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PolizeieinsätzeRepressionen gegen Fußballfans halten an

Der Dachverband der Fanhilfen protokolliert unverhältnismäßige Polizeieinsätze gegen Fußballfans. Kürzlich hat er seinen Saisonbericht veröffentlicht.

Die Zahl unverhältnismäßiger Polizeieinsätze gegen Fußballfans bleibt stabil auf hohem Niveau Foto: Noah Wedel/imago

Kaum angekommen, treten sie schon wieder die Abreise an. Am 8. Dezember letzten Jahres treffen Rot-Weiss Essen und der TSV 1860 München in der dritten Liga aufeinander. Rund 1.500 Münchener Fans begleiteten ihr Team nach Essen – doch am Stadion machen sie wieder kehrt. Grund sind Einlasskontrollen, bei denen einzelne bereits im Intimbereich abgetastet wurden. Zurück am Essener Hauptbahnhof geraten die Münchener Fans dann mit der Polizei aneinander. Den Fans zufolge setzt die Polizei Schlagstöcke und Pfefferspray ein. Ärztliche Hilfe konnten die teils verletzten Fans ihrem Bericht nach erst nach einer Zugfahrt in Duisburg in Anspruch nehmen.

Es sind Ereignisse wie diese, die der Dachverband der Fanhilfen in seinem Saisonbericht dokumentiert, den er am Mittwochvormittag vorgestellt hat. 24 Fälle von „überzogenen, unverhältnismäßigen und gewalttätigen Polizeieinsätzen gegen Fans“ sind aufgelistet. Eine Zahl, die im Saisonvergleich „stabil auf hohem Niveau“ bleibe, so der Verband.

Polizei verhindert Stadionbesuch

Im Rückblick auf die Vorsaison wird im Bericht unter anderem festgestellt, dass Fans häufiger das Stadion gar nicht erst erreichen. Meist liege das nicht, wie im Essener Fall, an den Einlasskontrollen, sondern an Einsätzen der Polizei, sagt Oliver Wiebe von der Fanhilfe Magdeburg bei der Vorstellung des Berichts. So wurden beispielsweise rund 500 Fans des FC Schalke 04 vor einem Spiel gegen den 1. FC Magdeburg von der Polizei festgehalten. Die Polizei habe die Personalien der Fans aufgenommen, sie gefilmt und schließlich ein Verbot ausgesprochen, das Stadion zu betreten. Laut Fanhilfe hat die Polizei ihr Vorgehen damit begründet, dass ihr Hinweise auf eine „Drittortauseinandersetzung“ zwischen den Fans der Vereine vorlägen.

Die Fanhilfe warnt vor den wachsenden Möglichkeiten bei der digitalen Überwachung rund um das Stadion

Nach den Spielen kommt es ebenso immer wieder zu Verzögerungen. Wiebe berichtet von einer Kontrolle Magdeburger Fans vor der Rückreise nach einem Spiel bei Holstein Kiel. Er habe den Eindruck, dass die Polizei solche Einsätze als Versuchslabor nutzt: „Die Polizei trainiert mit solchen Aktionen für den Ernstfall: Wie schaffen wir es, einen ganzen Zug zu stoppen und die Personalien zu kontrollieren?“

Sorge vor zunehmender Überwachung

Auch die Themen Datenschutz und Überwachung werden im Bericht problematisiert: Vergangenen Oktober hat die Polizei vor einer Partie des FC Schalke 04 in Hannover beim Hotel- und Gaststättenverband Dehoga Daten von Gästegruppen aus Gelsenkirchen erfragt. Die Fanhilfe Hannover sieht darin einen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung und hat den Landes­datenschutzbeauftragten von Niedersachsen informiert.

Der Dachverband der Fanhilfen warnt angesichts wachsender Möglichkeiten bei der digitalen Überwachung vor Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Fußballfans. Eine solche Praxis digitaler Überwachung von Fußballfans hatte im Vorfeld der Männerfußball-EM der Bayerische Rundfunks dokumentiert: Um das mit der Eintrittskarte verknüpfte ÖPNV-Ticket zu nutzen, mussten Fans eine App der Uefa verwenden. Die teilte Standortdaten der Nutzenden mit Polizeibehörden, ohne das kenntlich zu machen.

Für Linda Röttig, Vorstandsmitglied im Dachverband der Fanhilfen, macht dies eine Haltung gegenüber Fußballfans deutlich, die sich dringend verändern müsse. „Schon jetzt sind Auswärtsblöcke ein hochüberwachter Bereich.“ Röttig fürchtet, dass sich das verstärken könnte. Der politische Wille weist in diese Richtung: Zu Beginn einer Konferenz zum Thema Sicherheit in den Fußballstadien hatten die Bundesländer letzten Herbst unter anderem personalisierte Tickets gefordert.

Der Dachverband fürchtet auch einen verstärkten Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Überwachung. Po­li­ti­ke­r*in­nen würden Fußballfans oft pauschal als gewalttätig abstempeln und dadurch übermäßige Einsätze rechtfertigen, sagt Röttig. Statt repressiver Maßnahmen bräuchte es Vermittlung und Moderation, um Konflikte zu lösen.

Der Dachverband hat sich zudem entschieden gegen die Weitergabe der Kosten für Polizeieinsätze bei sogenannten Hochrisikospielen an die Vereine positioniert. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts macht dies möglich. Vereine könnte dies in Existennot stürzen, erklärt Oliver Wiebe. Es bestünde die Gefahr, dass die Kosten an die Fans weitergegeben werden.

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