Polizeieinsatz gegen Linke: Österreichs Antifa im Visier
Nach einem Polizeieinsatz an der NS-Gedenkstätte Peršmanhof gehen Behörden gegen eine deutsche Person vor, die am Antifa-Camp im Juli teilnahm.
Vor zwei Monaten erreichte Leo Bäcker ein Brief des österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Der Inhalt liest sich wie eine Drohung: „Wir teilen Ihnen mit, dass in folgender Angelegenheit eine Beweisaufnahme stattgefunden hat: Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme.“ Die Behörden prüfen, ob Leo Bäcker – trotz deutscher Staatsbürgerschaft – aus Österreich ausgewiesen werden kann.
Leo Bäcker ist 24 Jahre alt, non-binär, lebt seit vier Jahren in Österreich und studiert in Wien. Eigentlich heißt Leo Bäcker anders, doch aus Sorge vor negativen Konsequenzen und weiterer Repression soll hier dieser Name stehen.
Die Behörden begründen das Verfahren damit, dass Leo Bäcker derzeit keiner Arbeit nachginge. „Das stimmt nicht, ich habe mehrere Jobs, komme damit nur nicht über die Steuergrenze. Für meinen Unterhalt kann ich sorgen, auch, weil meine Eltern mich unterstützen“, sagt they.
Der Brief des BFA ist die Konsequenz einer Polizeikontrolle, in die Leo Bäcker am 27. Juli bei einem umstrittenen Einsatz kam. An der NS-Gedenkstätte Peršmanhof waren Spezialeinheiten der Polizei angerückt, als handle es sich um einen Anti-Terroreinsatz: Ein Hubschrauber war über dem Gelände gekreist, bewaffnete Einheiten hatten ein mit Unterstützung der Gedenkstätte organisiertes antifaschistisches Bildungscamp gestürmt und sich Zugang zum Museum verschafft.
SS-Sturm im April 1945
Rund 60 Personen – Studierende, Aktivist*innen und Nachkommen von NS-Opfern – wurden kontrolliert, darunter Leo Bäcker. Viele berichten von Einschüchterung und Retraumatisierung – auch Kärntner Slowen*innen, für die der Peršmanhof aufgrund seiner Geschichte ein zentraler Erinnerungsort ist. Am Abend des 25. April 1945 hatten Männer des „SS-Polizeiregiments 13“ diesen Hof gestürmt. Sie hatten elf Angehörige der kärnterslowenischen Familien Sadovnik und Kogoj ermordet, zu den Opfern gehörten sieben Kinder im Alter zwischen einem und zwölf Jahren.
Der Kärtner Polizeieinsatz am 27. Juli dieses Jahres löste diplomatische Verwerfungen mit dem Nachbarland Slowenien aus, das auf eine umfassende Aufarbeitung drängt. Bernard Sadovnik, ein Nachfahre der Ermordeten und Obmann der Gemeinschaft der Kärntner Slowenen und Sloweninnen, erklärte: „So ein massiver Polizeieinsatz genau 80 Jahre nach dem Massaker reißt bei mir als Nachkomme Wunden auf.“
Die Polizei begründete ihr martialisches Auftreten an einer NS-Gedenkstätte, die abgelegen in den Bergen liegt, zunächst mit zwei kleineren Verstößen. Einer davon war ein Verstoß gegen das Kärntner Campingplatzgesetz – weil die Teilnehmenden dort Zelte aufgestellt hatten. Der andere Verstoß lautete „Anstandsverletzung“.
Für die Zelte gab es die Erlaubnis der Gedenkstätte. Worin die Anstandsverletzung genau bestehen soll, möchten weder die Polizeidirektion Kärnten noch das österreichische Innenministerium auf Anfrage der taz derzeit kommentieren.
Sie verweisen auf eine parlamentarische Anfrage und einen Zwischenbericht der „multiprofessionellen Kommission“, die vom Innenministerium eingerichtet wurde und klären soll, wie und warum es überhaupt zu dem Polizeieinsatz kam. Darunter, neben Polizeijuristen und Historikerinnen auch Angehörige der kärntnerslowenischen Minderheit.
