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Politische Zielkonflikte

von PATRIK SCHWARZ

Einen Stop-over nennen die Diplomaten Gerhard Schröders gestrigen Besuch in Pakistan. Das Wort allein soll schon signalisieren: Es handelt sich um einen ebenso kurzen wie kurzfristig arrangierten Zwischenstopp. Die beiden zentralen Stationen der siebentägigen Reise, Indien und China, wurden im vergangenen Jahr geplant und dienen vor allem der Wirtschaftsförderung. Doch dann kam der 11. September, und jetzt besucht der Kanzler eben auch, was an Anti-Terror-Etappen auf dem Weg liegt. Für den Rückflug ist deshalb ein Besuch beim russischen Präsidenten vorgesehen. Putin hatte sich zuletzt mit seiner Rede vor dem Bundestag dem Westen als Bündnispartner im Kampf gegen den Terrorismus angeboten.

Der problematischere Gesprächspartner ist der pakistanische Staatschef Pervez Muscharraf. Der General kann sich derzeit über mangelndes Interesse nicht beklagen. So waren etwa US-Außenminister Powell und die EU-Troika bereits in Islamabad zu Besuch und Joschka Fischer sowieso. Seit sich der einstige Putschist auf die Seite der Anti-Terror-Allianz gegen Ussama Bin Laden und das afghanische Taliban-Regime stellte, wird ihm seine Vergangenheit nachgesehen. „Wir wissen alle, wie er an diese Position gekommen ist“, sagte ein Kanzlervertrauter vor der Abreise, „aber alle hatten den Eindruck, dass das der Präsident ist, auf den wir hier bauen müssen.“

Schröders Stippvisite in Pakistan reiht sich in eine Serie von heiklen Missionen ein, zu denen auch die jüngsten Besuche des deutschen Außenministers im Iran und in Saudi-Arabien gehören. „Wir stehen in einem Zielkonflikt“, heißt es dazu unumwunden in einem internen Papier des Auswärtigen Amts, das der taz vorliegt. Einerseits sei es ratsam, sich nicht mit autoritären Regimen zu identifizieren, die womöglich zum Teil schon selbst „auf tönernen Füßen stehen“. Andererseits sei der Westen nach dem 11. September auf manche dieser Länder angewiesen.

Um den Umgang mit diesen Staaten zu erörtern, traf sich zehn Tage nach den Anschlägen von New York und Washington eine Runde aus Wissenschaftlern, Diplomaten und Geheimdienstexperten im Auswärtigen Amt. Ihre Einschätzungen geben noch nicht die ausformulierte Politik der Bundesregierung wieder. Sie liefern aber ein Bild von den Argumenten und Erwägungen, die das Denken des Teams um Joschka Fischer beeinflussen.

Vor allem die externen Experten haben den Diplomaten die „Widersprüche in der Politik des Westens“ vorgehalten. Dazu zählt etwa das „ ,Vergessen‘ Afghanistans nach dem Ende der UdSSR“ sowie die „enge Zusammenarbeit USA-Saudi-Arabien trotz saudischer Unterstützung für islamischen Fundamentalismus und Terrorismus (auch in Afrika, Ostasien etc.)“. Gemeinsam mit den USA trage Saudi-Arabien außerdem die Verantwortung für das „Heranzüchten der Taliban“.

Ähnlich widersprüchlich ist die Rolle Pakistans. „Sehr viele pakistanische Offiziere dienen bei den Taliban und stellen sogar das militärstrategische Rückgrat der Taliban dar“, heißt es in dem Ergebnisprotokoll. In der Armee selbst gebe es islamische Netzwerke und Tendenzen, „laut BND aber wenig bei den Generälen“. Entsprechend lautete ein Motiv für Schröders Gespräch mit Muscharraf, „ihn in der Auseinandersetzung mit auch vorhandenen islamistischen Tendenzen zu unterstützen“, wie es aus der deutschen Delegation hieß.

Vergleichsweise günstig fällt die Beurteilung der so genannten Schurkenstaaten aus. Keiner von ihnen sei „erkennbar direkt in den Anschlag vom 11. 9. verwickelt – anscheinend auch nicht der Irak“. Offenbar hat diese Auffassung sich inzwischen in der Bundesregierung durchgesetzt, denn dort wird eine Ausweitung des Konflikts gegen das Regime Saddam Husseins abgelehnt. Frühzeitig hatten die Experten auch grünes Licht für Fischers Kurs einer Annäherung an den Iran gegeben, die in seinem Besuch in der vergangenen Woche gipfelte. „ Iran [. . .] ist heute kein Exporteur von Terrorismus mehr“, hält das Protokoll fest. Dasselbe gelte für Libyen.

