilen" wollen.
Nach dem Kiss-In zog eine Gruppe von zehn bis 15 Leuten, darunter K. und Angela O., zum nahe gelegenen Marktplatz, auf dem christliche Bands auftraten. "Wir wollten dort Homophobie thematisieren", sagt K., die Atmosphäre in der Gruppe sei nett gewesen, "wir hatten Erdbeersekt dabei und Pappherzen". O, sagt, sie habe es richtig gefunden, "auch auf dem Marktplatz zu provozieren, wir hätten dort gerne weiter geknutscht". Doch dazu kam es nicht mehr.
"Wir sind sehr schnell von der Polizei weg gedrängt worden", erzählt sie, beide erinnern sich an eine sehr aggressive Stimmung unter den Polizisten, "wir sind geschlagen und geschubst worden", mehrere Leute, darunter K., hätten schmerzhafte Schläge mit dem Schlagstock abbekommen. "Ich wollte wissen, was überhaupt los war", sagt O., "bekam aber keine Antwort". Stattdessen sei sie von der Gruppe getrennt worden und gegen eine Schaufensterscheibe "geklatscht" worden, wo ihr ein Polizist die Hände auf den Rücken drehte. K. wurde etwas später zu Boden gedrückt und mit Handschellen gefesselt, als er sich aus Angst vor weiteren Schlägen "aus der Situation herausziehen" wollte, wie er es nennt.
Streit um Kleiderfarbe
Die Polizei begründete die Gewalt im Nachhinein damit, dass sie einen aus der Gruppe in einem Polizeiwagen festgehalten habe, den die anderen daraufhin befreien wollten. K. und O. verneinen dies, auch hat die Staatsanwaltschaft bereits ein Strafverfahren gegen die beiden wegen "versuchter Gefangenenbefreiung" eingestellt. K. widerspricht auch der Darstellung, es habe bei ihm und den anderen um eine Gruppe "dunkel Gekleideter" gehandelt. "Wir waren so bunt angezogen wie es nur ging".
Außerdem, so stellte es gestern auch der Anwalt der Polizei dar, seien Platzverweise ausgesprochen worden, die K. und O. missachtet hätten. Für das Gericht ist diese Frage, ob ein Platzverweis und für welchen Bereich er ausgesprochen wurde, von zentraler Bedeutung. Fraglich sei, so Richter Ingo Kramer, ob es sich bei der Gruppe nicht um eine Versammlung gehandelt habe. In diesem Fall hätte die Polizei gegen das grundgesetzlich geschützte Versammlungsrecht verstoßen.
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