Pläne für den Molkenmarkt: Molkenmarkt alias Gezi-Park
Aktivist*innen befürchten fehlende soziale Gerechtigkeit bei der Neugestaltung des Molkenmarkts in Berlin-Mitte und diskutieren alternative Ansätze.
Das Quartier zwischen dem Nikolaiviertel und der Shopping-Mall Alexa soll bald völlig neu gestaltet werden. Zumindest anteilig sollen bezahlbare Wohnungen entstehen, außerdem Raum für Kultur. Angestrebt wird ein Baubeginn im Jahr 2026.
Nachdem Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt vor zwei Jahren ein Bürgerbeteiligungsverfahren zur Neugestaltung des Molkenmarkts erfolglos abgebrochen hatte, sind viele, die sich für den Platz interessieren, besorgt. Befürchtet wird, so formuliert es Ole Kloss von „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“, auf einer von der Gruppierung organisierten Veranstaltung zum Molkenmarkt am Samstag, eine „autoritäre Stadtplanung von oben“ und das Ende des Traums eines „sozialen, bezahlbaren, ökologischen Wohnquartiers“.
Deutsche Wohnen & Co. Enteignen hat gemeinsam mit dem Kiosk of Solidarity und verschiedenen Initiativen kritischer Architekt*innen neben die Klosterruine in Mitte geladen, um zu erörtern, was sich aktivistisch gegen dieses befürchtete Szenario unternehmen lässt. Wie lässt sich eine sichtbare Bewegung organisieren, die sich für die Entstehung eines sozial durchmischten Viertels stark macht? Und wie schafft man es, die breite Öffentlichkeit dazu zu bewegen, sich mit den undurchsichtigen Plänen von Petra Kahlfeldt auseinanderzusetzen?
Man könne von den Gezi-Protesten lernen
Denn lässt man die Senatsbaudirektorin einfach machen, da sind sich alle Podiumsvertreter*innen einig, bekommt man eine Architektur im Sinne der konservativen Rekonstruktion vorgesetzt und Wohnungen, die sich doch nur Besserbetuchte leisten können. Bislang könne man bedauerlicherweise kaum von einer echten Proteststimmung gegen den als intransparent angesehenen Gestaltungswillen Kahlfeldts reden.
Um das zu ändern, könne man vielleicht von den Gezi-Protesten 2013 in Istanbul lernen, so der originelle und etwas überraschende Ansatz der Veranstaltung. Damals lösten die Pläne des türkischen Staatschefs Erdoğan, den beliebten Gezi-Park in Istanbuls Stadtzentrum mit einer „Residenz für den Präsidenten für seine Balkonreden“ zu bebauen, wie das der Urbanist Orhan Esen auf dem Panel formuliert, Massenproteste aus. Am Ende musste Erdoğan seine Pläne begraben. Hat man es am Molkenmarkt wirklich mit einer vergleichbaren Situation, wie in Istanbul vor elf Jahren zu tun oder ließe sich diese zumindest herbeiführen?
Darüber gehen die Meinungen auf dem Podium auseinander. Allen ist klar, dass es natürlich grundsätzliche Unterschiede gibt. Würde Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vorhaben, mitten im Görlitzer Park eine Sommerresidenz zu bauen, würden zumindest in Kreuzberg die Leute ganz sicher schnell auf den Barrikaden sein. Was aber an einem extrem unattraktiven Ort wie dem Molkenmarkt geschieht, löst dagegen bislang kaum Emotionen bei den Berliner*innen aus.
Der Architekt und Aktivist Yasser Almaamoun findet, dass man, zumindest was autoritäre Repression angeht, in Berlin schon fast türkische Zustände erreicht habe. Er spricht von Polizeigewalt auf Pro-Palästina-Demos und zunehmender Unterdrückung von Meinungsfreiheit. Eine Analyse, die der Architekturtheoretiker und Vizepräsident der Akademie der Künste, Anh-Linh Ngo, entschieden zurückweist. Ein Vergleich zwischen heutigen Palästinademos und damaligen Protesten im Gezi-Park sei nicht ziehbar.
Am Ende bleibt Ratlosigkeit, inwiefern sich wirklich von den Ereignissen im Gezi-Park etwas auf die heutige Situation am Molkenmarkt übertragen lässt. Eine brauchbare „Formel, warum sich die Menschen hier versammeln sollen“, wie sie sich Anh-Linh Ngo wünscht, wird weiterhin gesucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Wir unterschätzen den Menschen und seine Möglichkeiten“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten