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Polizeiattacke auf den "Mann in blau"Schwamm drüber

Das Verfahren gegen zwei Polizisten wegen Körperverletzung im Amt steht zwei Jahre nach der "Freiheit statt Angst"-Demo vor dem Ende. Mit einem glimpflichen Ausgang für die Angeklagten.

Direkt ins Gesicht: Polizeibeamter schlägt den "Mann in blau" Bild: Screenshot: youtube

In zwei Wochen wollen Datenschützer wieder auf die Straße gehen: gegen Überwachung, gegen "Datensammelwut", für "Freiheit statt Angst". Vor zwei Jahren, im September 2009, wurde ihre Demo von einem Vorfall überschattet, dessen juristische Aufarbeitung nun vor dem Abschluss steht: Die Schläge zweier Polizisten gegen einen Radfahrer sollen aller Voraussicht nach mit Strafbefehlen geahndet werden, ohne öffentlichen Prozess.

Die beiden Polizisten hatten Oliver H., blaues Shirt, sein Fahrrad schiebend, damals am Rande des Aufzugs festgenommen. Angeblich, weil er Polizeimaßnahmen gestört habe. Videos von Augenzeugen zeigen dagegen, wie H. einen Polizisten nach seiner Dienstnummer fragt und von einem Beamten plötzlich nach hinten gezerrt wird. Ein zweiter Polizist schlägt dem 37-Jährigen mit der Faust ins Gesicht. Die im Internet verbreiteten Bilder sorgten für Empörung.

Hautabschürfungen, Schwellungen und eine vom Kiefer abgerissene Oberlippe, stellen Ärzte später fest. Laut seinem Anwalt Johannes Eisenberg ist H.s unteres Gesichtsfeld bis heute taub, der Mann sei traumatisiert.

Im November 2010 erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Polizisten wegen Körperverletzung im Amt. Doch die Prozesseröffnung bleibt aus. Laut Eisenberg verweist ein Verteidiger auf Termin-Engpässe. Stattdessen schlägt dieser vor, den Prozess gegen Strafbefehl abzuschließen - wegen der Länge des Verfahrens. Die zuständige Richterin signalisiert laut einem Vermerk vom 28. Juli, der der taz vorliegt, Zustimmung: Sofern auch der andere Angeklagte zustimme, sei ein Strafbefehl möglich. Die Obergrenze bei Strafbefehlen liegt bei einem Jahr Freiheitsstrafe zur Bewährung. Oft erfolgen Geldstrafen.

"Der Fall trägt Züge der Strafvereitelung zu Gunsten der Schläger", kritisiert Eisenberg scharf. Zwar sei die Verteidiger-Offerte ein Schuldeingeständnis. "Wir reden aber von einer vorsätzlichen, gemeinschaftlichen Tat, die für das Opfer schwerwiegendste Folgen hatte." Dies verdiene mehr als eine Geldstrafe. "Die Polizisten haben ihr Gewaltmonopol missbraucht und gehören nicht in den Polizeidienst."

Das zuständige Amtsgericht konnte sich zu dem Fall am Montag nicht äußern. Ein Verteidiger der Polizisten wollte das Verfahren nicht kommentieren, der zweite war nicht erreichbar.

Zwei Beamte wurden wegen des Vorfalls bereits zu Geldstrafen von 4.800 und 1.500 Euro verurteilt. Sie hatten zwei Umstehende mit Fäusten traktiert, die gegen Oliver H.s Festnahme protestierten. Verurteilungen gegen Polizisten sind selten: 2009 wurden in Berlin 748 Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt eingeleitet, nur 5 endeten mit einer Verurteilung.

Ein Verfahren gegen H. wegen Widerstands wurde eingestellt. Mehr noch: Der Staatsanwalt bemerkte, H. hätte sich wegen der unrechtmäßigen Behandlung gar "straflos widersetzen dürfen".

Noch ermittelt wird gegen Eisenberg. Die Polizisten klagten wegen Beleidung, nachdem der Anwalt von "Prügelbullen" und "Schutzbehauptungen" sprach. Das Verfahren werde demnächst eingestellt, sagt Eisenberg.

