Polemik: Die große Vereinnahmung
Die freien Kulturschaffenden wollen nicht mehr Stadtentwickler sein. Jetzt haben sie ein Manifest mit dem Titel "Not in our name" herausgegeben - frei von Selbstreflexion.
Irgendwann reichts auch mal, sagt Ted Gaier, Musiker von den Goldenen Zitronen. Als ihm eines Tages ein Stadtmarketingheft der Freien und Hansestadt Hamburg in die Hände fiel, deren Cover so nschicki-turi Zeug wie die Queen Mary, Westernhagen und Lena, aber eben auch, Himmel noch mal, die Goldenen Zitronen zierten, da sei ihm der Kragen geplatzt. Wie er das so sagt, kocht die Wut einen Moment wieder in ihm hoch - aber glücklicherweise trägt er das rosafarbene Hemd unter dem eleganten Sakko heute aufgeknöpft, und was da am Hals schäumt, ist nur ein zartes Seidentüchlein. Auch hat die Wut schon ihr Ventil gefunden, das Manifest "Not in our name, Marke Hamburg!", das Gaier mit einer Reihe Mitstreiter nun im Gängeviertel vorstellt.
Das Manifest beginnt wie jedes Manifest seit gut 160 Jahren mit den Worten "Ein Gespenst geht um…" und zählt dann auf, was alles faul ist im Stadtstaat Hamburg. Stadteigener Grund wird nur noch im Höchstbieterverfahren verkloppt - siehe Gängeviertel -, ein Spektakel jagt das nächste - Harley-Day, Reeperbahn-Festival …-, das große Geld fließt in die Leuchttürme - Elphi, Tamm-Tamm-Museum -, Mieten explodieren - kein WG-Zimmer unter 450 Euro - und die ehemaligen Arbeiterviertel werden zu "Szenevierteln", werden zu Party- und Shopping-Meilen - Schanze, St. Pauli. So weit, so alt.
Für diese ganze Misere entdeckt das Manifest einen Schuldigen: das Stadtmarketing, das nur an Wirtschaftlichkeit interessiert ist und unter dessen Ägide Hamburg zum Standort degradiert wurde. Das Schlimmste an allem: Die "Marke Hamburg" hat sich für seine infamen Machenschaften der Künstler bedient. Auch, oder vielleicht sogar gerade jener Künstler, die immer gegen die Stadt gewettert haben. Was für ein Missbrauch! Und alles nur, weil dieses Gespenst herumgeht in Europa: dass nur die Städte aufblühen, die das subkulturelle gewisse Etwas mitbringen, weil sich nur dort die fürs Wirtschaftswachstum so wichtige "kreative Klasse" wohl fühlt. Haben US-Ökonomen wie Richard Florida und Unternehmensberater wie Roland Berger ausgerechnet. Und die Stadtmarketing-Leute mit Löffeln gefressen. Jetzt dienen die Künstler als Feigenblatt, oder man topft sie um, von einem Viertel ins nächste, das sie dann entwickeln sollen.
"Und deshalb sind wir nicht dabei", heißt es in dem Protestschreiben, das zahlreiche, mitunter namhafte freie Kulturschaffende der Stadt unterzeichnet haben. Und das ist gut so, das ist richtig. Aber in seiner Form leider vollkommen ungenießbar. Denn was dem Text und der Präsentation im Gängeviertel fehlt, ist so etwas wie Selbstreflexion. Und die Reflexion auf eine radikale Alternative.
Dann fiele vielleicht auf, dass man auch als Kulturschaffender so ganz unschuldig nicht ist. Wenn nun etwa ein Musiker der Goldenen Zitronen in der Schanze seinen Kaffee trinkt und sich umblickt, was sieht er dann? Nicht mehr die Alten, die Migranten, sagt Gaier bedauernd. An die er sich mit seiner Musik aber auch nie gewendet hat. Was also sieht er? Potenzielle Kunden: lauter Werbefuzzis, Physiotherapeuten, Klavierlehrer, Designer, Journalisten. Also Leute, die demselben Milieu zugehörig sind wie der Kulturschaffende, auch wenn sie auf dem steinigen Weg der Ästhetik der Existenz nicht ganz so weit gekommen sind. Und was ist nun dieser Kulturschaffende? Plötzlich nicht mehr der Einzelgänger, der Super-Individuelle um nicht zu sagen: der ganz Andere, als der er noch gelten konnte als die Szene fern war. Nein, man ist plötzlich, oh Schreck: unter sich!
Das ist das Kreuz der Subkultur: Sie lebt von der Andersartigkeit, die sie als Ware verkauft - und zur Mode macht. Soviel anders ist das nicht als das Paradox, das die Kulturschaffenden der Stadt vorwerfen: mit ihnen zu werben, und ihnen zugleich den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Dabei wissen die Künstler, dass die Vereinnahmungslogik ihren Werken im Kapitalismus eingeschrieben ist - und verdrängens. Das klingt dann so: "Wir wollen zumindest die Illusion haben, autonom zu sein." Träumen wollen: Das ist die Utopie, die um ihre Ohnmacht weiß. Und sie irreparabel beschädigt.
"Die Schonung, die man sich gewährt, gewährt man in Wahrheit den gesellschaftlichen Verhältnissen", schrieb Bernward Vesper Ende der 60er Jahre. Wenn sich die Kulturschaffenden des Manifests heute schonen, dann aus einem einfachen Grund: Sie haben mit den gesellschaftlichen Verhältnissen zuletzt bombe gut leben können.
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