Politologin über Venezuelas Staatskrise: „Maduro verliert seine Basis“
Wie loyal ist das Militär noch? Die Politikwissenschaftlerin Francine Jácome analysiert die Kräfteverhältnisse in ihrem Heimatland.
taz: Frau Jácome, wie fest sitzt Präsident Nicolás Maduro noch in seinem Sessel?
Francine Jácome: Die seit Anfang April anhaltenden Proteste auch der unteren Schichten zeigen, dass der Präsident die Unterstützung seiner eigentlichen Basis verloren hat. 80 Prozent der Bevölkerung unterstützen einen Regierungswechsel noch im diesem Jahr. Maduro kann sich jetzt nur noch auf drei Instanzen stützen: die Militärs, ohne die er die Macht längst verloren hätte, die paramilitärischen Gruppen, die sogenannten Colectivos, und die von ihm kontrollierten Institutionen Oberstes Gericht und Nationaler Wahlrat.
Aber geht nicht gerade von den Militärs die größte Gefahr für ihn aus?
Die Streitkräfte haben in Venezuela schon immer eine vorherrschende Rolle gespielt. Ob es zu einem Militärputsch kommt, ist momentan nicht vorherzusehen und aus der Perspektive der Zivilgesellschaft auch nicht wünschenswert. Noch immer gibt es die Möglichkeit von Verhandlungen oder einem Dialog zwischen der Regierung und der Opposition. Das Parlament hat die Militärs an ihre in der Verfassung festgelegten Pflichten erinnert, und der Parlamentspräsident hat bestätigt, dass es Kontakte zu den Streitkräften gibt.
Wie geeint ist das Militär?
Die venezolanischen Streitkräfte sind kein monolithischer Block, und schon gar nicht angesichts der sozial und politisch bedingten Gewalt. Es dringt jedoch wenig nach außen. Es gibt eine militärische Elite, die offen das politische Vorgehen der Regierung unterstützt. Diese Elite ist unmittelbar an der Regierung beteiligt, und ihr sind alle strategischen Bereiche unterstellt: Lebensmittel, Importe, Zölle, innere Sicherheit, Strom- und Energieversorgung. Neuerdings spielt sie auch im Bergbau und bei der Öl- und Gasförderung eine zentrale Rolle.
ist Anthropologin und Politikwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Lateinamerika. Jácome arbeitet als Exekutivdirektorin des Venezolanischen Instituts für Soziale und Politische Studien (INVESP) in Carácas.
Wie wird das Militär auf Maduros Anordnung reagieren, eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen?
Sehr wahrscheinlich ist, dass ihn die eingebundene militärische Elite unterstützen wird. Aber gerade in den mittleren Rängen herrscht schon länger große Unzufriedenheit. Dazu tragen auch die Korruptionsvorwürfe gegen hohe Militärs und deren mutmaßliche Verwicklung in den Drogenhandel bei.
Stimmt der Vorwurf, mit der verfassungsgebenden Versammlung würden die seit Dezember 2016 verschobenen Gouverneurs- und Kommunalwahlen endgültig verhindert?
Das ist nicht auszuschließen. Von den 23 amtierenden Gouverneuren sind elf Militärs im Ruhestand, die sich weiter mit dem Chavismus identifizieren. Angesichts der sehr wahrscheinlichen Niederlage ist es fraglich, ob sie ihren lokalen Führungsanspruch opfern würden.
Seit sieben Jahren gibt es die Milicia Nacional Bolivariana, eine Miliz aus bewaffneten Zivilisten. Mitte April hatte der Präsident deren Aufstockung auf 500.000 angekündigt. Wie steht das Militär dazu?
Dem Militär war die Milicia Nacional Bolivariana von Anfang an ein Dorn im Auge. Die Zahl der Militärangehörigen wird auf 150.000 bis 170.000 geschätzt. Eine halbe Million Milizionäre bedeuten den Aufbau einer Parallelarmee zum Schutz des Präsidenten, denn die Milizionäre gehören alle der Regierungspartei PSUV an.
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