piwik no script img

Politischer Friseursalon in LondonLocken als Rebellion

Der Friseursalon „Back to Eden“ ist eine Institution der karibischen Exilgemeinde in Südlondon. Ein Besuch bei einem wichtigen Ort der Reggae-Kultur.

Akribische Fingerarbeit beim Dreadlocks-Friseur „Back to Eden“ in Südlondon. Foto: Daniel Zylbersztajn

„Back to Eden“ heißt einer der unzähligen Friseursalons in Südlondon, und aus der Ferne betrachtet wirkt er unscheinbar. Aber der Schein trügt. Hinter dem vergitterten Schaufenster verbirgt sich ein Original. Für manche Menschen ist er geradezu überlebenswichtig. Zwar kommt nicht Königin Elizabeth II., um sich die Haare ondulieren zu lassen – noch nicht –, aber einige der bekanntesten Kunden haben für die Bewohner Südlondons einen ebenso aristokratischen Status, Rita Marley etwa und andere Angehörige der Marley-Familie. Sie alle lassen sich hier ihre Rastalocken pflegen.

Es ist eine anstrengende und akribische Fingerarbeit, die bei „Back to Eden“ von Dienstag bis Samstag geleistet wird (Waschen und Dampfbehandlung der Locks ab 30 Pfund). Hinter einer Boutique-Sektion, auch sie gehört zum Laden, mit eleganten, zum Teil in Handarbeit angefertigten Kleidungsstücken im afrikanischen Look, befindet sich das Reich, das Cynthia McDonald sich vor fast drei Jahrzehnten erschuf.

Es ist wenige Quadratmeter groß und umfasst vier höhenverstellbare Friseursessel an Tischen mit ovalen Spiegeln mit angeschlossenem Haarwaschbecken. An den Wänden prangen Bilder afrikanischer Könige und Königinnen, dazu Utensilien und Figuren, die alle etwas mit dem Kontinent zu tun haben. Zwei Kunden sind anwesend.

Ursprünglich hatte die Besitzerin ganz andere Pläne. „Ich wollte Leichtathletin werden“, sagt Cynthia McDonald mit tiefer Stimme. Sie ist schlank, trägt kein Make-up und mit schwarzem Pullover und einen grauschwarzem Rock bekleidet. Unter einer schwarzen Baskenmütze schauen lange dünne Locken hervor. „Ich war sogar Südlondoner Champion, aber mein Vater wehrte sich gegen meine Sportkarriere.“

Serie „Roots“ als Augenöffner

Cynthia McDonald stammt aus Jamaika. Bis in die frühen siebziger Jahre wuchs sie in einer ländlichen Region auf der Insel auf, erst im Teenageralter zog sie nach London. Es dauerte nicht lange, bis sie sich im radikalen Flair der Achtziger gegen den Konservatismus ihres karibischen Elternhauses wandte. Es waren Jahre, in denen sich junge Menschen mit afrikanisch-karibischem Hintergrund gegen die weitverbreiteten Vorurteile der britischen Gesellschaft zu wehren begannen. „Ich wurde zuversichtlicher wegen meiner Hautfarbe, sie machte mich politisch bewusster“, erzählt sie. Die Filmserie „Roots“ nach dem gleichnamigen Roman von Alex Haley war ein Augenöffner.

Dreadlocks im Reggae

Dreadlocks sind Ausdruck der jamaikanischen Rastafari-Bewegung, gerichtet gegen das Schönheitsideal der Oberschicht und wiederkehrendes Motiv im Reggae: Der schönste Song stammt von Junior Byles: „Curly Locks“ (1974). „Dread at the Controls“ nannte Mikey Dread seine Radiosendung. Dreads trägt auch Jah Shaka, Betreiber eines Londoner Soundystems.