Sven Lüders von der Humanistischen Union kritisiert den Umgang mit dem Polizeiübergriff. Es zeichne sich ab, dass die Tat "keine erkennbaren Konsequenzen" haben werde - "obwohl es keine Probleme mit der Täteridentifizierung gab". Wichtig sei daher eine unabhängige Kontrolle der Polizei, etwa durch einen Polizeibeauftragten. Der Vorfall werde auch auf der "Freiheit statt Angst"-Demo thematisiert, so Lüders, dessen Verband zu den Mitorganisatoren gehört. Am 10. September wollen die Datenschützer vom Brandenburger Tor zum Alexanderplatz ziehen: gegen Vorratsdatenspeicherung, Massenüberwachung - und Polizeigewalt.

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31 Kommentare

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  • G
    Grauwolf1949

    Auch ich halte es für nicht tolerierbar, wenn ein Polizist die Nerven verliert.

    Es würde mich aber mal interessieren, wieviele Pölizisten bei Krawallen beleidigt oder verletzt werden und wie viele der Täter ernsthaft bestraft werden.

  • G
    Grauwolf1949

    Auch ich halte es für nicht tolerierbar, wenn ein Polizist die Nerven verliert.

    Es würde mich aber mal interessieren, wieviele Pölizisten bei Krawallen beleidigt oder verletzt werden und wie viele der Täter ernsthaft bestraft werden.

  • M
    Mark

    Eine Schweinerei. Selbstverständlich gehört sich eine Verurteilung wg. (schwerer?) Körperverletzung und noch was drauf, weil es im Amt geschah.

     

    Die betreffende Einheit würde ich dann auch gleich in alle möglichen kleinen Dörfer vereinzeln und versetzen. Einfach, weil sie den Gewalttäter nicht verhaftet sondern gar abgeschirmt haben (!). Und um solche Cliquenbildungen zu unterbinden.

  • N
    Naja

    Ich bin echt erstaunt über die Reaktionen hier. Ich habe das Gefühl die Justiz und ihre Richterschaft ist nur dann unabhängig wenn sie in ihren Urteilen Bedürfnisse der linken politischen Klasse bedient. Wird ein Demonstrant der bei einer Demonstration z.B. gegen die NPD auf Polizisten Steine wirft verurteilt, dann wird ihm das als demokratisches Widerstandsrecht zugebilligt und Verständnis geäußert. Wenn man gegen Gewalt ist, dann sollte man nicht auf einem Auge blind sein. Dies sind leider einige Leser dieser Zeitung. Gewalt darf egal aus welcher Richtung nicht gebilligt werden und man muss Gerichtsurteile und Ermittlungen der Justiz als rechtsstaatlich akzeptieren auch wenn es einem nicht passt. Ich denke nur an den auf Bewährung verurteilten Autozündler. Bin mir sicher viele Leser dieser Zeitung hätten einen Freispruch erhofft oder feiern diese Bewährungsstrafe als Freispruch. Der Besitzer des Autos und andere Bürger auch hätten lieber ein härteres Urteil erwartet, müssen aber die Unabhängigkeit der Justiz akzeptieren.

    Wo kämen wir den hin, wenn jeder sich sein Gerichtsurteil wünschen kann.

  • R
    reblek

    @ Jörn

    "Immerhin Strafbefehl ist vorberstraft und wer vorbestraft ist, kann nicht Polizist bleiben." - Falsch. Entlassen wird ein Beamter zwangsläufig erst bei einer Gefängnisstrafe von mehr als 12 Monaten. Deshalb hat der Verteidiger einen Strafbefehl vorgeschlagen.

  • RB
    Red Bull

    Die armen Polizisten.Müssen sich mit dem Mob der Straße auseinandersetzen.

    Da kann es im Eifer des Gefechts auch mal eins auf die Fresse geben.

    Vielleicht war es nur ein Missverständnis in der Verständigung.Statt Nummer hat der Polizist Dummer verstanden.Dann ist natürlich der Schlag im Rahmen des rechtfertigenden Notstandes gerechtfertigt.

  • L
    lars

    War halt nen Polizeibeamter. Da gehört sowas zum guten Ton. ICH GLAUB ICH SPINNE. Das war Körperverletzung im Amt. Also bestraft ihn wie bei Körperverletzung und packt nochmal was oben drauf, weil das als Polizist ein absolutes No-Go ist. Die haben doch wohl echt den SChuss nicht gehört.

  • T
    Tom

    Wozu wollte der überhaupt die Dienstnummer haben? Daten sammeln?

  • K
    Ökomarxist

    Das untere Gesichtsfeld des Opfers ist bis heute taub, nur weil Er die Polizisten nach ihren Kennzeichnungsnummerm gefragt hat. Die beiden kriegen nur jeweils einen Strafbefehl von 4800 bezeihungsweise 1800 Euro. Wo ist da die Gerechtigkeit. Ausserdem wurden die Personen die dem Opfer zu Hilfe eilten auch noch mit Fäusten traktiert.

  • J
    Jörn

    Immerhin Strafbefehl ist vorberstraft und wer vorbestraft ist, kann nicht Polizist bleiben.

    Dennoch das Verfahren ist eine Farce. Erst einmal zwei Jahre verzögern und dann eine milde Strafe mauscheln. Wäre die Beweislage nicht so klar und die Öffentlichkeit so gross gewesen, wäre das Ganze unter den Teppich gekehrt worden.

    Wer so agiert säht britische Zustände. Auch eine Polizei muss sich Respekt verdienen - verfolgt sie Straftäter in den eigenen Reihen nur halbherzig, verliert sie diesen Respekt.

    Dies ist allerdings weniger ein Problem der Polizei. Kaum eine Organisation ist konsequent gegen sich selbst. Der Fisch stinkt vom Kopf her: Die Politiker sorgen für weitgehende Straffreiheit in den eigenen Reihen, in dem sie eine unabhängige Staatsanwaltschaft verhindern. Warum sollte dann eine Exekutive, die täglich den Kopf hinhalten soll, für sich nicht gleiche (Un-)Rechte wollen?

    Wir brauchen eine unabhängige Staatsanwaltschaft und einen unabhängigen Ermittler für Vergehen im Polizeidienst.

  • M
    max

    "der Polizeistaat entlarvte sich selbst als Polizeistaat" fällt mir dazu ein. Leider immer noch aktuell.

  • M
    Michael

    Wenn das Opfer bleibende Schäden davonträgt, muß er doch Schmerzensgeld bekommen. Wird dieses nicht während des Strafprozess festgelegt?

  • R
    Robert

    Ja Leute, habt ihr was anderes erwartet. Es gibt nunmal nur 2 Paragraphen!

    §1 Die Polizei hat Recht!

    §2 Sollte die Polizei ausnahmsweise mal nicht recht haben, tritt sofort §1 in Kraft!

  • A
    aurorua

    Wieder einmal zeigt sich, dass unsere Justiz keineswegs unabhängig ist. Welcher Richter/in möchte sich schon die Karriere versauen.

    Diese Richterin sollte sich einmal fragen wie sie entschieden hätte, wenn ein Polizist von einem Passanten derart grundlos und brutal verletzt worden wäre.

    Für mich gehören solche kriminellen Beamte umgehend und auf ewig suspendiert, dass sämtliche Pensionsansprüche (die zahlen eh nix ein) ersatzlos gestrichen werden sollte selbstverständlich sein.

    Diese Republik ist weder ein wirklicher Rechtsstaat noch eine Demokratie.

    Alles was diebezüglich auf dem Papier steht ist längst unterwandert und ausgehöhlt von den ewigen Profiteuren des Systems.

  • N
    neee ...

    Bauernopfer ....

    Die Gegner (GdP und Politik) von unabhängigen Kontrollgremien für die Pozilei brauchen doch eine Basis .... worauf sollen sie sonst verweisen, wenn sie behaupten es kommt doch zu Verhandlungen?!

     

    Es war vorrauszusehen, es passiert jede Woche in D-Land und es wird immer so weitergehen wenn dem Korpsdenken und der unantastbarkeit von Polizisten kein Riegel vorgeschoben wird! Frei erkennbare Dienstnummer und unabhängigen Kontrollgremien sind die einzige Lösungen

  • K
    Kitty

    Wo Unrecht zu Recht wird Wiederstand zur Pflicht .

    Das ist logisch und das ist Gesetz.

    Wieviele Justitzskandale brauchen wir noch ?

  • P
    pablo

    und dann jammern die polizisten, politiker etc. darüber das man ihnen gegen über keinen respekt an den tag legt oder das es mehr gewalt gegen polizisten gibt. wie war das noch mit dem ruf in den wald?

  • W
    waldzwerg

    748 eingeleitete strafverfahren wegen körperverletzung im amt (2009) davon kam es zu 5 verurteilungen. die fünf hätte man auch noch irgendwie verhindern können,oder?

  • V
    victim.veto

    Dieses Ergebnis ist ein weiterer harter Schlag ins Gesicht des Opfers und ein deutlicher Beleg, von welch elementarer Bedeutung die Einrichtung einer unabhängigen Kommission zur Untersuchung polizeilicher Übergriffe ist.

