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Politikwissenschaftler über Graue Wölfe„Es geht um eine Dominanz in der türkischen Community“

Die Grauen Wölfe gelten als die zweitgrößte rechtsextremistische Bewegung in Deutschland. Ismail Küpeli zeigt in seinem Buch, wie gefährlich sie ist.

Symbol des aggressiven türkischen Nationalismus: Wolfsgruß

Interview von

Finn Sünkler

taz: Herr Küpeli, wer sind die Grauen Wölfe?

Ismail Küpeli: Die Bewegung der Grauen Wölfe geht auf verschiedene in den 1940er-Jahren in der Türkei entstandene rechtsextreme Netzwerke zurück. Schon zu Beginn war es eine nationalistische und autoritäre Bewegung, die sich stark mit dem Staat identifizierte. Sie versteht sich als unterstützende Kraft im Kampf gegen gemeinsame Feinde. Das unterscheidet die Grauen Wölfe auch von anderen rechtsextremen Bewegungen weltweit. Während andere auf einen Umsturz des bestehenden Systems zielen, sehen sie sich als loyale Bewegung. Sie wollen den türkischen Staat nicht abschaffen, sondern ihn nach ihren nationalistischen Vorstellungen formen.

taz: Wie kamen Sie darauf, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen?

Küpeli: Als jemand, der sich auch politisch für die pluralistische Demokratie in Deutschland engagiert, finde ich es naheliegend, sich auch mit der zweitgrößten rechtsextremen Bewegung zu beschäftigen. Zum anderen ergibt sich mein Interesse auch aus meiner wissenschaftlichen Arbeit. Bis heute sind sie für das politische System in der Türkei von erheblicher Bedeutung. Über die MHP, Partei der nationalistischen Bewegung, sind sie Teil der Regierungskoalition.

Im Interview: Ismail Küpeli

geboren 1978, promovierter Politikwissenschaftler mit der Dissertation „Die kurdische Frage in der Türkei. Über die gewaltsame Durchsetzung von Nationalstaatlichkeit, seine Forschungsschwerpunkte sind Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus, Autor des Buchs „Graue Wölfe: Türkischer Rechtsextremismus in Deutschland“.

taz: Welche Ziele verfolgen sie konkret?

Küpeli: Die Ziele unterscheiden sich in der Türkei und im Ausland. In der Türkei steht vor allem die Idee einer ethnisch homogenen, türkisch-sunnitischen Nation im Vordergrund – das bedeutet, Gruppen wie Alevit*innen, Kurd*innen oder linke Oppositionelle zu marginalisieren und den türkischen Nationalismus dominant zu halten.

taz: Und jenseits der Türkei?

Küpeli: Zunächst geht es um die Herstellung einer Dominanz innerhalb der türkischen Community, etwa indem Vereine oder Moscheen so beeinflusst werden, dass kritische Akteure verdrängt werden. Da sich ein ethnisch homogenes Staatsbild in Deutschland nicht umsetzen lässt, konzentrieren sich die Grauen Wölfe auf eine innergemeinschaftliche Machtpolitik und die Förderung türkisch-nationalistischer Positionen, auch mithilfe anderer rechtsextremerAkteure.

taz: Inwiefern?

Küpeli: In den 1990er-Jahren gab es Kontakte zu einzelnen Personen aus der NPD und rechtsextremen Kameradschaften. Ihre Gemeinsamkeit ist die Rekrutierung von Mitgliedern in Fußball- und Kampfsportvereinen. Daneben läuft die Mobilisierung aber vor allem über lokale Moscheevereine. Allerdings ist in letzter Zeit ein anderer Trend zu beobachten: In Teilen der Wählerschaft mit türkischen Wurzeln gibt es zunehmend Sympathien für die AfD. Inhaltliche Schnittmengen zeigen sich beim Antifeminismus, bei der Queerfeindlichkeit und Ablehnung von Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak.

Lesung und Gespräch: Graue Wölfe – Türkischer Rechtsextremismus in Deutschland, 18.11., 18:30 Uhr, Kölibri, Hein-Köllisch-Platz 12, Hamburg

taz: Wie sind die Grauen Wölfe in Deutschland organisiert?

Küpeli: Der Kern ihrer Strukturen besteht aus drei Moschee- und Dachverbänden. Insgesamt gibt es 10.000 organisierte Anhänger*innen. Darüber hinaus gibt es eine Szene von weiteren 2.000 Personen, über die es weniger gesicherte Erkenntnisse gibt. Dabei handelt es sich um gewaltbereite, teils militante Netzwerke. Ihre Strukturen ähneln oft denen von Rockerclubs.

taz: In Frankreich sind die Grauen Wölfe verboten, in Österreich ihr Gruß – in Deutschland aber weder das eine noch das andere. Warum?

Küpeli: Sowohl das Verbot der Grauen Wölfe in Frankreich als auch das Verbot ihrer Symbole in Österreich sind auf Gewaltereignisse zurückzuführen. In Frankreich hat es eine Welle anti-armenischer Angriffe gegeben. In Österreich kam es 2020 in Wien zu massiven Ausschreitungen gegen Kurd*innen. Der Bundestag hat 2020 einen Antrag verabschiedet, der das Bundesinnenministerium aufforderte, ein Verbot der grauen Wölfe zu prüfen – bislang aber ohne Konsequenzen. Das hat auch außenpolitische Gründe. Ein Verbot der Grauen Wölfe würde einem Verbot des Regierungspartners von Erdoğan, der MHP, in Deutschland gleichkommen.

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