An die Stelle von Staaten als Förderer des Terrorismus sind Netzwerke getreten. „Das Fehlen glaubwürdiger, charismatischer Führungspersönlichkeiten, die in der gesamten islamischen Welt anerkannt werden, schafft eine ‚Marktlücke‘ für selbst ernannte ‚Retter‘ oder ‚Befreier‘.“

Im Mittelpunkt der Analyse des neuen, globalen Terrorismus steht darum die Warnung vor „staatsfreien Räumen“. Bis auf Afghanistan seien nicht Staaten, die mit Terroristen sympthisieren, die Gefahr, sondern „zerfallende Staaten mit schwindender Kontrolle über ihr Territorium“. In diesem Modell erscheinen, drastisch ausgedrückt, die terroristischen Zellen wie Parasiten, die sich einen Wirt suchen, der zu schwach geworden ist, sich zu wehren. „Dadurch fällt der Nachweis staatlicher Beteiligung/Förderung schwerer.“ Kritisch wird angemerkt, der Kampf gegen die Taliban stoße hier an Grenzen: „Ein Ausweichen der terroristischen Infrastruktur auf andere Gebiete ist nicht auszuschließen.“ Namentlich genannt werden als „staatsfreie Räume“ der Nordirak und Kaschmir.

Für den Kanzler dürfte der Hinweis auf Kaschmir besonders brisant sein. Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan um die Grenzregion stand in Islamabad wie in Neu-Delhi auf der Tagesordnung. Gerade aus europäischer Sicht schien es sich dabei lange um eine regionale Auseinandersetzung zu handeln. Die Expertenrunde im Auswärtigen Amt bemühte sich offenbar, vorrangig in staatlichen Kategorien denkenden Diplomaten die Augen für Politik im Zeitalter Bin Ladens zu öffnen. Wenn Staaten stark sind, sind sie zwar manchmal eine Gefahr, könnte man zusammenfassen, aber wenn Staaten schwach sind, kontrolliert niemand die Gefahr auf ihrem Territorium.

„1. Staatsfreie Räume eindämmen“ lautet daher eine der wenigen konkreten Empfehlungen der Runde, die die Umsetzung gleich mitlieferte: „2. Das Taliban-Regime muss verschwinden.“ Gerade hier zeigt sich allerdings die Schwäche des Modells: Mag auch der Westen die Taliban völkerrechtlich nie anerkannt haben, so handelt es sich bei dem Regime doch in vielerlei Hinsicht um eine staatliche Macht. Es kontrolliert einen Großteil des afghanischen Territoriums, das Militär ohnehin, auch die verbliebenen Zivilstrukturen. Bin Laden entschied sich gerade nicht für einen „staatsfreien Raum“ als Rückzugsort, sondern für einen ihm genehmen Staat, dessen Rest an symbolischer und militärischer Schutzfunktion ihn jetzt vor dem Zugriff bewahren soll.

Eine gewisse Ratlosigkeit schien bei den Experten über geeignete Mittel der Terrorbekämpfung vorzuherrschen. Auf Militärschläge als Option geht das Papier nicht ein, wohl weil die Teilnehmer keine Militärs waren. Sanktionen seien zwar vielleicht hilfreich gegen „Staatsterrorismus“, taugten aber im Einsatz gegen transnationale Netzwerke wenig. Die Terroristen von ihren Geldquellen abzuschneiden sei schwierig, zumal angesichts der „fortbestehenden Finanzierung von Terroristengruppen aus den Golfstaaten (speziell Saudi-Arabien)“. Langfristig müsse der Nahost-Konflikt gelöst werden, der zwar „keine hinreichende, aber eine notwendige Voraussetzung“ für den 11. September gewesen sei. Für einen Dialog der Kulturen bedürfe es gleicher Augenhöhe „statt westlicher Dominanz“. Wesentlich für die Akzeptanz des westlichen Vorgehens in der islamischen Welt sei dabei die „akute Frage nach Beweisen für Bin Ladens Schuld“ – die der Westen bis heute schuldig blieb.

Einen originellen Schluss bieten die Experten zur Frage an, ob Europa neues Ziel des Terrors werden könnte. „Die simplistische Sichtweise der gewalttätigen Fanatiker lässt durchaus den Schluss zu, auch die Verbündeten seien Ziele der Terroristen“, heißt es in dem Papier, „reziprok zur US-Sicht ‚Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns.‘“

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