Plädoyer vor Europäischem Gerichtshof: Söder doch nicht in den Knast
Muss der bayerische Ministerpräsident in Haft, weil er Urteile zur Luftreinhaltung missachtet? Der EuGH-Generalanwalt meint: Nein.
Grund für das abstrus anmutende Verfahren vor dem EuGH: Seit 2012 wird in Bayern darum gestritten, ob in München Fahrverbote vorbereitet werden müssen, um Grenzwerte einhalten zu können. Bayerische Verwaltungsgerichte haben das angeordnet. Die CSU-geführte Landesregierung weigert sich jedoch. Zwangsgelder gegen sie blieben erfolglos, denn deren Höhe ist gesetzlich auf 10.000 Euro begrenzt. Außerdem zahlt das Land das Zwangsgeld an die Staatskasse, also an sich selbst.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat als Klägerin deshalb beantragt, Regierungschef Söder und/oder weitere Regierungsbeamte in Zwangshaft zu nehmen. Das wäre keine Strafe für Fehlverhalten, sondern ein Beugemittel, um die Umsetzung der Gerichtsurteile zu erreichen. In Baden-Württemberg hatte die DUH Anfang August einen ähnlichen Antrag gegen Ministerpräsident Kretschmann (Grüne) gestellt.
In der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist Zwangshaft zwar nicht vorgesehen. Aber die VwGO verweist bei Lücken auf die Zivilprozessordnung (ZPO), die die Zwangshaft für die Durchsetzung von Gerichtsurteilen kennt. Auf dieser Grundlage wären bis zu sechs Monate Zwangshaft möglich.
Missachtung der Urteile „schwerwiegend“
Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) München hielt diesen Weg aber nicht für gangbar. Der Gesetzgeber habe beim Verweis auf die ZPO nicht vor Augen gehabt, dass er hiermit Freiheitsentzug für Regierungsmitglieder ermögliche. Der VGH legte deshalb den Fall dem EuGH vor und bat um eine europarechtliche Einschätzung.
Generalanwalt Saugmandsgaard Øe erklärte zwar die bayerische Missachtung der Gerichtsurteile für „schwerwiegend“, und Deutschland müsse auch „alle erforderlichen Maßnahmen“ ergreifen, um die EU-Luftgrenzwerte einzuhalten. Dabei setzten aber die EU-Grundrechte Grenzen. Eine Zwangshaft sei nur möglich, wenn sie in deutschen Gesetzen vorgesehen ist. Das EU-Recht sei deshalb aber nicht zahnlos, so der Generalanwalt. Gegen Deutschland laufe bereits ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission.
Der EuGH wird in einigen Wochen entscheiden. Wenn er dem Generalanwalt folgt, geht das Verfahren zurück an den VGH München, der die beantragte Zwangshaft dann voraussichtlich ablehnen wird.
Der letzte Absatz wurde nachträglich korrigiert. Jetzt wird dort auch auf das noch ausstehende EuGH-Urteil hingewiesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Frauen in der ukrainischen Armee
„An der Front sind wir alle gleich“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“