Polizeiangriff auf St. Pauli-Fankneipe: Haftung für Rambo-Schlag
Das Hamburger Landgericht verhandelte eine Zivilklage auf Schmerzensgeld gegen die Stadt, weil ein Polizist vor dem „Jolly Roger“ einem Journalisten mehrere Zähne ausgeschlagen hat.
HAMBURG taz | Bald fünf Jahre ist es her, dass Polizisten im Zuge der Schanzenfest- Randale am 5. Juli 2009 die FC-St.-Pauli-Fan-Kneipe „Jolly Roger“ gegenüber dem Millerntorstadion stürmten, mit Pfefferspray einnebelten und viele Gäste einer dort stattfindenden Geburtstagsfeier verletzten. Die verantwortlichen Polizeiführer sind strafrechtlich nie belangt worden und einzelne Prügelpolizisten konnten angeblich „nicht ermittelt“ werden.
Nun gibt es doch ein Nachspiel: Das Landgericht verhandelte am Dienstag über eine Schmerzensgeldklage des Journalisten Sven Klein in Höhe von 10.000 Euro gegen die Stadt Hamburg. Ihm waren bei dem nächtlichen Einsatz vor dem Jolly Roger von einem Beamten einer schleswig-holsteinischen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) aus Eutin mit dem Kampfstock „Tonfa“ fünf Zähne ausgeschlagen worden.
Eine gütliche Einigung versuchte der Richter am Zivilgericht gar nicht erst, sondern stieg direkt in die Beweisaufnahme ein. Sven Klein hatte den eigentlichen Pfefferspray-Einsatz im Jolly Roger um kurz vor drei Uhr nachts durch die Eutiner Einheit von der anderen Straßenseite aus verfolgt. Der Einsatz war ein Novum, denn die Fan-Kneipe war bis dato selbst bei Fan-Randale nach FC-St.-Pauli-Spielen für die Polizei tabu gewesen.
Klein war erst zur Kneipe gegangen, als Menschen mit verheulten Augen und nach Luft hechelnd und hustend das Jolly Roger verließen. „Ich bin rein ins Jolly und wollte für eine verletzte Frau Wasser zum Ausspülen der Augen am Tresen holen“, berichtete er. „Ich musste aber umdrehen – da ging gar nichts.“ Er habe dann in einigen Metern Abstand – die Frau war inzwischen verbunden – vor der Kneipe gestanden.
„Das hatte sich schon alles wieder beruhigt“, sagte Klein, als eine Polizeieinheit im Gänsemarsch an ihm vorbei marschiert sei. „Ich hab sogar Platz gemacht, damit sie durchgehen konnten.“ Plötzlich habe sich ein Beamter umgedreht und hätte ihm „aus heiteren Himmel“ mit einem Tonfa ins Gesicht geschlagen, berichtete Klein.
„Ich erinnere, wie der Schlagstock auf mich zukam, das Nächste, was ich erinnere, ist, dass ich am Boden auf den Knien saß und Zähne ausspuckte.“ Ein Mann habe ihm geholfen und wollte einen Krankenwagen holen, erinnerte sich Klein. „Ich war unter Schock und wollte aber nur noch nach Hause.“
Der Sozialpädagoge und Pfarrer Robert S., der Kleins Angaben bestätigt, war an jenem Tag zufällig am Jolly Roger vorbeigekommen und den Verletzten zur Hilfe geeilt. „Einige lagen rücklings auf dem Boden, viele hatten gereizte verweinte Augen oder bekamen keine Luft“, berichtete er dem Gericht. Auch Sven Klein – den er vorher nicht kannte – habe er wahrgenommen, der habe auch einen durch Pfefferspray angeschlagenen Eindruck gemacht, sagte S.
Zufällig habe er in der Nähe Kleins gestanden, als er gesehen habe, wie ein Polizist zwei Schritte auf Klein zugekommen sei und ihm „frontal ins Gesicht geschlagen hat“, erinnerte sich S. „Es gab keinen Grund: Er schlug einfach unvermittelt zu, er hätte auch mich schlagen können“, sagte Robert S. dem Gericht. Er habe gesehen, wie Klein nach dem Schlag nach hinten getaumelt sei, dass er zu Boden sackte und sein Gesicht voller Blut war.
Wie S. weiter berichtete, zeigte ihm das „Dezernat interne Ermittlungen“ (DIE) bei seiner Vernehmung ein Video von den Ereignissen, bei dem jedoch die Tonfa-Attacke fehlte, weil es vorher „einen Schnitt“ gegeben habe. „Die Vernehmungs-Beamtin sagte mir, die Batterie sei leer gewesen“, sagte Robert S. dem Gericht.
Der Zivilrichter will nun nach der Beweisaufnahme noch weitere Gedächtnisprotokolle anderer Betroffener und Zeugen auswerten und ins Urteil einfließen lassen. Dann wird er auch über die am Dienstag von Kleins Anwalt Hendrik Schulze zusätzlich eingereichte Schadensersatz-Klage über 20.000 Euro Zahnersatz entscheiden.
Die Stadt hat zivilrechtlich für rechtswidrige Polizei-Aktionen zu haften, auch wenn es dabei um Polizisten aus einem anderen Bundesland geht und die Täter strafrechtlich nicht ermittelt werden konnten. Zunächst hatten der FC St. Pauli und dessen Fans mit einem Spendenkonto die Summe für Kleins neue Zähne vorgestreckt. Die Urteilsverkündung ist am 27. Mai.
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