Podiumsgespräch gegen Rechtsruck: Rechte Übergriffe aufs Theater
Was tun gegen das Erstarken der Rechten, das auch Kunst und Kultur gefährdet? Eine Podiumsdebatte in Berlin hat nach Antworten gesucht.
Bei den Landtagswahlen in Hessen wurde die AfD zweitstärkste Kraft, in Bayern ist sie Oppositionsführerin. Das erklärte Ziel, über den Osten hinaus auch in den westlichen Bundesländern stark zu werden, hat sie erreicht. Für den Demokratieforscher Wilhelm Heitmeyer sind diese Wahlergebnisse Teil einer schleichenden Normalisierung. Die Ursachen für und mögliche Gegenmittel gegen diesen Rechtsruck waren am Dienstag Thema des 22. Akademiegesprächs der Akademie der Künste in Berlin.
Der Journalist Peter Laudenbach verdeutlichte, was das Erstarken der Rechten für den Kulturbetrieb bedeutet: So müssten kleinere Theater im Osten bei jedem Projekt abwägen, wie viel Ärger man sich leisten könne – denn bei den nächsten Budgetverhandlungen sitzt stets eine starke AfD am Tisch. Der Journalist hat für sein Buch „Volkstheater“ mehr als 100 Fälle rechter Übergriffe auf Kulturinstitutionen und -schaffende innerhalb von fünf Jahren recherchiert, plus Dunkelziffer.
Die AfD übe diese Gewalt nicht selbst aus, aber sie markiere mit ihrer Politik ein Feindbild und schaffe dadurch ein Klima der Gewalt. Ein Beispiel dafür ist die Bombendrohung gegen den Friedrichstadtpalast im Jahr 2017, nachdem der Intendant Berndt Schmidt sich gegen die AfD positioniert hatte, diese daraufhin beantragte, dem Haus die Kulturförderung zu streichen.
Theater und Kultur, war man sich einig, sind Stellvertreter für die liberale, plurale Gesellschaft. Die Kulturszene selbst passe aber auch gut in das Klischee der „liberalen Eliten“; letztlich sei das liberale Feuilleton eine konstante Beleidigung der „kulturell Abgehängten“, so Laudenbach. Notwendig sei, das betonen die Diskussionsteilnehmer*innen, gesteigerte Diskurs- und Konfliktfähigkeit in der Gesellschaft und bezogen auf die Kunst: Wahrnehmungsfähigkeit.
Essenzielle Ursachenforschung
Für den Soziologen Heitmeyer bleibt die Ursachenforschung essenziell. Die AfD habe eine stabile Grundwählerschaft, noch immer von „Protestwahlen“ zu sprechen, sei falsch. Schon vor Gründung der AfD habe es schleichende Veränderungen in der politischen Einstellung der Bevölkerung gegeben.
Die besondere Fähigkeit der AfD liege darin, „emotionale Themen als Kontrollverluste zu problematisieren“ und mit Kampfrhetorik à la „Wir holen uns unser Land zurück“ und „Berlin, aber normal“ eine Wiederherstellung dieser vermeintlich verlorenen Kontrolle zu versprechen. Gerade in ländlichen Regionen seien Repräsentationslücken entstanden.
Was aber nun ist das „Wehrhafte“ an unserer Demokratie? Im Nachgang zum Europaparteitag der AfD nahm die Debatte über ein Verbot der Partei wieder Fahrt auf. Die Juristin Michaela Hailbronner sieht die juristischen Kriterien zumindest für ein Verbot einzelner Landesverbände erfüllt. Der demokratische Gewinn eines Parteiverbots ist aber unklar. Hailbronner betont, dass ein erfolgreiches Verbot den Schutz, etwa der Justiz und des Beamtenwesens, vor rechter Unterwanderung erleichtern würde. Die politischen Denkmuster der Bevölkerung verändere dies dagegen kaum.
Auch Heitmeyer spricht sich gegen ein Verbot aus: „Staatliche Repression erzeugt rechte Innovation.“ Erste Forschungsansätze wie das „Thüringen-Projekt“ des Verfassungsblogs untersuchen die verfassungsrechtliche Frage, wie in Deutschland eine Entwicklung ähnlich der in Polen oder Ungarn verhindert werden könnte. Die Rechtsprofessorin aus Münster betont dennoch: „Recht kann politische Entwicklungen nur verlangsamen.“
Dass die Lösung, etwa mit einem Parteiverbotsverfahren oder der Aberkennung des Rechts einzelner Politiker*innen, gewählt zu werden, ausschließlich im juristischen Feld zu suchen ist, erscheint insofern unrealistisch. Liberales Urvertrauen in die demokratischen Selbstheilungskräfte allein wird den Rechtsruck aber wohl auch nicht stoppen.
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