EuGH-Urteil zu Polens Justizreform: „Maulkorbgesetz“ ist rechtswidrig

Der Europäische Gerichtshof hat geurteilt: Die polnische Justizreform von 2019 ist mit dem EU-Recht nicht vereinbar.

Ein Demonstrant mit EU-Fahne

Krakau, 29.10. 2021: Ein Demonstrant mit EU-Fahne protestiert gegen die Entlassung von polnischen Richtern Foto: Filip Radwanski/ZUMA Wire/imago

FREIBURG taz | Polnische Richter dürfen wieder die Rechtsstaatlichkeit anderer polnischer Richter in Frage stellen. Der Europäische Gerichtshof hat das polnische „Maulkorbgesetz“ von Dezember 2019 für rechtswidrig erklärt. Es verstoße gegen die EU-rechtlich gewährleistete Unabhängigkeit der Justiz. In Polen versucht die Regierungspartei PiS unter Jarosław Kaczyński seit 2015 mit einer Vielzahl von Gesetzen die Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie hat für eine regierungsfreundliche Mehrheit am polnischen Verfassungsgericht gesorgt. Auch der Justizverwaltungsrat, der die polnischen Richter ernennt, wird inzwischen von der politischen Mehrheit kontrolliert.

Immer wieder stellen aber „alte Richter“ die Unabhängigkeit der unter PiS-Kontrolle berufenen „neuen Richter“ in Frage. Um dies zu verhindern, hat das polnische Parlament Ende 2019 ein weiteres Justizreformgesetz beschlossen, das von der Opposition „Maulkorb­gesetz“ genannt wird. Danach ist es polnischen Richtern verboten, die Unabhängigkeit anderer polnischer Richter zu prüfen. Für solche Fragen soll ausschließlich eine Kontrollkammer am Obersten Gericht zuständig sein, die nur mit regierungstreuen „neuen Richtern“ besetzt ist.

Falls polnische Richter dieses Verbot ignorieren oder den EuGH in solchen Fragen einschalten, soll dies ein Disziplinarvergehen sein. Darüber soll letztlich die Disziplinarkammer am Obersten Gericht entscheiden, die ebenfalls nur mit „neuen Richtern“ besetzt ist.

Zudem verlangte Polen von allen Richtern, dass sie angeben, in welchen Organisationen und Parteien sie Mitglied sind und waren. Diese Angaben wurden im Internet veröffentlicht.

Wegen dieses polnischen Gesetzes hat die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen im April 2021 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. Der EuGH solle feststellen, dass Polen hier gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt.

An diesem Montag hat der EuGH der Kommission nun in vollem Umfang recht gegeben. Das Gesetz von Ende 2019 bedrohe die Unabhängigkeit der Justiz. Polen verstoße gegen das Verbot, jeden rechtsstaatlichen Rückschritt zu vermeiden. Es gehöre zur Aufgabe der Justiz, so der EuGH, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung sicherzustellen. Diese Aufgabe dürfe nicht nur auf ein Gericht – die Kontrollkammer – beschränkt werden, zumal wenn dessen Unabhängigkeit selbst nicht gewährleistet ist. Die drohenden Sanktionen gegen Richter, die ihre Aufgabe erfüllen, gefährde deren Unabhängigkeit. Die Veröffentlichung persönlicher Daten von Richtern im Internet könne zu unzulässiger „Stigmatisierung“ führen.

Der EuGH bestätigte damit auch eigene Entscheidungen aus dem Juli und Oktober 2021, als er bereits die Unabhängigkeit der Disziplinarkammer und der Kontrollkammer am Obersten Gericht verneinte. Weil die Disziplinarkammer weiterarbeitete, verhängte der EuGH auf Antrag der EU-Kommission im Oktober 2021 Zwangsgelder in Höhe von 1 Million Euro pro Tag. Nachdem die Disziplinarkammer durch ein neues polnisches Gesetz im Januar aufgelöst wurde, senkte der EuGH das tägliche Zwangsgeld auf 500.000 Euro. Polen habe aber Strafverfahren gegen unbotmäßige Richter nicht ausgesetzt.

Mit dem jetzigen Urteil enden auch die Zwangsgelder, die nur sichern sollten, dass Polen bis zum Urteil keine vollendeten Tatsachen schafft. Polen muss allerdings die noch nicht bezahlten Zwangsgelder noch begleichen.

Wenn Polen das jetzige Urteil nicht umsetzt, muss die EU-Kommission ein neues Vertragsverletzungsverfahren einleiten, das auch zu neuen Zwangsgeldern führen kann.

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