Politische Lage in Aserbaidschan: Petrokratie in Familienbesitz
Das ölreiche Aserbaidschan wird von einer undemokratischen und korrupten Elite rund um den Clan von Präsident Alijew regiert. Daran ändert auch der ESC nichts.
MOSKAU taz | Idrak Abbasow hat schwer gelitten. Mehrere Rippenbrüche und eine Gehirnerschütterung brachten ihm die Häscher bei. Ob er auf dem verbundenen Auge jemals wieder sehen kann, ist auch noch nicht sicher.
Idrak Abbasow ist ein international ausgezeichneter Journalist. Im April wurde er von Sicherheitskräften des staatlichen aserbaidschanischen Ölkonzerns Socar übel zugerichtet. Er filmte gerade, wie Bewohner aus ihrem Haus in Baku vertrieben wurden. Fassungslos sahen sie zu, als Bulldozer die Bleibe vor ihren Augen schleiften. Baku, der Austragungsort des Eurovision Song Contests, soll schließlich makellos sein.
Seit einem Jahr wurden Dutzende von Häusern in der Nähe der Strandpromenade abgerissen und deren Bewohner auf die Straße gesetzt. Zwar bot der Staat Entschädigungen an, sie entsprachen aber nicht dem Marktwert. Für eine vergleichbare neue Wohnung reichte das Geld nicht. Oft war das Räum- auch ein Überfallkommando, das den Betroffenen keine Zeit ließ, noch ein paar Habseligkeiten einzupacken. Der Ölgigant Socar behauptet, der Grund und Boden sei sein Eigentum. Socar ist ein Staat im Staate.
„Dass sie mich so zurichten, hatte ich nicht erwartet, sie wollten mich nicht schlagen, sondern töten“, meint Abbasow, der kurz zuvor vom Britischen Index of Censorship ausgezeichnet worden war. Der 35-jährige ist nicht der einzige oppositionelle Journalist, den die Sicherheitsorgane auf der schwarzen Liste führen. Auch Chadija Ismailowa versuchte das Regime von Präsident Ilcham Alijew einzuschüchtern. Die Reporterin von Radio Free Europe erhielt einen Brief mit intimen Fotos und der Drohung, sie in aller Öffentlichkeit bloßzustellen, sollte sie ihre Nachforschungen nicht aufgeben. Kurz darauf erschien ein Sex-Video auf YouTube, das von einer in ihrer Wohnung installierten Kamera aufgenommen war.
Ismailowa spürt der allgegenwärtigen Korruption nach. Nicht selten führt ihre Fährte direkt in den Clan des Präsidenten Ilcham Alijew. Auch am Bau der „Crystal Hall“, die den Sängerwettbewerb beherbergt, verdient die Präsidentenfamilie durch versteckte Beteiligungen am Subunternehmen Azenco mit. Die Gelder für den Glaspalast sollen überdies aus dem staatlichen Rentenfonds entnommen sein.
Der Song Contest als Fassade
Baku lässt sich die Eurovision eine Menge kosten. Das autoritäre Regime nutzt die Großveranstaltung, um sich als moderner, westlich orientierter Staat zu präsentieren. „Der Song Contest ist Teil dieser Fassade, die den Eindruck erwecken soll, wir seien ein europäisches Land“, meint Leila Alijewa, Leiterin des „Zentrums für nationale und internationale Studien“ in Baku. Europäisch bedeute für die Machthaber, europäische Lieder zu singen und wie in Europa einzukaufen. Die Achtung der Menschenrechte gehöre jedoch nicht dazu.
Die Annahme, dass der internationale Wettbewerb dazu beitragen könnte, auch die Demokratisierung des Landes zu fördern, hat sich nicht bestätigt. Schrittweiser Wandel durch Annäherung fand nicht statt, die verstärkte Aufmerksamkeit westlicher Medien und deren Kritik an der Verletzung demokratischer Prinzipien perlte an der Führung in Baku einfach ab. Die unternahm auch keine größeren Anstrengungen, eindeutige Rechtsüberschreitungen der Sicherheitsbehörden zu vertuschen.
Der Alijew-Clan und die Kamarilla aus Ministern und Oligarchen fühlen sich sicher. Noch haben sie das Land dank der hohen Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft fest im Griff. Aserbaidschan glänzte im letzten Jahrzehnt mit zweistelligen Wachstumsraten, die auf Rohstoffförderung beruhten. Davon sickerte aber nur wenig nach unten durch – gerade mal so viel, dass das System keine Unruhen befürchten musste
Der Ölreichtum kommt nicht im Volk an
Der Lebensstandard der breiten Masse stieg kaum. Auch die Arbeitslosigkeit wurde nicht bekämpft. Offiziell liegt sie bei 20 Prozent. Tatsächlich dürfte sie weit höher ausfallen, wenn auch jene Arbeitsemigranten mit einbezogen würden, die in Russland arbeiten.
Aserbaidschan ist ein typischer Petro-Staat, dessen Elite aus Rentiers besteht, die alle übrigen lukrativen Wirtschaftsbereiche unter sich aufteilt. Diese korrupte Elite ist weder an einer Diversifizierung der Wirtschaft interessiert, noch wird sie eine Demokratisierung des politischen Systems zulassen. Denn mit der Preisgabe der Macht würde sie auch den Zugriff auf den Energiesektor verlieren.
Seit Ilcham Alijew 2003 die Herrschaft von seinem Vater Heydar übernahm, weist das Regime zunehmend autoritärere Züge auf. Oppositionelle nennen die Präsidentschaft des Vaters, der beileibe auch kein Freund von Meinungsfreiheit und Menschenrechten gewesen ist, heute im Vergleich ein „Goldenes Zeitalter“. Demonstrieren war zumindest erlaubt und Oppositionsparteien waren im Parlament vertreten.
Sechs Jahre Demonstrationsverbot
So konnte die Opposition nach sechs Jahren Verbot in diesem Frühjahr am Stadtrand Bakus eine Kundgebung abhalten. Bei den Parlamentswahlen 2010 erhielt unterdessen kein oppositioneller Kandidat ein Mandat. 2009 hatte Ilcham Alijew bereits in einem Referendum die auf zwei Amtszeiten begrenzte Wiederwahl als Präsident aufheben lassen.
Viel Druck kann der Westen auf Aserbaidschan nicht ausüben. Baku hängt dank seiner Öl- und Gasvorkommen auf keinem finanziellen Tropf. Dementsprechend vorsichtig fallen auch die Ermahnungen aus.
Alijew braucht westliche Unterstützung nur im Konflikt mit dem Nachbarn Armenien um das annektierte Gebiet Berg-Karabach, das einst zu Aserbaidschan gehörte. Die lauten Proteste der Zivilgesellschaft im Vorfeld des Sängerstreits bringt die Herrscherfamilie indes nicht aus der Ruhe: „Wir lassen uns das Festival davon nicht verderben“, meinte die First Lady Merhiba Alijewa.
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