Polen nach dem Regierungswechsel: Der gute Donald
In Polen ist der Wechsel vom PiS-Regime zu einer demokratischen Regierung gelungen. Donald Tusk hat jetzt einiges zu tun.
Als Grzegorz Braun, ein Abgeordneter der rechtsextremistischen Konföderation, den Saal verließ, um in der Haupthalle des Sejms die Kerzen am jüdischen Chanukka-Leuchter mit einem Feuerlöscher zu löschen, trauten viele ihren Augen nicht. Zu Zeiten der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), als die Journalisten in ihrer Arbeit stark behindert wurden, hätten sie solche Bilder im Fernsehen nie zu sehen bekommen.
Die neue Transparenz ist Programm der frisch vereidigten Regierung aus liberalkonservativer Bürgerkoalition, christlich-agrarischem Dritten Weg und Neuer Linken.
Tusk, der in den Jahren 2007 bis 2014 schon zwei Mal einer Regierung vorstand und danach bis 2019 EU-Ratspräsident war, hat gelernt, wie wichtig Emotionen in der Politik sind, die Wertschätzung aller Polen in Stadt und Land und das gegenseitige Vertrauen. So versprach er, als Premier jeden Monat in einen anderen Ort Polens zu fahren und die Arbeit der Regierung vorzustellen und mit den Menschen zu diskutieren, wie Polen erneut in einen Staat verwandelt werden kann, auf den alle stolz sein können.
„Danke, Polen!“
„Dziekuje, Polsko!“ – „Danke, Polen!“ stand denn auch auf dem Bus, mit dem die neuen Minister bei Präsident Andrzej Duda zur Vereidigung vorfuhren. Zwei Monate lang hatten Präsident und PiS den Machtwechsel verzögert. Seit Mittwoch arbeitet die neue Regierung daher unter Hochdruck, um die verlorene Zeit aufzuholen.
Eine der wichtigsten Aufgaben ist das Loseisen von Milliarden Euro, die Polen aus dem EU-Corona-Wiederaufbaufonds und dem EU-Kohäsionsfonds zustehen. Die Europäische Kommission hatte die Gelder aufgrund der zahlreichen Rechtsverstöße der PiS-Regierung eingefroren. Zwar berief Tusk schon am Tag seiner Vereidigung eine Arbeitsgruppe ein, die sich um den „Wiederaufbau von Rechtsstaat und Verfassungsordnung“ kümmern soll, doch damit allein ist es nicht getan. Die Kommission will Fakten sehen.
Die Liquidierung der PiS-Dominanz in fast allen staatlichen Organisationen, Gerichten, Stiftungen und selbst zivilgesellschaftlichen Vereinen wird allerdings Zeit und Nerven kosten. Denn die PiS-Funktionäre werden nicht ohne Gegenwehr von ihren meist lukrativen und machtvollen Posten zurücktreten. Ein Gegner des Reformprozesses ist zudem Präsident Andrzej Duda, der einst selbst PiS-Mitglied war und in den letzten acht Jahren viele der verfassungswidrigen Gesetze des PiS-Regimes unterzeichnete. Bis heute ist er überzeugt, dass die vergangenen zwei Legislaturperioden „positiv für Polen“ waren.
Erst in anderthalb Jahren stehen Präsidentschaftswahlen an, zu denen Duda nicht mehr antreten kann. Bis dahin müssen Parlament und Regierung mit dem politischen Gegner im Präsidentenamt leben, der jedes Gesetz mit seinem Veto torpedieren kann.
Das Verhältnis zur Ukraine
Eine weitere wichtige Aufgabe, die die Dreier-Koalition bewältigen muss, liegt im Wiederaufbau der von der PiS zum Teil vernachlässigten, zum Teil bewusst ruinierten Beziehungen zum Ausland. An erster Stelle steht hier das von Russland brutal überfallene Nachbarland Ukraine.
Zwar hatte die PiS zu Beginn des Krieges zu den aktivsten Unterstützern der Ukraine gehört und bereits Waffen zur Verteidigung geliefert, als im Westen noch lange gezaudert wurde. Auch hat Polen als Erstaufnahmeland Millionen geflüchteter Ukrainerinnen und deren Kinder bei sich aufgenommen. Die Hilfsbereitschaft insbesondere der Zivilgesellschaft war enorm. Noch heute leben rund eine Million Geflüchtete in Polen.
