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Polizeigewalt in AlbanienWenn sich Wut mit Wucht entlädt

Hunderte protestieren nach dem Tod eines 25-Jährigen für Aufklärung innerhalb der Polizei. Der Passant hatte gegen Corona-Ausgangssperren verstoßen.

Zorn nach dem Tod von Klodian Rasha, hier bei Protesten am 10. Dezember in Tirana Foto: Florion Goga/reuters

Berlin taz | Eigentlich sollte in den Straßen der albanischen Hauptstadt Tirana in diesen Tagen besinnliche Ruhe herrschen – nicht nur wegen der Vorweihnachtszeit, sondern auch wegen einer pandemiebedingten Ausgangssperre und eines Versammlungsverbots. Stattdessen steigen seit fünf Tagen zwischen dem zentralen Skanderbeg-Platz und den Regierungsgebäuden Rauch- und Tränengasschwaden in die Höhe, sogar der ein oder andere Weihnachtsbaum stand zwischenzeitlich in Flammen.

Hunderte Menschen protestieren seit dem Tod eines 25-Jährigen nicht nur in Tirana, sondern auch in anderen Städten des Landes. Sie fordern den Rücktritt von Polizeichef Ardi Veliu und Reformen innerhalb der Polizei.

Denn am frühen Dienstag vergangener Woche wurde der junge Passant von einem Polizisten erschossen, als er während der Ausgangssperre gegen 2 Uhr auf der Straße gesichtet wurde. Auf Rufe der Polizisten habe er nicht reagiert, geben diese an. Stattdessen sei er geflüchtet. Zunächst hieß es, er habe mutmaßlich eine Waffe getragen, was später zurückgenommen wurde. Ein Polizist schoss und traf ihn tödlich. Der Beamte sitzt nun in Untersuchungshaft.

Nach ersten Protesten trat Innenminister Sander Lleshaj am vergangenen Donnerstag zurück. Er teile den Schmerz der Familie des Getöteten, sagte Lleshaj. Ministerpräsident Edi Rama entschuldigte sich bei den Hinterbliebenen und versprach, die Justiz werde den Täter zur Rechenschaft ziehen. Das Geschehene sei aber ein Einzelfall gewesen und „unerklärlich“.

Doch die Protestierenden fordern Erklärungen und weitere Konsequenzen – trotz des Rücktritts und des Schuldbekenntnisses der Polizei, dass es sich um „überzogene Gewaltanwendung“ gehandelt habe. Doch Polizeichef Veliu weigert sich bislang, seinen Posten zu räumen.

Protest trotz Coronarichtlinien

Auch bei den jüngsten Demonstrationen ging die Polizei mit Tränengas und Wasserwerfern hart gegen die Demonstrierenden vor. Diese warfen mit Steinen, blockierten Straßen und schlugen Scheiben ein. Die Coronarichtlinien missachteten sie, wonach sich nur bis zu zehn Personen versammeln dürfen. In der nordalbanischen Stadt Shkoder wurde zudem ein Parteibüro der Regierungspartei PS verwüstet.

In Tirana wurden am Sonntag Dutzende Demonstrierende festgenommen. Zuletzt hatten in Albanien immer wieder verschiedene Anlässe zu Protesten mit spontanen Gewaltausbrüchen geführt.

Eine dieser Festnahmen filmte Qamil Xhani, Chefredakteur der Zeitung Koka Jone, durch das Fenster des Redaktionsgebäudes in der Tiraner Innenstadt mit seinem Handy. Daraufhin wurde er laut der Albanien-Sektion der Association of European Journalists (AEJ) selbst von Polizeikräften festgenommen. Auch die Filmaufnahmen habe die Polizei gelöscht. Die AEJ nennt dies „inakzeptabel“ und fordert eine Untersuchung der Vorfälle. Auch der Journalist Xhoi Malesia des Fernsehsenders Ora News TV gab an, am Donnerstag von der Polizei mehrere Stunden festgehalten worden zu sein.

Die Polizei in Albanien ist in den vergangenen Jahren mehrfach in die Kritik geraten. Der Vorwurf: Sie soll wiederholt parteipolitisch gehandelt haben. In dem Balkanstaat stehen sich die regierende Sozialistische Partei (PS) und die Demokratische Partei (PD) unversöhnlich gegenüber und nutzen jedes Mittel, sich gegenseitig zu blockieren oder zu diskreditieren.

So nutzte auch der scheidende Innenminister Lleshaj seinen Rücktritt zu einem Seitenhieb auf die PD: Anders als er sei Oppositionsführer Lulzim Basha 2011 nicht zurückgetreten, als bei Protesten vier Menschen getötet wurden.

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