Cynthia McDonald wurde Teil der Londoner Clubszene der achtziger Jahre, ihr nächtliches Engagement fand jedoch ein schnelles Ende. Gerade einmal 19 Jahre alt, bekam sie ihr erstes Kind und lebte mit ihrem Freund in einer kleinen Mietwohnung. Bald stand sie auf einem der kleinen Märkte und verkaufte selbstgenähte Kinderkleider mit einer Freundin. „Bei dem kalten Wetter entwickelten wir bald den Wunsch nach einem eigenen Laden.“

Mit dem neuen politischen Bewusstsein bekannten sich Afrobriten zum Rastafarianismus und ließen sich Dreadlocks wachsen, auch ihr Freund gehörte dazu. „Für uns waren Locken das Symbol von Rebellion“, erzählt sie. „Wir lernten afrikanische Geschichte und bekannten uns zur stolzen Vergangenheit.“ Cynthia McDonald schildert, wie ihr schließlich die Idee kam, einen Salon aufzumachen, in dem sie sich um die Pflege von Dreadlocks kümmern würde, „inklusive Ölen und Kräutern aus eigener Herstellung“.

Dreckige Dreads

Auch heute riecht es im Salon nach Heilkräutern, besonders um eine Haardampfhaube herum, unter der eine Frau sitzt, die in ihrem Kindle liest.

Cynthia McDonald deutet auf einen vieldiskutierten Zeitungsartikel aus dem Jahr 1986. Auf der rechten Seite ist ein Foto von Premierministerin Margaret Thatcher platziert, das einen Bericht über Sanktionen gegen das Apartheidregime in Südafrika bebildert, auf der linken Seite steht die Schlagzeile „Cynthia’s New Rasta Salon“.

„Zu Beginn war es schwer“, sagt sie. Das habe vor allem am Widerstand aus den eigenen Reihen gelegen. „Manche Afrobriten behaupteten, Dreads seien dreckig, daher auch der Name, dread locks, furchterregende Locken.“ Eine Herausforderung war zudem die Akzeptanz der natürlichen Haarstile ohne Chemikalien. Und dann behaupteten einige Rastafaris auch noch, dass Dreadlocks unbehandelt bleiben müssten; man dürfe sie nicht anfassen, schon gar nicht dürfe das eine Frau.

Als ihr Schwager, der Rootsreggae-Musiker Jah Shaka, einen Black-Culture-Shop im Südlondoner Stadtteil New Cross eröffnete, bekam Cynthia McDonald die Möglichkeit, dort ihre Lockenbehandlung durchzuführen. „Es dauerte Wochen, bis jemand bereit war, seine Dreadlocks behandeln zu lassen“, sagt sie.

Auf den Seiten der Modemagazine

Doch dann erhielt ihre Geschäftsidee musikalische Schützenhilfe. Das Debütalbum von Soul II Soul hatte großen Erfolg und damit auch der Funky-Dread-Look der Künstler. Es war das Jahr 1989, Dreadlocks waren plötzlich der letzte Schrei. Bevor Cynthia McDonald wusste, wie ihr geschah, fand sie sich auf den Seiten der führenden Modemagazine Großbritanniens wieder, im Fernsehen von BBC wurde über ihren Salon berichtet. Zunehmend kamen auch Kunden mit blonden Haaren, die Locks tragen wollten. „Back to Eden“ war etabliert.

taz.am wochenende

In Griechenland hat Syriza die unangefochtene Macht. Sie sind oppositionelle Regierende, oder regierende Oppositionelle. Wie die neue Rolle die Partei prägt, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 27./28. Juni 2015. Außerdem: Ratten leben in unseren Kellern, Träumen und Büchern. Warum ekeln wir uns vor diesem Tier?. Und: Ausgerechnet in Hoyerswerda fliegt ein Molotowcocktail auf eine Turnhalle voller Flüchtlinge. Diese Stadt hat wohl gar nichts gelernt. Oder doch?. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Ihren Grundprinzipien natürlicher Behandlungsmethoden blieb Cynthia McDonald seitdem treu, „ohne Haarfärbemittel, Messer oder andere die Haare beschädigende Werkzeuge“, verkündet sie stolz.

