Politische Blockade in Nordirland: Eine Reform käme zu früh
Regierungsbildungen in Nordirland sind schwierig. Aber noch sollten beide ehemaligen Konfliktparteien paritätisch eingebunden werden.
E r war sehr vorsichtig. US-Präsident Joe Biden hat in seiner Rede in der Ulster-Universität in Belfast alles vermieden, was die pro-britische Democratic Unionist Party (DUP) hätte aufregen können. Er war zwar gekommen, um den 25. Jahrestag des Karfreitagsabkommens zu feiern, aber was die Wiedereinsetzung der aus dem Abkommen hervorgegangenen Institutionen angehe, die von der DUP seit gut einem Jahr boykottiert werden, wäre sie zwar wünschenswert, sei aber einzig Sache der Nordiren.
Aber die DUP-Chefs glauben Biden nicht. Warum auch? Das Misstrauen gegen den US-Präsidenten ist aus ihrer Sicht durchaus begründet. Er streicht gern seine irischen Wurzeln heraus, während er seine Stippvisite in Nordirland wie eine Pflichtübung erledigte: Sie dauerte gerade mal 15 Stunden. Aber Biden ist gar nicht das Problem der DUP. Am 18. Mai stehen Kommunalwahlen an. Die Umfragewerte sind nicht gut; viele Wähler wenden sich den noch extremeren unionistischen Parteien zu.
Die Spaltung dieses Lagers hatte im vorigen Jahr dazu geführt, dass die irisch-nationale Sinn Féin zur stärksten Partei in Nordirland wurde. Hinzu kommt, dass Sinn Féin in Umfragen auch in der Republik Irland weit vor den anderen Parteien liegt. Eine Sinn-Féin-Regierung in beiden Teilen Irlands, die eine irische Vereinigung forcieren könnte, ist ein Schreckgespenst für die Unionisten.
Die DUP braucht einen Wahlerfolg im Mai, um Druck auf den britischen Premier Rishi Sunak ausüben zu können, damit er den Windsor-Rahmenplan, den er mit Brüssel Ende Februar abgeschlossen hat, nachbessert. Denn dieser Plan sieht den Verbleib Nordirlands im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion vor. Mit einem Ende des DUP-Boykotts ist deshalb vor den Kommunalwahlen nicht zu rechnen.
Die Gesellschaft hat sich verändert
Ist eine Reform des Belfaster Abkommens fällig, die die Machtteilung zwischen Katholiken und Protestanten verlangt? Sicher, einige Aspekte bedürfen einer Überarbeitung, damit die Parteien, die keiner Konfliktseite angehören, mehr Einfluss bekommen. Die politische Landschaft und die Gesellschaft haben sich in den vergangenen 25 Jahren verändert – die im Abkommen festgelegten Regeln hingegen nicht.
Es ist aber zu früh, im Parlament eine normale Mehrheitsregel einzuführen, solange es keine Annäherung beider Seiten gibt, denn unter der Diktatur der unionistischen Mehrheit hat Nordirland ein Dreivierteljahrhundert gelitten, was schließlich zum bewaffneten Konflikt führte. So verlockend es klingt, den Spieß umzudrehen und die Regierung ohne DUP-Beteiligung einzusetzen, so töricht wäre das, denn es sind noch genügend Waffen irgendwo in Nordirland vergraben.
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