  • W
    waldzwerg

    was eine gerechtigkeit,haben polizisten sonderrechte als schläger ,die nachweislich zuerst und unbegründet bürger verletzen?wen soll man da noch vertrauen in diesen unseren rechtsstaat?

  • J
    JART

    Ich bin auch mal von zwei Polizisten ohne Grund geschlagen worden. Sie wollten leiglich meinen zu Hause vergessenen Pass kontrolieren. Übrigens die Passkontrolle war nicht während einer Demo, sondern im U-Bahnhof, Hallesches Tor. Am Ende mußte ich 400 € Strafe zahlen, weil ich sie nach dem Angriff angezeigt habe und ich keine Zeugen finden konnte. :(

  • R
    Rainer

    Gott sei Dank leben wir in einem Rechtsstaat! Nicht auszudenken wenn für die Exekutive Straffreiheit gelten würde und die Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte, als Machtmittel für die Politik und Lobby benutzt werden würde. Also wirklich, das wäre echt schrecklich.

  • W
    wernerchen

    Abgerissene Unterlippe? Meine Güte, waren da wieder die berüchtigten Quarzsandhandschuhe im Spiel? Mit blanker Faust kann man doch niemnden mit einem Schlag so verletzen. Aber natürlich, die Herren Ordnungshüter kommen glimpflich davon. War klar gewesen.

  • G
    gettop

    unsere Leitkultur beinhaltet schon immer die unverrückbare Erkenntnis, dass ein Polizist in Uniform immer alles richtig macht - er kann gar nicht anders - das ist gleichsam ein positiver genetischen Defekt, der jedem Polizisten im Dienst durch die Blindheit der Justiz für immer beigegeben ist.

     

    dieses wurde u.a. abgeleitet von dem Dogma der katholischen Kirche, dass der Papst mit Stab und Stola unfehlbar ist - er kann sich nur irren, wenn er im Bademantel den Lottoschein ausfüllt

  • B
    benni

    Deutsche Polizisten - Gärtner und Floristen!

    Ihr wisst schon was ich meine.

  • HK
    Herbert Klarmann

    Dazu einmal der Vorfall am Alex, wo es ziemlich ähnlich abläuft:

    http://www.youtube.com/watch?v=Hm4S8SGrShc&feature=related

     

    Und die Presseerklärung der internationalen liga für Menschenrechte zu der Tötung einer 53. Jährigen Frau in Berlin Reinickendorf:

    http://www.menschenrechtsanwalt.de/2011/08/todesschuss-auf-psychisch-kranke-frau/

  • H
    Hugo

    War doch abzusehen das es so oder so ähnlich rausläuft!?!?!? Jeder der was anderes denkt bekommt den Preis "NAivling des Jahres"!

  • D
    DasBertl

    Tjaja, das Land in dem aus Kastanien Pflastersteine werden, aus Kindern und Rentnern autonome Gewalttäter, aus Demonstranten Chaoten, aus Gewalttätern Polizisten und aus Polizeigewalt Wiederstand gegen die Staatsgewalt. Wir fordern für Libyen was wir hier längst nicht mehr haben...

  • O
    Otto

    interessanter beitrag zur diskussion über die kenzeichnungspflicht von polizisten.es wird doch immer wieder als gegenargument behauptet, ein polizist sei ohnehin verpflichtet, auf verlangen seinen dienstausweis zu zeigen. wie das dann in der praxis aussieht, mußte der "mann in blau" schmerzhaft feststellen. ich verstehe den vergleich mit kz-häftlingen nicht, bietet eine nummer doch einen wichtigen schutz der polizistenfamilien vor kriminellen wie auch eine möglichkeit, kriminelle in den eigenen reihen zu identifizieren.

  • V
    vantast

    Nichts anderes war zu erwarten. Höchstens noch der Zusatz, daß die einsatzbereiten Beamten vermutlich befördert werden. Die Behörden müssen sich nicht über zunehmende Gewalt gegen Polizisten wundern, wenn immer wieder gezeigt wird, daß die Polizei über dem Gesetz steht und die Beamten in falsch verstandener Kameraderie gegen subversive Bürger zusammenhalten.

  • B
    bempo

    Hab ich nicht anders erwartet. Was knallt der böse Radfahrer den Polizisten auch so brutal das Gesicht in die Faust!