Mit schnellen Umdrehungen, bis zu drei pro Sekunde, werden die Haare im Twist gedreht. Das Resultat sind natürliche und dünnere Locken, die nicht an der Haarwurzel ziehen und sich in viele Stile formen lassen, etwa nach oben oder hinten gesteckt.

Cynthia McDonald ist lang genug im Friseurgeschäft, um auch Widersprüche von Haartrends zu erkennen. Waren die Locks in den Siebzigern und Achtzigern ein Weg aus den chemischen Behandlungsmethoden, wurden sie in den neunziger Jahren so populär, dass heute bei den meisten wieder Chemie benutzt wird. „Das schädigt die Haare“, sagt Cynthia.

Die Beziehung war vorbei, die Frisur blieb

Die Qualität beim natürlichen Twist ist ihr so wichtig, dass sie es bis jetzt nicht schaffte, vertrauenswürdige MitarbeiterInnen zu finden, um weitere Filialen aufzumachen, sagt sie. So bleibt sie einer der wenigen ExpertInnen in London, wenn es um Dreadlocks geht. Sie hofft: „Mit etwas Glück wird jemand aus meiner Familie weitermachen, wenn ich nicht mehr kann.“ Noch hat sie aber nicht genug, auch wenn die langen Tage schwerer werden.

Sie würde die „wundervollen Kunden in ihrem Laden vermissen“, sagt sie, während sie Susan Whitnell, 57, ein grünes flüssiges Mittel in die Haare über dem Waschbecken massiert. Für Susan und ihre schwarzen schulterlangen Locks begann alles mit einen Freund, der ein Rasta war. Die Beziehung ist längst vorbei, die Frisur blieb. Seit mehr als sechs Jahren kommt sie nun extra aus Ostlondon ins „Back to Eden“. „Ich bekomme viel Anerkennung für meine Haare“, sagt sie.

Am Tisch gegenüber sitzt Rodney Green aus Nordlondon, er erzählt, dass er sich seine Locken vor 15 Jahren habe stehen lassen. „Es passt zu meinem Lebensstil, ich bin ein positiver Mensch“, sagt er. Der Postbeamte, Mitte vierzig, erzählt, dass er großen Wert auf sein Äußeres lege. Das habe er von der Generation seiner jamaikanischen Eltern übernommen. Nachdem Cynthia McDonald seine Locken gewaschen und neu gedreht hat, lässt sich Rodney Green die Locks zu einem Zopf nach hinten flechten.

„Hier bin ich immer willkommen“

Die Lehrerin Patricia Quow, 55, sie ist die Dame, die unter der Dampfhaube saß, hat einen anderen Grund für ihre Locken, die ihren gesamten Rücken hinunterreichen. „Als ich vor vielen Jahren Mutter wurde, brauchte ich einen unkomplizierten Stil, der sich im Nu herstellen lässt.“

Nun pilgert sie schon seit zwanzig Jahren zu Cynthia McDonald, genau wie Landy Richmond, 56, dessen Locks ihm fast bis zu den Hüften gehen. Der wohlbeleibte freundliche Mann hat einen weiteren Grund für seinen Aufenthalt hier: Was hier geschehe, sei Therapie. „Nach jedem Besuch im Eden fühle ich mich wie neu geboren.“

Auch seine Kinder hat er mitgebracht. Sie sitzen am Tisch und malen, während Papa seine Therapie erhält. Cynthia McDonald lächelt geschmeichelt, als Rodney noch einen draufsetzt. „Hier bin ich immer willkommen, wir reden über Politik, Probleme und allerlei anderes, aber sollte ich mal Ruhe brauchen, wird das genauso respektiert.“ Er nennt Cynthia und „Back to Eden“ Familie, ohne Familie zu sein. Alle Anwesenden stimmen dem zu. Back to Eden, mindestens alle sechs Wochen!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare