Politische Krise in Europa: Was vom Demos übrig bleibt
Die politischen Machteliten in der EU beugen sich allzu willig den Vorgaben der Banken. Offenbart die Krise des Euro eine Krise der Demokratie?
Endlich mal keine Nebelkerze, sondern ein Donnerschlag. Der ihn bewirkt hat, Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen, reagierte auf den Druck, den die politischen Eliten des Euroraums auf Giorgos Papandreou und sein Projekt eines Referendums ausgeübt hatten.
"Sieht man denn nicht", so schreibt Schirrmacher, "dass wir jetzt Rating-Agenturen, Analysten und irgendwelchen Bankenverbänden die Bewertung demokratischer Prozesse überlassen?" Der Philosoph Jürgen Habermas sprang ihm zur Seite. Für ihn zeigt sich der zynische Sinn des Dramas, der das Projekt des Referendums zum Scheitern brachte: "Weniger Demokratie ist besser für die Märkte."
Bis zum Überdruss sind wir in den letzten Monaten mit Zahlen und Daten gefüttert worden, die uns die Alternativlosigkeit des jeweiligen Plans zur Rettung des Euro suggerieren sollten. Dabei blieb die Frage ausgeblendet, welche Wirkungen eigentlich die Praxis der versuchten Krisenbewältigung auf die demokratischen Verhältnisse in der Europäischen Union hat. Die Intervention von Schirrmacher/Habermas hat das Tor geöffnet für den Streit über das gegenwärtige Verhältnis von Politik und Ökonomie. Offenbart die Krise des Euro eine Krise der Demokratie?
Ein politischer Konzentrationsprozess
Als Erstes sollte man untersuchen, von welchem demokratischen Selbstverständnis die mit der Krisenbewältigung beschäftigten Politiker ausgehen. Schritt für Schritt sind die Institutionen der EU, die Kommission wie das Europaparlament, von Konsultationen, geschweige denn von der Möglichkeit der Mitsprache ausgeschlossen worden.
Aber auch von den 17 Euro-Staaten verschob sich der Entscheidungsprozess letztlich zu einer französisch-deutschen Doppelherrschaft, dem Merkozy. Dieser politische Konzentrationsprozess entsprach keiner sachlichen Notwendigkeit. In seiner Wirkung ist er folgenreich, denn er fördert die ohnehin vorhandene Tendenz vieler EU-Staaten, gemeinsame Projekte hintanzustellen und zu einer ausschließlich national gepolten Interessenpolitik zurückzukehren.
Im gesamten Verlauf der Verhandlungen, die mit Griechenland geführt wurden, spielte die ökonomische und soziale Lage der griechischen Bevölkerung keine Rolle. Vielmehr wurde der griechischen Regierung noch eine Verschärfung der "Reformen" auferlegt. Diese Politik der Gleichgültigkeit wurde flankiert von einem Trommelfeuer insbesondere der deutschen Medien, die das Stereotyp vom "faulen Griechen" befestigten. Eine Verleumdungsstrategie, an deren Verbreitung auch die Bundeskanzlerin beteiligt war.
In vordemokratischen Zeiten sprach man vom Arcanum, einem abgeschlossenen Raum, in dem Entscheidungen gefällt und Geheimhaltung selbstverständlich waren. Dieser Praxis folgen die Machteliten beim Behandeln der Eurokrise nicht nur auf der EU-Ebene, sondern auch im innerstaatlichen Bereich, wofür Deutschland ein aktuelles Beispiel liefert. Der Versuch der Bundesregierung, Budgetentscheidungen im Schnellverfahren auf den Haushaltsausschuss zu verlagern, wurde allerdings im Eilverfahren vom Bundesverfassungsgericht gestoppt.
Das Volk ist inkompetent
Wie sind eigentlich in Deutschland selbst politische Entscheidungen mit weitreichenden ökonomischen Effekten zustande gekommen? Oft genug am Volk vorbei. Vom Grundgesetz über den Beitritt der "neuen Länder" zur Bundesrepublik bis zum Lissaboner Vertrag - stets wurde eine Volksabstimmung vermieden. Aber auch dort, wo durch Wahlen zum Parlament eine Entscheidung hätte herbeigeführt werden können, wurden vielfach entscheidende Fragen im Wahlkampf überhaupt nicht aufgeworfen.