Doch mit den Monaten ließ das Engagement der PiS-Regierung merklich nach, auch weil hausgemachte Probleme auftauchten, die ohne gute Beziehungen zu einzelnen EU-Staaten wie auch zur Europäischen Kommission nicht zu lösen waren. Das war und ist der massenhafte Import billigen Getreides aus der Ukraine und die zunehmende Konkurrenz durch ukrainische Speditionen, deren Lkws plötzlich auch Transporte zwischen EU-Staaten abwickeln.
Beide Probleme waren durch EU-Ukraine-Verträge entstanden, an deren Zustandekommen die PiS-Regierung federführend beteiligt war. Die Abkommen sollten der kriegsgebeutelten Ukraine dabei helfen, ihr Getreide trotz der Schwarzmeer-Blockade durch russische Kriegsschiffe exportieren zu können.
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Der Streit ums Getreide
Zielländer sollten vor allem Staaten in Asien und Afrika sein. Zwar half der Ukraine zwischenzeitlich ein spezielles Abkommen mit Russland, das die UN und die Türkei vermittelt hatten, doch Mitte Juli 2023 ließ Russland das Abkommen auslaufen.
Die EU hatte kurz nach der Schwarzmeer-Blockade den Transit von ukrainischem Getreide durch EU-Staaten über alternative Transportwege via Bahn und Straße genehmigt, aber bis Mitte September 2023 am Importembargo festgehalten. Das Problem war aber, das hunderttausende Tonnen Getreide aus der Ukraine auf dem Transitweg durch Polen „verschwanden“ oder aber offiziell zu „technischem Getreide“ umdeklariert wurden, so dass es aus der Embargo-Liste für Lebensmittel herausfiel.
Die Folge: Polnische Getreidebauern blieben auf ihrem im Vergleich teureren Getreide sitzen. Die wütenden Bauern, deren Getreidesilos oft noch vor der nächsten Ernte voll waren, protestierten im ganzen Land und gaben als „betrogenes Dorf“ der PiS-Regierung die Schuld an ihrer Beinahepleite.
Als die EU dann das Handelsembargo für ukrainische Getreideprodukte Mitte September 2023 ganz aufhob, versuchte die PiS mit einem einseitigen Einfuhrstopp bei den polnischen Bauern zu punkten. Die Stimmung drehte sich aber nicht, da dem PiS-Landwirtschaftsminister wohl eine Namensliste der polnischen Großaufkäufer des billigen ukrainischen Getreides vorlag, die dieser aber nicht publizieren wollte. Statt das Problem zu lösen, behauptete die PiS-Regierung, dass allein die EU an den Einkommenseinbußen der polnischen Bauern und den höheren Preise in Polen schuld sei.
Blockierte Übergänge
Zurzeit blockieren polnische Lkw-Fahrer außerdem die polnischen-ukrainischen Grenzübergänge, weil angeblich die ukrainischen Speditionen mit konkurrenzlos billigen Angeboten den polnischen Transportunternehmern die Aufträge abjagen.
Doch das Problem ist vielschichtiger. Tatsächlich können ukrainische Lkws seit einiger Zeit ohne aufwändiges Genehmigungsverfahren die EU-Grenzen überqueren, ohne aber die Auflagen erfüllen zu müssen, die für in der EU registrierte Speditionen gelten. Die Folge: Viele ausländische, darunter auch polnische, Speditionen eröffnen Tochterfirmen in der Ukraine und fahren dann mit ukrainischen Lkws, Fahrern und Papieren zu Dumpingpreisen in den EU-Wirtschaftsraum hinein.
Ähnlich wie beim Getreidekonflikt tat die PiS-Regierung nichts, um das Problem zu lösen und die Lkws, die sich vor der Grenze stauten, zu anderen Übergängen umzuleiten oder die Blockierer festzusetzen. Vielmehr behauptete sie, dass die Millionenverluste allein auf das Konto der EU gingen.
Die neue Regierung wird die Konflikte im Dreieck Polen-Ukraine-EU relativ schnell lösen. Es geht um die Wiederherstellung der Rechtssicherheit. Das ist auch das Lösungskonzept für die meisten anderen Probleme, vor denen Tusk nun steht.
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