Polizeigewalt gegen Schwarze: Die Angst im Nacken
15 Minuten lang soll ein Polizist einem Schwarzen das Knie in den Nacken gedrückt haben, bis er bewusstlos wurde. Nun steht das Opfer vor Gericht.
Zefanias M.
Zefanias M. hat überlebt. Dafür muss er sich nun vor Gericht wegen tätlichen Angriffs, Körperverletzung und Beleidigung gegen Vollstreckungsbeamte verantworten. „Polizisten dürfen dich schlagen und quälen, aber wehe, du beleidigst sie“, sagt M. resigniert. Auch er hat Anzeige gestellt gegen die Beamt*innen, wegen Körperverletzung im Amt und Freiheitsberaubung. Doch das Verfahren wurde eingestellt. Als Zefanias M. Beschwerde dagegen einlegte, wurde es zwar wieder aufgenommen, aber so lange zurückgestellt, bis über die Vorwürfe gegen ihn entschieden ist.
Drei Jahre ist der Vorfall mittlerweile her, da war George Floyd noch am Leben und es gab auch noch keine weltweite Protestwelle gegen rassistische Polizeigewalt im Allgemeinen und die potenziell tödliche Polizeipraktik im Speziellen.
In der Nacht des 4. Novembers 2019 stieg Zefanias M. gegen halb eins an der Hermannstraße aus der U-Bahn. Als er sah, wie BVG-Securities einen obdachlosen Mann gewaltsam rauswerfen wollten, mischte er sich ein. „Sie haben direkt ihre Handschuhe angezogen und mich geschlagen“, sagt der gebürtige Berliner.
Entscheidende Videoaufnahmen sind verschwunden
Was danach passiert, ist auf einem Überwachungsvideo der BVG festgehalten, das am Mittwoch im Gerichtsaal gezeigt wird. Man sieht Zefanias M., der auf dem Bahnsteig auf einer Bank sitzt und mit den herbeigerufenen Polizisten diskutiert. Als er aufsteht, wird er von den Beamten auf die Bank gedrückt und anschließend in einer Ecke gewaltsam fixiert und zu Boden geworfen. Was man nicht sieht, ist, dass der junge Mann einem der Polizisten ins Gesicht schlägt, wie die Einsatzkräfte behaupten. „Eine glatte Lüge“, konstatiert Anwalt Armin Grimm.
Ebenfalls nicht zu sehen sind die 15 Minuten, in denen einer der Polizisten dem auf der Bank fixierten Zefanias M. das Knie in den Nacken gepresst haben soll. „Genau die Aufnahmen, auf denen ich gequält wurde, sind plötzlich verschwunden“, sagt der 29-Jährige. Dass die entscheidenden Beweise fehlen, überrascht Anwalt Grimm nicht. „Wir brauchen unabhängige Institutionen, die solche Videos anfordern und sichern“, fordert er. „Wenn Polizeibeamte gegen sich selbst ermitteln, bringt das nichts.“
„Die Staatsanwaltschaft ist nicht neutral. Sie stellt sich immer schützend vor die Polizei“, sagt Biplab Basu von der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP), die M. in dem Prozess unterstützt. Ohne Konsequenzen für rassistisches Verhalten würden Polizist*innen jedoch einfach so weitermachen. „Du kannst oft nichts gegen die Polizei machen, das führt zu noch mehr Problemen“, sagt Basu, der selbst unlängst wegen Racial Profiling bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gezogen war – mit Erfolg.
Rassistische Polizeigewalt kein Einzelfall
Es ist nicht das erste Mal, dass in diesem Prozess die Überwachungsvideos gezeigt werden, die Zefanias M. entlasten. Seit September wird der Fall bereits vor dem Kriminalgericht in Moabit verhandelt. Nach der ersten Durchsicht habe die Richterin vorgeschlagen, das Verfahren einzustellen, doch die Staatsanwältin habe auf ihrer Anklage bestanden, sagt Anwalt Grimm. Nach der erneuten Durchsicht am Mittwoch wird zumindest der Vorwurf des Widerstandes fallen gelassen. Zu einem Urteil kommt es allerdings nicht, stattdessen wird der Prozess auf Mitte November vertagt.
Zefanias M. hofft auf einen Freispruch, auch wenn er nicht so recht daran glaubt. Sollte er verurteilt werden, will er in Berufung gehen. Dass nicht die Polizisten, die ihn geschlagen und gewürgt haben, sondern er vor Gericht steht, findet er „unfair“. Das Verhalten der Beamten ist in seinen Augen nicht nur unverhältnismäßig, sondern auch rassistisch.
In Berlin kommt es immer wieder zu Beschwerden wegen rassistischer Polizeigewalt. Seit der Einführung des Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) im Juni 2020 können Betroffene gegen staatliche Diskriminierung vorgehen. Seitdem sind bei der Ombudsstelle 109 Beschwerden gegen die Polizei eingegangen, davon mit 68 mehr als die Hälfte wegen rassistischer Diskriminierung. Demnach sei dabei „auffällig“, dass die Schilderungen der Betroffenen und der Polizei „stark voneinander abweichen“. Aus Sicht der LADG-Ombudsstelle zeigen sich hier „eindeutige Indizien für eine verbesserungswürdige Fehlerkultur bei der Polizei“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“