Aus der Antwort des Innenministers Gerhard Karner (ÖVP) auf eine parlamentarische Anfrage der grünen Nationalratsabgeordneten Lukas Hammer und Olga Voglauer geht hervor, dass der Einsatz auf Anordnung des stellvertretenden Leiters des Kärntner Landesamts Staatsschutz und Extremismusbekämpfung (LSE) erfolgte, der den Polizeieinsatz auch leitete.
Es handelt sich dabei um den Beamten, der in den Räumen der Gedenkstätte die Hand an seiner Dienstwaffe hatte und dabei rumbrüllte– ein Video davon fand im Anschluss große Verbreitung in den sozialen Medien. Der Beamte wurde inzwischen einer anderen Dienststelle zugewiesen und ist nicht mehr beim LSE.
Der Wiener Rechtsanwalt Wilfried Embacher, Experte für Fremdenrecht, ordnet ein: „Wegen Verwaltungsübertretungen dürfen Gebäude nur in Ausnahmefällen betreten werden. Das BFA darf allerdings sehr viel mehr.“ Tatsächlich rechtfertigt Innenminister Karner in seiner Antwort den Einsatz des BFA damit, dass „Fremde“ vor Ort gewesen seien. Experte Embacher sagt: „Dass dort Ausländer sind, reicht nicht, um einen Einsatz des BFA zu begründen. Es muss vorher schon ein konkreter Verdacht bestehen, dass dort Personen sind, die sich nicht rechtmäßig in Österreich aufhalten.“
Leo Bäcker vermutet hinter dem Verfahren zwei Motive: „Ich denke, es geht darum, die Anwesenheit des BFA im Nachhinein zu rechtfertigen.“ Darüber hinaus gebe es eine politische Absicht: „Ich glaube, es ging darum, Repressionen gegen die Minderheit der Kärntner Slowen*innen und gegen Linke auszuüben.“
Rechtfertigung im Nachhinein
Die offiziellen Erklärungen zum Polizeieinsatz überzeugen auch Rechtsanwalt Embacher nicht: „Es entsteht der Eindruck, dass man im Nachhinein versucht, den Einsatz am Peršmanhof mit dem Fremdenpolizeigesetz zu rechtfertigen. Ich sehe die Rechtsgrundlage hier bislang nicht.“
Beim Einsatz am Peršmanhof war auch Gert-Andre Klösch, Bezirkshauptmann von Völkermarkt, vor Ort. Klösch stand in der Vergangenheit in der Kritik, weil er das „Kroatengedenken“ im nahegelegenen Bleiburg/Pliberk geduldet hat – eine Veranstaltung, bei der über Jahre die kroatischen Nazikollaborateure der Ustascha verherrlicht wurden.
Bis zu ihrer letzten Versammlung 2019 galt dieses Treffen als eine der größten rechtsextremen Versammlungen Europas. Umso unverhältnismäßiger wirkt das Vorgehen gegen ein paar Dutzend Antifaschist*innen an einer NS-Gedenkstätte.
Außerdem hielt Klösch vergangenes Jahr die Festrede bei einer Gedenkfeier des deutschnationalen Kärtner Abwehrkämpferbunds, der vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes als „rechtsextreme Vorfeldorganisation“ eingestuft wird. Wie groß Klöschs konkrete Verantwortung für den Einsatz am Peršmanhof war, bleibt eine der offenen Fragen.
Für Leo Bäcker ist die Sache klar: „Ich finde es beängstigend, dass österreichische Behörden meinen Aufenthalt anfechten, nur weil ich an einem antifaschistischen Bildungscamp in einer KZ-Gedenkstätte teilgenommen habe.“ Die anfängliche Panik hat sich gelegt. Bäcker lässt sich juristisch vertreten und blickt dem Verfahren optimistisch entgegen: „Ich sehe keine Grundlage für eine aufenthaltsbeendende Maßnahme – die Begründung ist haltlos. Emotional hat das Ganze Spuren hinterlassen.“
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