Polizei am Bremer Hauptbahnhof: Schieben und abschieben
Bremens Innensenator räumt ein, dass seine Vertreibungspolitik gegen die Drogenszene am Bahnhof erfolglos ist. Dennoch setzt er auf mehr vom Gleichen.
Schon im Sommer hatte es Großkontrollen und Sondereinsätze gegeben, mit Platzverweisen und allem Pipapo. Sogar eine Fußgängerbrücke hatte die Innenbehörde für drei Monate sperren lassen: Dort brauchte dann zwar kein Bürger mehr Angst vor Süchtigen zu haben, aber es konnte sie eben auch niemand benutzen.
Dennoch heißt es in der aktuellen Vorlage für eine Sitzung der Innendeputation am gestrigen Mittwoch: „Eine merkliche Verbesserung ist jedoch trotz dieses hohen Aufwandes nicht eingetreten, da die zum Teil sehr schwer suchterkrankten Menschen kaum Verhaltensänderungen aufzeigten.“
Eine Überraschung ist das Scheitern für Fachleute nicht: Die Leiterin der Drogenberatungsstelle „Comeback“, Cornelia Barth, hatte schon beim groß inszenierten Aufschlag im Sommer prognostiziert, dass die Konsument*innen bleiben würden: Rund um den Bahnhof finden Süchtige ihre Dealer. Und auch die offiziellen Hilfsstrukturen der Stadt wie der Szenetreff „Käfig“ sind dort verortet. „Aber selbst unabhängig von Hilfsangeboten werden sich Menschen in der Mitte der Stadt treffen“, so Barth.
Zuckerbrot und Peitsche, Schieben und Ziehen
Dass auch Innensenator Mäurer den Erfolg seiner Hundertschaften im Nachhinein als eher gering einschätzt, ändert zumindest für sein Ressort nichts an der grundsätzlichen Strategie. Mäurer spricht nun vom „Schieben und Ziehen“ – wobei sein Ressort beim Schieben bleiben möchte.
Fürs Ziehen sind andere verantwortlich, Gesundheits- und Sozialressort etwa. Seit Mittwoch gilt rund um den schon länger bestehenden Drogenkonsumraum an der Friedrich-Rauers-Straße, 500 Meter vom Bahnhof entfernt, ein sogenannter Akzeptanzort.
Zum Start sind Poller zur Verkehrssicherung gesetzt, der Müll ist beseitigt, Bänke sind aufgestellt. „Ich will nicht sagen, dass das ein attraktiver Ort ist“, sagt Daniel Heinke, Leiter der Abteilung für öffentliche Sicherheit im Innenressort, „aber es kann ein akzeptierter Raum werden, ein vernünftiger Ort für die Zielgruppe.“
Die Hauptattraktion, die Drogensüchtige anziehen soll, sind freilich nicht die Bänke, nicht die sozialen Angebote, auch nicht das Essensangebot, das hier eventuell noch aufgebaut wird; die Hauptattraktion ist vielmehr: Drogennutzer*innen werden im Akzeptanzraum nicht kontrolliert, nicht genervt und nicht vertrieben. Polizei und Ordnungsamt schauen weg.
Dealer sollen abgeschoben werden
Neben diesem offensiven Ignorieren sieht das Innenressort seine eigene Aufgabe aber vor allem unvermindert im Schieben – sprich: im Verdrängen. So wurde am Hauptbahnhof trotz der bisherigen Misserfolge auch am vergangenen Wochenende wieder ein großer Sondereinsatz gefahren: Von Freitag bis Sonntag wurden laut Polizei „unzählige Personen“ rund um den Hauptbahnhof überprüft.
Der Fahndungserfolg ist angesichts dessen eher mäßig: Ein Dutzend Strafanzeigen und die Beschlagnahme von 100 Verkaufseinheiten nicht näher bestimmter „Drogen“ sowie zahlreicher Messer verkündete die Polizei.
Weil das alles nicht fruchtet, plant Mäurer nun noch härtere Maßnahmen. Der neue Plan: Die Dealer werden nicht mehr als einzelne Kriminelle betrachtet, sondern als gewerbsmäßige Bande. Das setzt das mögliche Strafmaß rauf. Außerdem, so heißt es aus dem Innenressort, sei bei den vielen Kontrollen erkannt worden, dass die meisten Dealer aus Guinea stammten und kein Aufenthaltsrecht hätten.
Bei der Bürgerschaftssitzung am vergangenen Donnerstag hatte Mäurer angekündigt, mit diesem Wissen in Zukunft auch mehr Dealer abzuschieben – exakt das hatte zuvor in der Debatte auch der AfD-Abgeordnete Thomas Jürgewitz gefordert.
Straßenhändler im Visier
Es geht dabei explizit nicht um die großen Drahtzieher: Die werden aktuell schon einigermaßen erfolgreich strafrechtlich verfolgt, weil französische Ermittlungsbehörden ihre geheimen Chats über Encrochat geknackt hatten. 68 Haftbefehle vor allem gegen Hintermänner gab es bereits.
Die angekündigte neue Abschiebestrategie richtet sich hingegen hauptsächlich gegen die Ebene der kleinen Straßenhändler. Anders als die Konsument*innen sollen die Dealer auch am Akzeptanzort weiter durch die Polizei verfolgt werden. Ob die Händler tatsächlich den Ort wechseln oder mit ihren Angeboten weiter am Bahnhof bleiben, ist also fraglich.
Die Künstlergemeinschaft am Güterbahnhof zwischen Friedrich-Rauers-Straße und Hauptbahnhof sieht sich jedenfalls schon jetzt als Leidtragende der Verdrängung und Verlagerung: Man merke, dass „unser Areal zunehmend von Drogenkonsument:innen und Wohnungslosen frequentiert wird“, heißt es in einem offenen Statement der Künstler*innen. Denn: „Vielen Konsument*innen ist die Friedrich-Rauers-Straße zu weit vom Hautbahnhof entfernt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen