Plastikmüllkonferenz in Nairobi: Beim Recyceln schlechter als gedacht
In Kenia protestieren Initiativen vor UN-Plastikkonferenz. Gleichzeitig wird klar: Die Zahlen von EU-Verhandler Spanien stimmen offenbar nicht.
175 Länder werden bei der dritten von fünf Verhandlungsrunden über ein Abkommen, das die Verschmutzung durch Plastik bis 2040 massiv eindämmen soll, erwartet. Wichtiger Player: Die EU. Hauptziel der spanischen EU-Ratspräsidentschaft bei den sogenannten INC3-Verhandlungen „besteht darin, einen rechtsverbindlichen, ehrgeizigen internationales Abkommen zu erreichen, das den gesamten Lebenszyklus von Kunststoff abdeckt“, heißt es aus dem spanischen Ministerium für Ökologische Transformation. Noch „vor 2024“ solle eine Einigung erzielt werden.
Die Linkskoalition des Sozialisten Pedro Sánchez reist im europäischen Auftrag – und gibt vor, die Hausaufgaben in Sachen Plastik gemacht zu haben. Offenbar nicht mit realistischen Zahlen. Offiziell recycelt nur Deutschland EU-weit mehr Plastik als das Land auf der Iberischen Halbinsel. In Spanien waren es 1,12 Millionen Tonnen, Deutschland verwendet 2,6 Millionen Tonnen wieder. Da Deutschland knapp doppelt so viele Einwohner wie Spanien hat, sind die Spanier fast gleich auf beim Recycling pro Einwohner. Beim Verpackungsmüll recycelte Spanien bereits 2020 68 Prozent – und übertrifft damit sogar das EU-Ziel von 65 Prozent bis 2025.
Doch: „Die Statistiken sind eine Sache, die Realität teilweise ganz anders“, beschwert sich Carlos Arribas, Abfallexperte von Ecologistas en Acción. Die wichtigste spanische Umweltschutzorganisation untersuchte, woher die Zahlen kommen. „Die Quelle der Recyclingquoten in Spanien ist Ecoembes, eine gemeinnützige Organisation, hinter der Verpackungs- und Lebensmittelindustrie sowie die großen Ketten stehen. Ecoembes ist alles andere als unabhängig“, weiß Arribas und rückt die Recyclingquote in ein anderes Licht.
Keine Pfand auf Einwegflaschen
Das große Problem sei nach wie vor das Einwegplastik. Hier recycelt Spanien nur 50 Prozent. Pfand auf Einwegflaschen gibt es im Land nicht. Die relativ hohen Ziffern ergeben sich durch Plastikabfälle, die in der Industrie und und in der Landwirtschaft anfallen. So werden zum Beispiel große Anbauflächen für Gemüse mit Folienzelten abgedeckt. Recyceln ist hier leichter als beim Haushaltsmüll.
Vor allem die Gemeinden und Regionen versagen bei der Mülltrennung. Nur drei Regionen, das Baskenland, Navarra und Katalonien, erfüllen derzeit die Vorgaben der EU, nach denen bereits im Jahr 2020 50 Prozent des Haushaltsmülls der Wiederverwertung zugeführt werden mussten.
Spanienweit sieht es hingegen schlecht aus. 2020 waren es im Landesschnitt gerade einmal 36,4 Prozent, deutlich unter dem EU-Schnitt von 49 Prozent. Von den dicht bevölkerten Gebieten des Landes schneidet die konservativ regierte Hauptstadtregion Madrid am schlechtesten ab. Gerade einmal 28,6 Prozent des Haushaltsmülls werden recycelt, 58,5 Prozent landen auf einer gewöhnlichen Müllkippe, 12,9 Prozent in der Müllverbrennungsanlage. Spanien sei ein „Land suchtkrank nach Müllkippen“, schreibt die größte Tageszeitung des Landes, El País.
Gradmesser für die Realität jenseits der Statistik über Plastikreycling ist für Umweltschützer der Zustand des Mittelmeeres. „95 Prozent der Abfälle, die im Mittelmeer treiben, sind Plastik. Der Großteil dieses Plastiks kommt aus der Türkei und Spanien, gefolgt von Italien, Ägypten und Frankreich“, schreibt die Umweltorganisation World Wildlife Fund (WWF) in einer Studie mit dem Titel „La Trampa de Plástico“ (Die Plastikfalle). Es sind die Länder mit Massentourismus entlang ihrer Küsten. Das Mittelmeer weist danach derzeit etwa 1,25 Millionen Plastikteile pro Quadratkilometer Meer auf – weit aus mehr als die berühmte „Plastikinsel“ im Pazifischen Ozean.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“