piwik no script img

Polizeieinsatz gegen CoronaleugnerKinder im Regen

Die Polizei erhält Lob für ihren Einsatz. Die Wasserwerfer blieben ohne Druck, weil unter den Demonstrant*innen Kinder waren. Stimmt das?

Wasserwerfereinsatz gegen Coronaleugner*innen Foto: Paul Zinken

Berlin taz | Kurz nach 12 Uhr begann es am Mittwoch zwischen Brandenburger Tor und Reichstag zu regnen. Zwei Wasserwerfer rückten auf die Menge der Coronaleugner*innen vor, um die zuvor aufgelöste Versammlung zu zerstreuen, aus der der Druck auf die Polizeikette immer größer wurde. Für die Berliner Polizei war der Einsatz eine Besonderheit. Über sieben Jahre ist es her, dass sie letztmalig ihre Wasserwerfer zum Einsatz brachten, bei Protesten gegen einen NPD-Aufmarsch am 1. Mai 2013 in Schöneweide.

Fünf Wasserwerfer waren am Mittwoch über mehrere Stunden im Einsatz. Dass viele Demonstrant*innen dennoch nicht zurückwichen, ist einerseits auf ihre Radikalisierung zurückzuführen – ihre zum Wahn gesteigerte Vorstellung, das Infektionsschutzgesetz, das gleichzeitig im Bundestag verabschiedet wurde, schaffe die Grundrechte ab.

Anderseits blieb die Wirkung begrenzt, weil die Wasserwerfer keinen harten Strahl verspritzten, sondern einen Sprühregen über die Menge ergehen ließen. Polizeisprecher Thilo Cablitz begründete: „Den direkten Strahl können wir nicht einsetzen, weil sich darunter auch Kinder befinden.“

In sozialen Medien und Telegram-Gruppen dominierte die Kinder-Frage viele Diskussionen, die vor allem zwei Pole kannte: Die einen echauffierten sich über einen Einsatz gegen „friedlich demonstrierende Kinder und Rentner“ als weiteres Zeichen für einen zunehmend autoritären Staat. Die anderen warfen den Demonstrierenden unverantwortliches Handeln vor, indem sie Kinder überhaupt auf so eine Demo mitbringen, oder schrieben, Kinder seien als „Schutzschilde missbraucht“ worden. Linke wiesen darauf hin, dass die Polizei bei ihren Demos härter vorgehen würde.

Gut präparierte Demonstranten

Viele Beobachter*innen und Journalist*innen, die direkt von den Protesten berichteten, wunderten sich dagegen über den Hinweis auf Kinder. In den ersten Reihen befanden sich überwiegend Männer mittleren Alters, teilweise sogar mit Schutzbrillen und Regencapes ausgestattet. Zu ihnen gehörte ein kleines Who is Who der rechten Szene: vom Hallenser Neonazi Sven Liebich, der aufgepeitscht schrie: „Schießt doch die ersten Reihen tot“, über den Kameradschaftler und Ex-NPDler Thomas Wulff bis zum Brandenburger AfD-Abgeordneten Lars Günther.

Londoner Regen und kein Stuttgarter Strahl

Niklas Schrader, linke

Gegenüber der taz verteidigte Cablitz das Vorgehen. Zum Beginn des Einsatzes sei ein Kind von etwa zehn Jahren in den vorderen Reihen gewesen. Das schließe den Einsatz des harten Strahls aus, dessen Wirkung er als „immens“ beschreibt. Während die Polizei gegen aggressive Störer*innen in den ersten Reihen direkt vorgegangen sei, wurde eine weite Fläche beregnet. „Es gab Eltern, die haben sich einen Spaß daraus gemacht, dass alle nass waren“, so Cablitz.

Benjamin Jendro, Sprecher der Berliner Gewerkschaft der Polizei, sprach gegenüber der taz von einem „schwierigen Einsatz“, weil „Tausende gegen Regeln verstießen“. Den Einsatz der Wasserwerfer wertete er als „deutliches Zeichen, dass Polizei keine anderen Möglichkeiten mehr hatte“, nachdem sie mit Auflagen, Durchsagen und Ansprachen an Einzelne keine Erfolge erzielt habe.

Den gemäßigten Wasserwerfereinsatz begründete auch Jendro mit Kindern in der Menge. Es sei versucht worden, die Menschen zu zerstreuen, um „Störer besser selektieren“ zu können. Angesichts der Gefahr für Polizist*innen, sich in der Masse an Menschen ohne Mund-Nasen-Schutz anzustecken, wiederholte er seine Forderung nach einer befristeten Einschränkung der erlaubten Versammlungsgröße.

Koalition ist sich einig

Vonseiten der innenpolitischen Sprecher von Grünen und Linken gibt es – wie auch von Innensenator Geisel (SPD), der den Einsatz als notwendig bezeichnete – ebenfalls Lob für den Einsatz. „Gut gemacht“, lautet die Bilanz des grünen Benedikt Lux. Es sei richtig gewesen, konsequenter als bei den letzten Coronaleugner-Demos vorzugehen. „Die Polizei hat dabei aber sehr ruhig, besonnen und mit Augenmaß reagiert.“ Die Versammlung aufzulösen sei ein Knochenjob gewesen, so Lux.

Der Linke Niklas Schrader sah die Polizei dieses Mal ebenfalls deutlich besser vorbereitet. Beim Vorfahren der Wasserwerfer habe er zwar schlucken und an die Ereignisse am Schwarzen Donnerstag, dem Protest gegen den Bahnhofneubau Stuttgart 21, denken müssen, als ein Demonstrant durch den harten Strahl einen großen Teil seiner Sehkraft einbüßte. Aber: Was am Mittwoch aus den Düsen der Wasserwerfer kam, so Schrader, sei „Londoner Regen und kein Stuttgarter Strahl“ gewesen: „So gesehen war das Vorgehen in Ordnung.“

Insgesamt waren bei den Protesten 2.500 Polizist*innen im Einsatz, 365 Personen wurden in Gewahrsam genommen, so viele wie lange nicht. Bei zwei Personen wird wegen des Verdachts auf schweren Landfriedensbruchs Untersuchungshaft geprüft. Von 2.500 Polizist*innen seien 77 verletzt worden, drei davon wurden im Krankenhaus behandelt. Einer Polizistin sei gegen den Kopf getreten worden.

Bereits am Sonntag wollen rechtsoffene Coronaleugner*innen erneut auf die Straße gehen zu einem Schweigemarsch, der 12 Uhr an der Bornholmer Straße startet. Linke Gruppen haben Gegenprotest angekündigt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Waren nun Kinder dabei oder nicht?



    Auf den Fotos von flickr sind Jugendliche zu sehen.

    • @nzuli sana:

      Der Mann von der Cop-Gewerkschaft sagt ja. Bilder oder Videos habe ich allerdings noch keine gesehen.

      Aufrufe von Querdenkern auf Twitter, Kinder mitzubringen, gibt es wohl, aber da weiß man ja nie, wie es um die Echtheit bestellt ist.

      www.deutschlandfun...:article_id=487780

  • Habe mir eben ein paar Videos vom Mittwoch angeschaut. Bis auf ein Baby im Tragesack, irgendwo hinten in der Menge ist mir kein Kind untergekommen. Dafür massenhaft Spinner mit kryptischen Transparenten.



    Der Wasserwurf glich einer Vernebelungsanlage. Die Leute im Bild bekamen keinen Tropfen ab und waren entsprechend unbeeindruckt.



    Demoauflösungen hab ich irgendwie anders in Erinnerung.

  • Seit wann hat die Polizei denn ein Problem mit Gewalt gegen Kinder?

    • @Oskar:

      Ob sie nun früher hatte oder nicht, will sich jemand beschweren, wenn sie's heute hat? Doch wohl nicht...

  • Kleiner Tippfehler: Demeonstrant