Das jüngste, krasse Beispiel bildet die Agenda 2010, von der bei den Bundestagswahlen 2002 mit keinem Wörtchen die Rede war und die nach der Wahl in einem Überraschungscoup lanciert wurde. Einige der Methoden, mittels derer diese "Reform" damals schmackhaft gemacht wurde, sind instruktiv auch für die Analyse der gegenwärtigen Krisenpolitik.
Da wäre vor allem die herausgestrichene Rolle von Sachverständigen und deren überlegener Fähigkeit zur Problemlösung zu benennen. Ganz so, als ob es einen wissenschaftlichen Königsweg gäbe, den die Experten nur herausfinden müssten, um uns dann beim Händchen zu nehmen.
Umgekehrt wird rundheraus abgestritten, dass, wie beim griechischen Referendumsprojekt, das Wahlvolk überhaupt in der Lage wäre, die unübersichtlichen, sachlich schwierigen Fragen, die sowohl bei einem Ja wie bei einem Nein gegeben sind, überhaupt zu verstehen. Jeder Versuch der Komplexitätsreduktion wäre hier vergeblich. Also sei es besser, wenn die Regierung dem Rat der Sachverständigen folgte und entsprechende Entscheidungen fällte, die dann vom Parlament abgenickt würden.
Der antidemokratische Kern dieser Argumentation liegt auf der Hand. Im Gegensatz hierzu böte ein Referendum die Möglichkeit, eine große öffentliche Debatte zu initiieren, neue Gesichtspunkte zu hören, in der Öffentlichkeit alle Fragen aufzuwerfen, die mit dem Gegenstand des Referendums zusammenhängen und andere, bislang abseits stehende Menschen einzubeziehen. Es ist deshalb unrichtig zu behaupten, die Griechen hätten nur die Wahl zwischen Pest und Cholera gehabt. Diese Ansicht unterschlägt die Lernprozesse, die, mehr Zeit vorausgesetzt, auch bei einem Referendum möglich gewesen wären.
Ein schleichender Souveränitätsverlust
Giorgos Papandreou ist wie ein Befehlsempfänger nach Cannes zitiert, dort gedemütigt und abgefertigt worden. Dieses Vorgehen beleidigt nicht nur den Menschen Papandreou, sondern auch die Nation, die er vertritt. Ein Angriff auf die Würde dieser Demokratie, die Jürgen Habermas in seiner Intervention eingeklagt hatte. Ohne dass die demokratischen Folgen in Betracht gezogen worden wären, wurden Griechenland wichtige Souveränitätsrechte entzogen. Und auch die künftige italienische Regierung muss einen EU-Aufpasser dulden.
Dieser schleichende Souveränitätsverlust, entschieden aufgrund des Drucks der Finanzmärkte, diskreditiert jeden Versuch, eine solidarische Lösung für die Probleme zu finden, die sich tatsächlich angesichts der Krise zwischen den einzelnen EU-Mitgliedern auftun. Wie zu verhindern sei, dass das Handeln eines EU-Mitglieds ruinöse Folgen für andere Mitglieder der Union nach sich zöge.
Die politischen Machteliten in der EU folgen der Sichtweise des Bankensektors und sind weit davon entfernt, politische Konsequenzen aus dem Desaster der Eurokrise zu ziehen. Dennoch wäre es verfehlt, von einem Sieg "des Ökonomischen" über "das Politische" zu reden. Der an den Bankeninteressen orientierte Staat kann seine Prioritäten nicht schrankenlos durchsetzen, er muss die Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft ins Kalkül ziehen, die Entwicklung von Mentalitäten, der europaweit geteilten Empörung über die "Zocker" eingeschlossen.
Mit Recht fordert Jürgen Habermas seit Langem, eine europäische Öffentlichkeit zu schaffen, politische Themen europaweit als europäische aufzuwerfen und europäische Institutionen neu zu begründen. Aber diese Aufrufe bleiben fruchtlos, wenn es keine Versuche gibt, einen europäischen Aktionsraum in der Praxis herzustellen. Anlässlich des Lissaboner Vertrages gab es das Projekt einer europaweiten Versammlungsdemokratie, den "litiges", an denen nicht nur Intellektuelle teilnehmen sollten.
Das Projekt scheiterte, es hatte keinen politischen Anker. Gestern wie heute bedarf es der europäischen Initiative "von unten", bedarf es einer Verstetigung und Organisierung der Debatten und des Protestes, bedarf es einer "Zornbank". Wer dort einlegt, wird das nicht in Form der außer Kurs geratenen Währung "europäische Werte" tun. Sondern er wird auf praktische Solidarität setzen. In Europa und gegenüber der Welt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten