Polizeigewalt bei Protesten in Chile: Eingequetscht zwischen Polizeiwagen
Ein junger Demonstrant wird mit Wucht zwischen zwei gepanzerten Polizeiwagen gedrückt. In Chile löst das eine neue Welle der Wut aus.
Das Lateinamerika-Büro der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte drückte seine „Sorge“ über den Vorfall aus, der deutlich mache, dass weiterhin Personen bei Demonstrationen verletzt würden.
Gegen den Polizisten, der das Auto fuhr, mit dem Pérez gegen den anderen Wagen gedrückt wurde, wird inzwischen ermittelt. Das Nationale Menschenrechtsinstitut Chiles hatte verlangt, den Polizisten wegen versuchten Totschlags anzuklagen und in Untersuchungshaft zu nehmen.
Demonstrationen gehen weiter
Dem folgten die Behörden jedoch nicht – der am Samstag festgenommene Beamte muss sich nur wegen fahrlässiger Körperverletzung verantworten, ist wieder in Freiheit und muss sich lediglich während der geschätzt 150 Tage audauernden Ermittlungen einmal monatlich bei einer Polizeistation melden. Aus den Videoaufnahmen und der Darstellung der Polizei ergäben sich keine Hinweise auf eine vorsätzliche Tat, hieß es zur Begründung.
Empfohlener externer Inhalt
Proteste in Chile
Zunächst die Sozialistische Partei, später aber auch Abgeordnete aller anderen Oppositionsfraktionen, forderten den Rücktritt des Intendenten der Hauptstadt, Felipe Guevara von der rechten Partei Renovación Nacional und des Chefs der Carabineros, Mario Rozas. #FueraGuevara (Guevara raus!) entwickelte sich übers Wochenende zum Hashtag dieser Forderung, die auch bei weiteren Demonstrationen am Samstag auf der Straße aufgenommen wurde.
Guevara selbst versuchte über Twitter, sein Mitgefühl für den verletzten Demonstranten auszudrücken. Solche bedauernswerten Vorfälle ließen niemanden kalt, schrieb er. Pérez befinde sich im Krankenhaus, er habe ein gebrochenes Becken, sei aber stabil. Die Regierung werde die Umstände des Vorfalls untersuchen, vor allem aber weiterhin an der Wiederherstellung der öffentliche Ordnung arbeiten.
Weder auf der Straße noch im Netz kam Guevara damit gut an. Die Protestierenden warfen ihm vielmehr eine direkte Schuld vor und forderten umso vehementer seinen Rücktritt. Für Sonntag sind weitere Demonstrationen angekündigt.
Zahl der Augenverletzungen steigt weiter
Bei den seit inzwischen über zwei Monaten andauernden Protesten, die mit Verärgerung über eine Fahrpreiserhöhung begonnen, sich aber schnell zum Protest gegen die rechtskonservative Regierung und das neoliberale Wirtschaftssystem ausgeweitet hatten, sind inzwischen Tausende Protestierende verletzt worden.
Mehrere internationale Menschenrechtsorganisationen haben die exzessive Polizeigewalt verurteilt. Und obwohl die Polizei angekündigt hatte, auf den Einsatz von Gummigeschossen zukünftig weitgehende verzichten zu wollen, nachdem über 200 junge Leute durch solche Geschosse ein Augenlicht verloren hatten, steigt die Zahl der schweren Augenverletzungen kontinuierlich – inzwischen sind es schon über 350.
In der vergangenen Woche, nachdem immer wieder unerklärliche Verletzungen bei Demonstrierenden festgestellt worden waren, die von Wasserwerfern getroffen worden waren, musste die Polizei zugeben, dem Wasser ätzende Natronlauge beigefügt zu haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen