Plädoyer für politischen Konsum: Boykott für den Klimaschutz
Die abstrakte Kapitalismuskritik muss zur politischen Kampagne werden. Eine Weltbürgerbewegung sollte den Konzernen auf die Pelle rücken.
K apitalismus versus Klima: Das ist eine pseudoheroische Rahmung der aktuellen Problemlage – auch wenn die Ursächlichkeit von Klimawandel in der kapitalistischen (und nebenbei sozialistischen) Industrialisierung seit dem 19. Jahrhundert unbestreitbar ist. Ebenso klar ist das Unvermögen dieser Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in ihrem aktuellen Zustand Klimaschutz zu organisieren.
Der Markt kann die Kosten von Umweltschäden nicht korrekt abbilden; viele Ökonomen sehen im menschengemachten Klimawandel den Ausdruck kapitalen Marktversagens. Und marktwirtschaftliche Instrumente, die – wie etwa der Handel mit Emissionszertifikaten für Treibhausgase – den Klimaschutz beflügeln sollen, funktionieren bisher nur auf dem Papier.
Insofern ist Kapitalismuskritik berechtigt und Skepsis gegenüber einem Wachstumsprojekt angesagt, das diverse Grün-Rote zur Rettung von Umwelt und Klima aufbieten. Die gar nicht wenigen Unternehmen, die diesen Weg mit alternativen Investitionsmustern beschreiten wollen, werden das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu beschränken, nicht schaffen; so ist das Zwei-Grad-Ziel nicht zu erreichen. Auch werden erfreulich veränderte Konsummuster dafür nicht ausreichen; ebenso wird die staatliche Wirtschaftspolitik, die auf alternative Energien setzt, die Klimaschutzziele deutlich verfehlen.
Im weltweiten Maßstab ist grüner Kapitalismus ein Nischenprojekt; seine Signalwirkung blieb bisher schwach. Die seit der deutschen „Energiewende“ 2013 noch gestiegene Bedeutung der Kohleverstromung und der unselige Pakt europäischer Volkswirtschaften mit Gazprom und anderen fossilen Unternehmen zeigen das an. Doch fast alle westlichen Regierungen schmeißen sich den DAX-Konzernen an den Hals, allen voran den Exxons und Googles, die auch klimapolitisch nicht unschuldig sind.
Abstrakte Kapitalismuskritik spart allerdings noch kein Milligramm Treibhausgas ein. Eine Weltbürgerbewegung zur Unterzeichnung eines bindenden Klimavertrags im Herbst dieses Jahres muss jetzt säumige Regierungen unter Druck setzen; die Perspektive sollten Null-Emissionen im Jahr 2070 sein.
Konsumentscheidungen als Distinktion
65, ist Politikwissenschaftler und Leiter des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen. Er diskutiert am Samstag beim tazlab: Klima versus Kapitalismus - der III. Weltkrieg?
Am Freitag erscheint die neue zeozwei, das taz-Magazin für Klima und Kultur. Darin ist ein Gespräch mit Leggewie: „Für unsere ökologische Verantwortung muss man sich notfalls mit dem Teufel verbünden.“
Die Kapitalismuskritik konkretisiert sich dabei in Boykott- und Buykottaktionen, die Konsumentscheidungen nicht ausschließlich anhand von Preis, Qualität oder Distinktionsgewinn treffen, sondern Produktionsbedingungen und sonstige wirtschaftliche Tätigkeiten von Herstellern in Betracht ziehen. Boykotts trafen Shell-Tankstellen nach der Abwrackung der Brent-Spar-Bohrinsel im Jahr 1995 und Waren aus Südafrika zur Zeit des Apartheidregimes – warum ist die Praxis des Boykotts im Blick auf den Klimaschutz nicht stärker verbreitet?
Buykott ist darüber hinaus eine „positive“ Variante des politischen Konsums, der spezifische Anbieter oder ein spezielles Produkt bevorzugt, um bestimmte Produktionspraktiken zu fördern. Auch dieses Mittel wird zu wenig genutzt, um Konzerne und Handelsketten klimapolitisch unter Druck zu setzen.
Gedöns ist Umwelt, ist, was wir essen, wie wir reden, uns kleiden. Wie wir wohnen, lernen, lieben, arbeiten. Kinder sind Gedöns, Homos, Ausländer, Alte. Tiere sowieso. Alles also jenseits der „harten Themen“. Die taz macht drei Wochen Gedöns, jeden Tag vier Seiten. Am Kiosk, eKiosk oder direkt im Probe-Abo. Und der Höhepunkt folgt dann am 25. April: der große Gedöns-Kongress in Berlin, das taz.lab 2015.
Ein weiteres Mittel praktischer Kritik sind Desinvestitionen, also die politisch-ethnisch motivierte Veräußerung von Unternehmensbeteiligungen wie Aktien, privaten Beteiligungen oder Unternehmensanleihen. Was in fossile Energien investiert wurde, kann abgezogen und in nachhaltige Anlagen reinvestiert werden. So soll die Kapitalanlage und Kreditvergabe an Unternehmen ausgeschlossen werden, deren Geschäftsfeld die Ausbeutung, Verarbeitung und der Vertrieb fossiler Energieträger ist. Grund: Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, müssen rund 80 Prozent der nachgewiesenen fossilen Energieträger im Boden bleiben – sie werden, so das Kalkül, für die Firmen wertlos, ihre Aktien verlieren an Wert.
Kapital als Hydra
Privatanleger haben früher schon unethische Aktien aus der Tabak- und Rüstungsindustrie abgezogen. Doch wer besitzt schon Aktien? Mehr, als viele denken! Als potenzielle Kapitalrückzieher kommen nicht zuletzt institutionelle Anleger infrage – wie Kirchen und Religionsgemeinschaften, Städte und Gemeinden, Kredit- und Entwicklungsbanken, Stiftungen und Universitäten.
Die Desinvestitionskampagne startete in Harvard und anderen US-Universitäten, in Oxford bildete sich die Initiative Academics for Fossil Fuel Divestment. Ihr Credo: Schaut euch die Portfolios der Organisationen an, mit denen ihr zusammenarbeitet! Potenziert würde die Desinvestitionskampagne, wenn die Staaten Subventionen und Steuererleichterungen für fossile Brennstoffunternehmen radikal abbauen würden. Ihre Höhe wird unter Einschluss von externen Effekten weltweit auf unglaubliche 1.900 Milliarden US-Dollar geschätzt.
Wer es mit dem Kapital aufnehmen will, hat es mit einer Hydra zu tun, deren herabfallende Köpfe durch neue ersetzt werden. Kapitalismuskritikern ist historisch kaum mehr gelungen als die Selbstaufklärung der Marktwirtschaft, doch daraus haben sich menschenfreundlichere Kapitalismen entwickelt. Dem steht aktuell insbesondere die Investmentbranche im Wege. Es wird Zeit, ihr auf dem eigenem Terrain auf die Pelle zu rücken.
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