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Politikerin über Umgang mit Bettlern„Mehr Sozialrechte für EU-Ausländer“

Die Grüne Mareike Engels ist dagegen, in der Hamburger Innenstadt das Betteln im Sitzen zu unterbinden. Helfen würde, das Sozialsystem zu öffnen.

Wir von der Polizei nicht mehr geduldet: sitzender Bettler in der Hamburger Innenstadt Foto: Roberto Pfeil/dpa
Kaija Kutter
Interview von Kaija Kutter

taz: Frau Engels, in Hamburgs Innenstadt geht die Polizei seit einigen Wochen rigider gegen Bettler vor. Findet das die Zustimmung der Grünen?

Mareike Engels: Uns ist wichtig, dass in der Innenstadt auch Obdachlose ihren sicheren Platz finden können. Da spielen natürlich auch Polizei und Ordnungsdienste eine Rolle, wenn Bettler sich nicht an Regeln halten, etwa belästigen oder anpöbeln. Aber reines Betteln ist nicht verboten. Es ist schwer auszuhalten, Armut und Elend zu sehen. Aber das gehört zur Realität unserer Stadt und sollte nicht generell ordnungsrechtlich belangt werden.

Die Polizei toleriert Betteln im Liegen oder Sitzen nicht mehr. Finden Sie das richtig?

Die Grenze muss sein, wenn andere Menschen wirklich gestört werden. Und zwar nicht, dass der Anblick stört, sondern weil sie tatsächlich beeinträchtigt werden. Dann muss eingegriffen werden, und zwar angemessen und sensibel. Aber dass beim Betteln sich hingesetzt wird, finde ich jetzt nicht so das Problem.

Sie schrieben auf Facebook: „Nicht die Regeln sind verschärft worden, aber ihre Auslegung durch die Polizei.“ Haben Sie denn eine Erklärung dafür, wieso das jetzt passiert?

Wir haben rund um den Hauptbahnhof eine Zunahme von Personen, die stark in soziales Elend gestürzt sind. Neben Obdachlosen gehören dazu auch Suchtkranke. Hier treffen verschiedene Schwierigkeiten auf engem Raum zusammen. Und dann ist der Hauptbahnhof der meistgenutzte Bahnhof nach Paris in Europa. Es ist extrem voll.

Es gibt Dichtestress?

Genau. Dass es zu Nutzungskonflikten kommt, liegt nahe. Und dass die Polizei eine Rolle spielt, um die Sicherheit aller zu gewährleisten, ist nicht das Problem. Aber die Innenstadt muss für die Schwächsten unserer Gesellschaft ein sicherer Ort sein.

Hat sich die Lage wegen der Pandemie verschärft?

Bild: Bürgerschaft-HH
Im Interview: Mareike Engels

Mareike Engels

34, ist Vizepräsidentin der Hamburger Bürgerschaft und sozialpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion.

Die zunehmende Verelendung sah man schon vor der Pandemie. Aber sie war ein Katalysator, weil viele Hilfeprozesse abbrachen und Menschen nicht so gut geschützt waren und arbeitslos und obdachlos wurden. Hinzu kommt, das es Obdachlose aus EU-Ländern gibt, die keine sozialrechtlichen Ansprüche haben. Sehen die die Rückkehr ins Heimatland nicht als Perspektive, dann haben wir für sie hier vor Ort im Grunde nur niedrigschwellige Hilfen. Und damit ist keine Überwindung von Obdachlosigkeit möglich.

Man kann nicht gut helfen?

Auch hier finden So­zi­al­ar­bei­te­r*in­nen immer wieder Lösungen. Aber es ist extrem schwierig. Die Betroffenen haben keinen Anspruch auf öffentliche Unterbringung, auf Sozialleistungen und Kosten der Unterkunft.

Sie sagen, die „Law-and-Order -Fraktion“ beutet diese Zuspitzung der Probleme aus. Was meinen Sie damit?

Die Äußerungen aus dem rechten Spektrum, laute Rufe nach restriktiven Maßnahmen. Da hat Hamburg ja eine Geschichte, Stichwort Schill.

Sie sagen, mühsamer wäre die Suche nach Lösung. Dafür bräuchten wir wirksamere, soziale Hilfen und einen Ansatz zur Konflikt-Regulierung, der mit allen Betroffenen arbeitet. Haben Sie dafür eine Idee?

Das eine sprach ich schon an. Wenn wir nicht sozialrechtlich die Ansprüche für EU-Ausländer erweitern, dann werden wir das Ziel, Obdachlosigkeit bis 2030 zu überwinden, nur sehr schwer erreichen. Wenn überhaupt. Denn wir brauchen für jeden einzelnen Obdachlosen eine Lösung. Wenn, wie die Zählung von 2018 ergab, tatsächlich 70 Prozent nur begrenzt anspruchsberechtigt sind, dann brauchen wir andere sozialrechtliche Lösungen. Und zwar auf Bundesebene.

