Polizeikongress in Berlin: „Demokratiegefährdende Ausmaße“
Die Chefs von BKA und Verfassungsschutz versprechen mehr Härte gegen Rechtsextreme. Doch der Einsatz versprochener Maßnahmen zieht sich.
![Zwei Männer Zwei Männer](https://taz.de/picture/3955628/14/24706723-1.jpeg)
Nach dem Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und dem Anschlag in Halle mussten die Behörden reagieren. Münch gab nun bekannt, dass man inzwischen 53 Rechtsextreme als Gefährder einstuft, denen man Anschläge zutraut – vor einem Jahr waren es noch 33. Und die Zahl werde sich noch weiter erhöhen, so Münch.
Denn das BKA schaut inzwischen systematischer auf die rechtsextreme Szene. In Fallkonferenzen werden derzeit einzelne Neonazis auf ihre Gefährlichkeit überprüft. Dennoch hinkt auch die Zahl der 53 Gefährder noch hinterher. Denn der Verfassungsschutz zählt derzeit 12.700 gewaltbereite Rechtsextremisten im Land. Und auf islamistischer Seite listet das BKA ganze 670 Gefährder.
Auch deshalb will die Behörde ein Analyseinstrument von der islamistischen Szene auf die rechtsextreme übertragen: Radar-iTe. Mittels eines langen Fragebogens werden damit Extremisten auf ein Anschlagsrisiko durchgecheckt. Doch eine Einführung wird noch dauern. Eine BKA-Sprecherin bestätigte am Mittwoch, dass eine flächendeckende Anwendung erst für das Frühjahr 2022 „angestrebt“ wird. Zuvor müssten noch „wissenschaftliche Gütekriterien“ erarbeitet, eine rechtliche Überprüfung durchgeführt und Anwender geschult werden.
Aufbau zieht sich hin
Oppositionspolitiker halten die Einführung für zu spät. „Die Gefahrenbewertung von Rechtsextremisten muss schnellstmöglich, nicht erst 2022 verbessert werden“, erklärte FDP-Innenexperte Benjamin Strasser.
Und auch der Aufbau eines zweiten Projekts zieht sich hin. Das BKA will auch eine Zentralstelle gegen Hasskriminalität im Internet aufbauen. Verursacher von strafbaren Onlinepostings sollen dort identifiziert, von Providern übermittelte Fälle übernommen und Ermittlungen gegen die Hetzer eingeleitet werden. Anfang 2021 werde dazu ein „Pilot“ starten, sagte Münch am Mittwoch. Noch laufe eine Konzeptphase mit einer Projektgruppe. Eine Sprecherin ergänzte, derzeit würden noch die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen, um die Zentralstelle aufzubauen.
Schon nach dem Lübcke-Mord hatten BKA und Verfassungsschutz diese und andere Reformvorschläge für ihre Arbeit gegen den Rechtsextremismus vorgelegt. Einige fanden im Herbst Eingang in ein Maßnahmenpaket der Bundesregierung: eine Meldepflicht für Provider bei Hasspostings, mehr digitale Aufklärung, ein schärferes Waffenrecht. Anderes – wie härtere Strafen für Feindeslisten (siehe unten) – blieb vorerst außen vor, wird jetzt aber wieder auf die Agenda gesetzt. Und der Vorstoß der Behörden, stärker auf Verbote zu setzen, wurde vor zwei Wochen erstmals umgesetzt: mit dem Verbot des rechtsextremen Combat 18.
Auch Herbert Reul (CDU), Innenminister von NRW, nannte am Mittwoch den Kampf gegen Rechtsextremismus „eine Herkulesaufgabe“. „Es ist erschreckend, was da los ist.“ Das Problem sei das „Ausfransen“ der rechtsextremen Szene in die Gesellschaft und der Hass im Netz. Zentral sei, an die IP-Adressen der Verursacher zu kommen. Bundesinnenminister Seehofer (CSU) hatte sich auf dem Kongress zuvor ähnlich geäußert.
Münch und Haldenwang betonten aber auch, dass der Islamismus weiter eine Gefahr bleibe. Die Sicherheitslage sei hier „alles andere als entspannt“. 11.300 Islamisten zähle man, ein Wiedererstarken des IS sei nicht ausgeschlossen. Beide warnten auch vor einem erstarkten Linksextremismus. Haldenwang sprach von einer „zunehmenden Militanz“, inzwischen auch gegen Personen. Hotspots seien Berlin, Hamburg und Leipzig. Noch gebe es keine Entwicklung in Richtung einer RAF, so Haldenwang. Aber die Gewalt sei „indiskutabel“, auch wenn sie sich „schein-intellektuell“ kleide. „Es gibt keinen noblen Extremismus.“
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