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Plädoyer gegen ZoosEinfach abgeknallt

Als die Bärin Tips erschossen wurde, beteuerte der Direktor des Osnabrücker Zoos , die tödlichen Schüsse seien alternativlos gewesen. Aber der Fehler liegt im System.

Hybridbärin Tips: Von Mitarbeitern des Osnabrücker Zoos auf der Flucht erschossen Foto: dpa

Am 11. März gelang der Hybridbärin Tips gegen 14.45 Uhr die Flucht. Tips, eine „versehentliche“ Kreuzung aus Braun- und Eisbär, brach aus ihrem unzureichend gesicherten Gehege im Osnabrücker Zoo aus und gelangte in den Besucherbereich. Während der Winterruhe hatte die zwölfjährige Bärin so viel Gewicht verloren, dass sie sich durch einen Schieber zwängen konnte, der eigentlich nur für die Silberfüchse vorgesehen ist, die mit auf dem Bärengelände leben. Aus dem angrenzenden Fuchsgehege zu entkommen, war für die Bärin ein Kinderspiel.

Tips trollte sich durchs Gebüsch und badete erst mal ausgiebig im Wassergraben, der eine Außenanlage für Klammeraffen umgibt. Inzwischen hatten Besucher die Zooverwaltung alarmiert. Sofort, teilte der Zoo mit, sei ein „Notfallplan“ in Gang gesetzt worden. Zunächst wurden Besucher, die sich in der Nähe der Bärin aufhielten, aufgefordert, sich schnellstmöglich in das Affenhaus zu begeben. Letztlich wurde das gesamte 23-Hektar-Areal geräumt. Zu keinem Zeitpunkt habe Gefahr für Leib und Leben der rund 4.000 Besucher des an dem sonnigen Samstagnachmittag gut gefüllten Zoos bestanden, hieß es.

Als die Polizei nach gut 20 Minuten eintraf, war Tips bereits tot. Mitarbeiter des Zoos hatten sie mit vier Schüssen aus einer großkalibrigen Waffe erschossen. Angeblich habe Gefahr für die Mitarbeiter bestanden. Das wurde in einer tags darauf veranstalteten Pressekonferenz behauptet. Ob das tatsächlich stimmt, lässt sich nicht mehr klären. Angeblich habe die Bärin eine „drohende Haltung eingenommen“ beziehungsweise sich „auf einen Angriff vorbereitet“. Und sie habe eine Zoomitarbeiterin zu Boden gestoßen.

Mittel nicht ausgeschöpft

Von alledem war zunächst allerdings keine Rede gewesen. Auch bleibt die Frage offen, weshalb noch nicht einmal der Versuch unternommen wurde, das Tier mittels eines Teleinjektionsgerätes, das die Mitarbeiter angeblich im Notfallkoffer dabei hatten, zu narkotisieren. Mit modernen Geräten dieser Art kann auf bis zu 70 Meter Distanz sehr zielgenau geschossen werden. Verwendet wird dabei in aller Regel eine Mischung aus einem Beruhigungs- und einem Narkosemittel (Xylazin/Ketamin), die das Tier binnen kürzester Zeit betäubt beziehungsweise immobilisiert. Steht ein entsprechendes Gegenmittel zur Verfügung, kann das Präparat sogar mehrfach und auch überdosiert verabreicht werden, um die Betäubung zu beschleunigen.

Aber selbst wenn die Mitarbeiter glaubten, sofort scharf schießen zu müssen: Weshalb zielten sie nicht zuerst auf die Beine der Bärin, um sie am Weiterlaufen zu hindern? Falls das nicht die gewünschte Wirkung gezeigt hätte, hätte man immer noch die Möglichkeit gehabt, einen lethalen, also einen tödlichen Schuss abzugeben.

Eine plausible Erklärung wusste Zoodirektor Boer nicht zu liefern. In der Presseerklärung hob er stattdessen immer wieder die besondere Gefährlichkeit des Tieres hervor, die die tödlichen Schüsse „alternativlos“ gemacht hätten. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Erklärung Boers, was den Ausbruchsversuch der Bärin aus ihrem Gehege verursacht haben könne. Es sei durchaus denkbar, sagte Boer allen Ernstes, dass Tips „eine Maus gesehen hat“ und deshalb so erregt gewesen sei, dass sie ausbrach.

Auch auf die Frage, weshalb keine sogenannte Netgun eingesetzt wurde, wusste Boer keine zufriedenstellende Antwort zu geben. Mit einer Netgun wird mittels Luftdruck- beziehungsweise CO2-Kartusche auf bis zu 20 Meter genau ein Fangnetz abgefeuert. Ein Tier kann so völlig verletzungsfrei eingefangen werden. So ein Fangnetz wird in jedem Tierheim und in jeder Polizeidienststelle vorgehalten. Nach einigem Hin und Her musste Direktor Boer letztlich zugeben, dass der Zoo Osnabrück über kein derartiges Gerät verfügt. Man überlege aber, eines anzuschaffen.

Im Übrigen blieb auch die Frage unbeantwortet, weshalb der Zoo den Umstand, dass Bären während der Winterruhe bis zu einem Drittel ihrer Körpermasse verlieren, bei der Kon­struktion der Sicherheitsgitter rund um das erst 2011 eröffnete Bärengehege nicht berücksichtigt und damit dem Ausbruch fahrlässig Vorschub geleistet hat. Letztlich spielt das für den Zoo aber auch keine Rolle.

Strafrechtliche Konsequenzen hat der Todesschuss für die Verantwortlichen nicht: Gleichwohl Tiere gemäß einer 1990 vorgenommenen Erweiterung des Paragrafen 90a Bundesgesetzbuch (BGB) nicht mehr als „Sachen“ gelten, die sie bis dahin rechtlich waren, sind auf sie weiterhin „die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden“. De facto werden Tiere vom BGB also weiterhin als Sachen behandelt. Daran hat nichts geändert, dass Tierschutz am 17. Mai 2002 als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Ein Tier zu töten ist, sofern ein „vernünftiger“ Grund vorliegt oder kon­struiert wird, rechtlich gleichbedeutend mit der Entsorgung eines alten Fahrrades.

Die tödlichen Schüsse auf die Hybridbärin Tips, die wegen ihres hellen Fells auch als „Cappuccinobärin“ bezeichnet wurde, erinnern auf fatale Weise an die Schüsse auf den 26-jährigen Orang Utan Nieas. Er wurde am 31. August 2015 im Zoo von Duisburg während eines angeblichen Ausbruchsversuches vom Zoopersonal getötet. Wie Medienberichten zu entnehmen war, konnte Nieas aufgrund eines nicht ordnungsgemäß verschlossenen Schiebers aus seinem Käfig entkommen und über eine Dachluke ins Freie gelangen. Er irrte dem Vernehmen nach zunächst orientierungslos umher und begab sich letztlich an den Außenzaun des Zoogeländes. Beim Versuch, den Zaun zu überklettern, erschossen ihn die Mitarbeiter.

Die Behauptung des Zoos, es habe ein den Todesschuss rechtfertigender Notfall vorgelegen, da Nieas in das Stadtgebiet Duisburgs hätte gelangen und dort Menschenleben gefährden können, entbehrt jeder Logik. Hinter dem Begrenzungszaun liegt eine wenig befahrene und anliegerfreie Einbahnstraße. Wäre der Orang Utan mittels eines Teleinjektionsgerätes immobolisiert worden, hätte er nach Übersteigen des Zauns nicht mehr weit laufen können, zumal Orang Utans am Boden sehr schwerfällig sind.

Zwischen dem Entdecken des „Ausbruches“ und der Tötung des Tieres verstrich so viel Zeit, dass ein Großaufgebot an Polizei und Feuerwehr an den Zoo beordert werden konnte, von dem besagte Einbahnstraße problemfrei hätte abgesperrt werden können. Selbst ein einzelner Zoomitarbeiter hätte das tun können. Besucher waren zu keinem Zeitpunkt gefährdet, da der „Ausbruch“ sich nach Schließung des Zoos ereignete. Die Tötung des Tieres war völlig unbegründet und ist rational durch nichts zu erklären.

Junglöwe erschossen

Die Todesschüsse auf Tips erinnern auch an den 18 Monate alten Junglöwen Motshegetsi im Zoo Leipzig. Der erst wenige Wochen zuvor vom Zoo Basel übernommene Löwe war am 29. September 2016 aus einem nur durch einen Wassergraben gesicherten Außengehege ausgebrochen und hatte sich in einem nahegelegenen Gebüsch versteckt. Rund 40 eiligst zusammengerufene Mitarbeiter kesselten ihn mithilfe mobiler Zaunelemente und quergestellter Fahrzeuge ein. Vier Stunden versuchten sie vergeblich, das verängstigte Tier einzufangen. Dann erschoss ein Zoomitarbeiter den Löwen.

Der Todesschuss, sagte Leipzigs Zoodirektor Jörg Junhold, der zum fraglichen Zeitpunkt gar nicht vor Ort war, sei „unausweichlich“ gewesen. Tatsächlich war er aber alles andere als das: Es bestand keinerlei Gefahr für Besucher, da der Löwe ausbrach, noch ehe der Zoo öffnete und überhaupt noch keine Besucher auf dem Zoogelände herumliefen.

Nieas, Motshegetsi und Tips sind die Spitze des Eisberges. Ihr gewaltsamer Tod hat nur so großes Aufsehen erregt, weil es sich um individuell bekannte und mit eigenem Namen versehene Großsäuger handelte. Nach all den kleineren und weniger bekannten Tieren, die aus ihren Käfigen und Gehegen ausbrechen und erschossen werden, kräht in der Regel kein Hahn. Nach den vielen anderen, die in den Zoos regelmäßig geschlachtet und an hauseigene Raubtiere verfüttert werden, auch nicht.

Zoos sind keine sicheren Orte, weder für die zur Schau gestellten Tiere noch für die Menschen, die an den Wochenenden hinpilgern, um die hinter Eisengittern, Elektrozäunen und Panzerglasscheiben eingesperrten Tiere zu begaffen. Dass die Tiere jede Möglichkeit ergreifen, aus den beengten Betonkästen zu entweichen, in denen sie ihr Dasein fristen müssen, beraubt all dessen, was sie und ihr Leben ausmacht, ist nur zu verständlich.

Der Zoo Osnabrück wird seine Sicherheitsvorkehrungen verstärken, ebenso wie es die Zoos in Duisburg und Leipzig taten. Es wird künftig vielleicht nicht mehr so viele Ausbruchsversuche eingesperrter Tiere geben. Der Zoo als Knast für Tiere wird zum Hochsicherheitsknast für Tiere werden.

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10 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ausgerechnet Colin Goldner als "esoterisch angehaucht" zu diffamieren, der wie kaum ein anderer gegen esoterische Hirnvernebelung angeschrieben hat, ist schon reichlich dreist. Ich empfehle mal einen Blick ins taz-Archiv... Und ihn als ahnungslos in Sachen "Zootierhaltung" zu diffamieren, naja, Herr Müller, sowas nenne ich ein klassisches Eigentor...

    • @Sabine Hufnagl:

      @Frau Hufnagel : Wenn ich so intensiv gegen Religion arbeite und so engagiert in der Tierrechtsbewegung arbeite, ist das nicht ebenso auch esoterisch? Weil Theoretisch, irrational auch auch ohne praktischen Nutzen?

       

      Was esoterisch ist kann man diskutieren. Ob er Ahnung hat in der Zootierhaltung? Diese Frage ist für mich beantwortet. Nein

      • @Manfred Müller:

        @Manfred Müller: Deiner verqueren Logik zufolge ist ein Esoterikkritiker selbst esoterisch. Und ein Tierrechtler in Wahrheit Tierquäler. An dieser Stelle breche ich die Diskussion mit dir, die ohnehin nur auf den Versuch der Diffamierung des taz-Autors hinausläuft, ab.

  • NetGuns für Großtiere können sogar auf mehr als 27m (30yards) zielgenau abgeschossen werden. Auch hier reicht ein Blick ins Netz, z.B.: wildlifecapture.com/large-animal-net-gun

     

     

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation

    • @Sabine Hufnagl:

      Ich habe einen Blick ins Netz geworfen und halte eine Netgun in der angebotenen Form trotzdem nicht geeignet einen freien Bären einzufangen. Die effektive Reichweite beträgt 30 Yard und das Netz, dass hier angeboten wird, 4,5 auf 4,5m. Zudem soll von einem erhöhten Standpunkt aus geschossen werden.

       

      Zur Erinnerung: Ein Bär hat eine Schulterhöhe von einem Meter und ein Gewicht von ca. 300 kg. Das ist mit einem Steinbock oder Schaf nicht zu vergleichen.

      • @Manfred Müller:

        @Manfred Müller: Das Entscheidende ist, dass man im Zoo Osnabrück gar nicht versucht hat, den Bären mittels NetGun einzufangen, schlicht deshalb, weil es solches Gerät dort nicht gibt. (Es gibt solche Geräte sogar für Nashörner und Elefanten, allerdings sind sie sehr teuer!!!) Im Übrigen wog die Bärin nicht 300kg, sondern nach der Winterruhe allenfalls 200kg, sonst hätte sie auch nicht durch den Fuchsschieber. gepasst. Also: Anderen hier vorzuwerfen, sie hätten keine "Ahnung von der Materie", ist schon sehr dreist.

        • @Sabine Hufnagl:

          Interessant!! Net Gun für Nashörner und Elefanten? Mich würde eine Beschaffungsmöglichkeit interessieren. Die von Ihnen angegebene Homepage passt dazu nicht, und genau darauf habe ich geantwortet. Das hat mit Dreistigkeit wenig zu tun, sondern mit lesen und umsetzen.

  • Der Artikel des esoterisch angehauchten Tierrechtlers Goldner liest sich als wenn Herr Goldner wirklich Ahnung von der Materie hätte.

     

    Dies ist leider nicht der Fall. Dies zeigt schon die die Äußerung, dass ein Bär schnellstens betäubt werden kann. Dies kann leider bis zu Minuten dauern. Auch die Aussage zu den NetGuns entspricht hier nicht überdingt der Realität. Nicht auf 20 Meter kann man diese einsetzen, sondern zwischen 7 und 14 Meter. Ich wünsche Herrn Goldner mal einen Versuch bis auf 14 Meter an einen freien Bären heranzugehen. Ohne Gewehr würde ich das nicht riskieren.

     

    Der ganze Rest des Artikels ist eine Suche von Argumenten um gegen Zoos zu argumentieren, da sind leider erschossene Tiere eine Fundgrube für einen Tierrechtler, auch wenn alle benannten Fälle nicht miteinander vergleichbar sind.

     

    Offensichtlich sind Herrn Goldner die toten Tiere wichtiger wie die Menschen, die sich in den Zoos befanden. Man stelle sich nur einmal vor ein Besucher oder schlimmer, ein Kind wäre zu schaden gekommen weil das Netz der NetGun zu schwach für einen Bären gewesen wäre,oder die Narkose hätte zu spät gewirkt. Was hätte Herr Goldner dann für Vorwürfe von sich gegeben.

     

    Man merkt beim Lesen, dass Herr Goldner offensichtlich doch nur ein Computertierschützer ist und sich nicht im wirklichen Leben im Zoos auskennt.

  • Ich besuche seit Jahren keinen Zoo mehr, weil mir die Tiere leid tun. Auch glaube ich nicht, dass er der letzte Hort für die Tiere und damit "alternativlos" sei. Dieses Wort wird gerne dann benutzt, wenn man, so habe ich zumindest den Eindruck, sich einer gewissen Faulheit hingeben will, nicht nach wirklich sinnvollen Alternativen zu suchen. Und dass die Tiere selbst im Zoo nicht sicher sind, hat dieser Artikel wunderbar bestätigt. Also wozu ist der Zoo tatsächlich da?

     

    Ich glaube, die Tiere sind lediglich für die Menschen da, zum Anschauen, zum Begaffen. Das Ökosystem werden sie nicht retten, eine Auswilderung funktioniert ebensowenig. Sie sollen das schlechte Gewissen beruhigen, dass wir das Ökosystem, das diese Tiere zum Leben gebraucht hätten, längst zerstört haben und weiterhin zerstören. Wir sollten dieser Farce endlich ein Ende machen!

    • @Lesebrille:

      Zoos retten nicht ganze Ökosysteme (wer hat das je behauptet?) - viele Arten können und konnten aber durchaus gerettet werden. Hier einige Tierarten, die durch Erhaltungszucht in menschlicher Obhut vor dem Aussterben gerettet wurden: Wisent, Davidshirsch, Kalifornischer Kondor, Przewalskipferd, Chatham-Schnäpper, Mauritiusfalke, mehrere Arten der Schneckengattung Partula, Mexikanischer Wolf, Hawaiigans, Baumhummer, Socorrotaube, Schwarzfußiltis, Arabische Oryx, Goldenes Löwenäffchen und viele, viele weitere. Diese Arten sind wieder ausgewildert worden (soviel zum Thema "Auswilderung funktioniert nicht").

      Sicherlich gibt es in jedem Zoo Mängel - die unbestreitbaren Artenschutzerfolge durch Erhaltungszucht (und wenn möglich Auswilderung) zu negieren, macht eine Anti-Zoo-Argumentation aber nicht eben glaubwürdig.