Startet Hamburg eine Initiative, das im Bund zu ändern?

Nein. Da gibt es zwischen den Parteien auch im Bund keinen Konsens. Viele glauben, dass das eine Sog-Wirkung entfaltet. Aber wenn Menschen wirklich hier bei uns auf der Straße ihren Lebensmittelpunkt haben, dann brauchen sie eine Chance, ins Sozialrecht zu kommen. Das könnte für den deutschen Staat sogar günstiger werden.

Es gibt ja in Hamburg ein ‚Housing First'-Projekt. Wie läuft das denn?

Das gibt es ja noch nicht so lange. Aber da höre ich richtig gute Berichte. Wir bieten dort Menschen, die lange obdachlos waren und für die der Weg über eine öffentliche Unterkunft nichts war, die Chance, von der Straße in die eigene Wohnung zu kommen. Unabhängig davon, was sie sonst für Schwierigkeiten hatten. Auch, wenn es erst mal mit 30 Plätzen eine kleine Zahl ist, lässt sich das ausbauen.

Wann entscheidet sich das?

Es wird gerade erprobt, wie das Housing-First-Konzept im hiesigen Wohnungsmarkt und Hilfesystem gut integrierbar ist und ob es noch Anpassungsbedarf in der Konzeption gibt. Ich habe keine Zweifel, dass Housing First auch in Hamburg ein Erfolg wird. Und auch, dass wir dann zügig weitere Kapazitäten schaffen.

Das Winternotprogramm ist gerade beendet und es durften 110 kranke Obdachlose dort bleiben. Nach welchen Kriterien wurde das entschieden?

Hieran zeigt sich, dass es diese Verelendung gibt. Es ist nicht mehr so wie früher, wo das Winternot-Programm Ende März geschlossen werden konnte. Die Gruppe hat sich verändert. Es sind viele Kranke, viele Ältere, viele Pflegebedürftige. Das ist dramatisch. Es zeigt auch, wie sehr die Wohnungsnot zugenommen hat.

Brauchen wir eine Pflegestation für Obdachlose?

Die Bahnhofsmission hat gerade eine Notpflegestation eröffnet und die Stadt hat ein Angebot und wird noch weitere schaffen.

Brauchen wir ein ganzjähriges Notprogramm?

Mit dem Pik As und dem Frauenzimmer haben wir ja ein ganzjähriges Notprogramm. Wir sollten aber fernab ritualisierter Debatten rund ums Winternotprogramm darüber reden, ob es veränderte oder andere Unterkunftsangebote braucht.

Es gab Samstag eine Demo gegen das Bettelverbot. Gibt es in der Koalition Gespräche über die Praxis?

Was alle eint, ist der Wunsch, die sozialen Probleme zu lösen. Und dann gibt es einfach unterschiedliche Rollen und unterschiedliche Aufgaben.

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7 Kommentare

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  • Einem juristschen Kommentar zum Hamburgischen Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zufolge hat die Stadt Hamburg in der Vergangenheit versucht, über das Polizeirecht eine Bettelverordnung in der City zu verankern, was aber scheiterte.

    Nun also ein neuer Versuch, obwohl der Kommentar betont, dass Betteln auf der Straße laut einem Gerichtsurteil nicht verboten werden kann.



    Selbst ein juristischer Laie kann erkennen, dass das Liegeverbot in der City von der Polizei an den Haaren herbeigezogen ist.







    Die Stadt Hamburg versucht also wieder einmal, mit den Mitteln des Polizeirechts "Probleme" mit der Obdachlosigkeit zu lösen, kommt dabei vor allem den Bedürfnissen der mächtigen Kaufmannschaft entgegen, die behauptet, dass sich Kunden durch Obdachlose beim Einkaufen gestört fühlen.



    Was ist aber mit denjenigen Kunden, bei denen das nicht der Fall ist?



    Was sagen die Senatorinen Leonard und Schlotzhauer zur Verdrängung der Obdachlosen durch die vage Rechtsauslegung der Polizei?

    Ist es nicht verantwortunglos, wenn die Sozialbehörde und die Fraktion der Grünen nicht den eigenen juristischen Sachverstand bemühen, um die Auslegung des Polizeirechts gegenüber Obdachlosen durch die Polizei zu hinterfragen?

    Wieviele Passanten fühlten sich laut Polizei konkret durch Obdachlose gestört? Wurde von der Polizei versucht, mögliche gegenteilige Äußerungen von Passanten zu dem jeweiligen Sachverhalt einzuholen und vor allem wurden die betroffenen Obdachlosen mit der Begründung der Störung konfrontiert, um eine "Besserung" herbeiführen zu können?

    Fragen und über Fragen, die geradezu nach einer juristischen Klärung vor Gericht schreien.

    shop.boorberg.de/r...AUCAMP_SOG_LPB.pdf

    • @Lindenberg:

      Sehr interessant. Dies dürfte sicherlich auch VertreterInnen aus der Bürgerschaft interessieren.

  • taz-Zitat v. 31.3.23: "(...) Die Polizei bestätigt übrigens den Einsatz am Dom (...) Der Verdacht, dass die auch ein Fahrzeug beschmiert hätten, habe sich aber „nicht bestätigt“. Da die Bettler respektlos aufgetreten seien und man weitere Konflikte mit den Schaustellern verhindern wollte, hätten die Bettler Platzverweise erhalten. (...)"



    In diesem Zusammenhang muss auch die Frage nach der Kontrolle der Polizei gestellt werden: Wer kontrolliert in der rechtsstaatlichen Demokratie die Polizei? Es sind die Gerichte und die Parlamente.



    Wenn eine Amtsperson/ ein Hoheitsträger (Polizei, Ordnungsamt) einer bettelnden Person im öffentlichen Raum einen Platzverweis erteilt, so handelt es sich formalrechtlich um einen Verwaltungsakt gem. § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Gegen einen Platzverweis ist Widerspruch zulässig; dieser Widerspruch hat zwar keine aufschiebende Wirkung, kann aber nachträglich vom zuständigen Verwaltungsgericht überprüft werden.



    Ein ordnungsrechtlicher Platzverweis muss zielführend und verhältnismäßig sein und ist zudem an bestimmte rechtliche Kautelen (Störung/ Gefahr für die öffentliche Sicherheit & Ordnung) gebunden. Willkürlich erteilte Platzverweise sind unrechtmäßig!

    www.rechtshilfe-ch...%20erteilt%20wurde.

    • @Thomas Brunst:

      Und wenn. Seit wann reagiert die Hamburger Polizei auf Gerichtsurteile?

      • @festus:

        Bei der Erteilung von Platzverweisen durch eine Amtsperson geht es um die Rechtsgrundlage/ Befugnis im Verwaltungs-/ Polizeirecht.

  • Danke für das engagierte Interview der taz. Der Eindruck: Frau Engels nimmt zum Vertreiben der Obdachlosen durch die Polizei aus der Innenstadt nicht klar Stellung. Sie nimmt das Wort Vertreibung nicht in den Mund und benennt nicht klar, auf wessen Druck hin dies maßgeblich geschieht: die Vereinigung der Innenstadt-Kaufleute.



    Die Behandlung der Obdachlosen in der Hamburger Innenstadt macht mittlerweile bundesweit Schlagzeilen. Das ZDF Magazin Royale beschäftigte sich in seiner letzten Sendung damit.



    "Nicht die Regeln sind verschärft worden, aber ihre Auslegung durch die Polizei.“



    Warum ziehen die Grünen als Fraktion nicht vor das Verwaltungsgericht, um klären zu lassen, warum laut Polizei kein Liegen beim Betteln in der Innenstadt mehr möglich ist? Viele der Obdachlosen sind erkrankt. Sollen die gezwungen werden zu stehen? Zynischer geht es kaum.



    Sollte dieser neue "Regelauslegung" Bestand haben, wäre dies beschämend für die ganze Stadt.



    Früh am Morgen, wenn kein Mensch in der Innenstadt ist, beginnen Hausmeister Obdachlose zu verscheuchen. Sie müssen das tun, weil sie dazu die Anweisung erhalten. Keiner fragt sie, ob sie moralisch mit diesem Tun einverstanden sind, genauso wenig, wie Polizisten, die der "neuen" Regelauslegung folgen.

    Deshalb wäre es gut, wenn sich Amnesty International der menschenunwürdigen Vertreibung der Obdachlosen durch die Polizei in der Hamburger Innenstadt annimmt. Denn es geht um die Verteidigung von grundlegenden Menschenrechten. Das sollte die selbst ernannte Menschenrechtspartei, die Grünen, am Besten wissen.

    • @Lindenberg:

      "(...) Der Eindruck: Frau Engels nimmt zum Vertreiben der Obdachlosen durch die Polizei aus der Innenstadt nicht klar Stellung. Sie nimmt das Wort Vertreibung nicht in den Mund und benennt nicht klar, auf wessen Druck hin dies maßgeblich geschieht: die Vereinigung der Innenstadt-Kaufleute. (...)"

      Zustimmung!