Politologe über Anschläge in Sri Lanka: „Aussöhnung ist der einzige Weg“
Die Aufarbeitung des Bürgerkriegs in Sri Lanka müsse wegen der Anschläge nun auf den Prüfstand, fordert der Politologe Paikiasothy Saravanamuttu.
taz: Herr Saravanmuttu, Ihre Organisation beschäftigt sich seit Langem mit Terrorismus in Sri Lanka. Wurden Sie von den Anschlägen überrascht?
Paikiasothy Saravanamuttu: Ja. Es war zwar bekannt, dass unter Muslimen eine Radikalisierung stattfindet. Die National Thowheeth Jama’ath (NTJ), die jetzt im Zentrum der Ermittlungen steht, war seit 2017 auf dem Radar der Polizei. Aber es war umstritten, ob und wieweit sie bewaffnet ist. Um ein Attentat dieser Größenordnung zu planen, sind mindestens hundert Leute notwendig.
Ruwan Wijewardene, Staatsminister im Verteidigungsministerium, hat die Anschläge als Rache für das Massaker in neuseeländischen Moscheen im März bezeichnet. Was halten Sie von der Interpretation?
Er wird dies auf Basis von ersten Untersuchungsergebnissen gesagt haben, die der Regierung vorliegen. Man kann es daher nicht ausschließen.
Deutet das darauf hin, dass die Terroristen Hilfe aus dem Ausland hatten?
Wir wissen es bisher nicht. Tatsache ist, dass es seit den 1970er Jahren eine Radikalisierung der muslimischen Community im Osten Sri Lankas gibt. Viele Religionsschulen wurden mit Hilfe Saudi-Arabiens gebaut. Aber die NTJ ist ziemlich neu und keine große Organisation.
Muss man von einem Versagen der Sicherheitsbehörden in Sri Lanka sprechen?
Dr. Paikiasothy Saravanamuttu lehrte von 1984 bis 1992 an der britischen University of Southampton Politik. Er ist Geschäftsführer des Thinktanks Centre for Policy Alternatives in Colombo und Gründungsdirektor von Transparency International in Sri Lanka.
Nein, der Geheimdienst und die Polizei hatten Informationen. Deswegen konnten auch so schnell nach dem Anschlag mehr als dreißig Personen festgenommen werden. Am 11. April hatte Indien Sri Lanka vor einem Bombenattentat gewarnt. Aber von der Politik wurden die Warnungen nicht ernst genommen. Premierminister Ranil Wickremesinghe hat zugegeben, dass er und seine Minister nicht informiert waren. Auch in der Vergangenheit wurde der Premierminister nicht zu Sitzungen des Sicherheitsrats eingeladen, was auf seine Rivalität mit Präsident Maithripala Sirisena zurückzuführen ist.
Welche Rolle spielt der Aufstieg fundamentalistisch-buddhistischer Gruppen bei der Radikalisierung von Muslime? Nach dem Ende des Bürgerkriegs 2009 gab es in Teilen der singhalesisch-buddhistischen Mehrheit eine Art Triumphgefühl. Es macht den Eindruck, dass buddhistische Extremisten sich einen neuen Feind gesucht haben nach dem Sieg über die tamilischen Befreiungstiger (LTTE).
Es hat im vergangenen Jahr ernsthafte Zusammenstöße zwischen radikalen Buddhisten und Muslimen gegeben. Aber die Frage ist: Wenn der Konflikt zwischen buddhistischen Singhalesen und muslimischen Tamilen verläuft, warum greift man dann die christliche Minderheit an (die Mitglieder in beiden Volksgruppen hat, Anm. d. Red.)?
Was vermuten Sie?
Sri Lanka wählt dieses Jahr einen neuen Präsidenten. Wenn die Minderheiten sich nicht trauen, an die Wahlurne zu gehen, kann dies wahlentscheidend sein.
Die Opposition unter dem ehemaligen Präsidenten Mahindra Rajapaksa versucht seit Langem, den Premierminister als schwach und zu nachgiebig gegenüber Terroristen darzustellen.
Deshalb müssen die Verantwortlichen für die Anschläge schnell zur Verantwortung gezogen werden. Und der Versöhnungsprozess muss intensiviert werden!
Zielen die Attentate nicht darauf ab, genau dies zu verhindern?
Ja, aber dieser Moment bietet auch eine Chance. Alle politischen Strategien müssen jetzt auf den Prüfstand. Aussöhnung ist der einzige Weg.
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