Plädoyer für Sexneutralität: Das coole Girl hat Sex

Zwischen Slutshaming und Prüderie: Wann ist der Sex wirklich frei? Könnte so etwas wie Sexneutralität die Lösung sein?

Frau* mit abgeklebten Brustwarzen.

Für sexuelle Selbstbestimmung: Foto vom Slut Walk, Berlin 2011 Foto: Stefan Boness/Ipon

Es gibt fast nichts, was mir nicht schon von Männern an den Kopf geworfen wurde, weil ich sie abgewiesen habe. „Schlampe“, „Hure“, „fette Lesbe“, nichts davon verletzte mich.

Aber eine Aussage ist mir im Gedächtnis geblieben. Nach einem Date bin ich mit zu Malte (Name geändert) nach Hause gegangen. Es war spät, die letzte Bahn war weg, also war ich gestrandet. Irgendwann legten wir uns ins Bett und ich wollte schlafen. Stattdessen begann ein Spiel, das ich leider zu gut kannte. Immer wieder kuschelte er sich von hinten an mich ran, streichelte mich, berührte meine Brüste. Immer wieder rückte ich von ihm weg, legte seine Hände von mir und stellte mich schlafend. Dann wurde es mir zu doll und ich sagte deutlich, dass er es lassen sollte. Malte war verdutzt und sagte: „Ich wusste gar nicht, dass du so prüde bist“, und dieser Satz traf. So sehr, dass ich heute, etwa zehn Jahre später, immer noch darüber nachdenke.

Wenn ich von dieser Geschichte erzähle, fühle ich mich nämlich immer, als müsste ich mich rechtfertigen. Nicht so sehr, dass ich Nein gesagt habe. Ich habe das Gefühl, erst einmal betonen zu müssen, dass ich wirklich gar nicht prüde bin. Als wäre das das Schlimmste, was ich als linke Feministin sein könnte.

Erst unsexy, dann sexy

Als ich in den nuller Jahren in der westdeutschen Provinz aufwuchs, hatte ich durchaus feministische Ansichten, doch ich wollte mich auf keinen Fall als Feministin bezeichnen. Das war ein negativ besetztes Wort, es war gleichbedeutend mit „unrasierter und ungebumster Männerhasserin“. Während ich aber in meiner Kleinstadt vor mich hin pubertierte, machten sowohl ich also auch der Feminismus im Mainstream einen Imagewandel durch. Er wurde sexy.

Was ich dann aus Frauenzeitschriften und Diskursen mitbekam, war: Es ist zwar okay, Sex zu haben, aber als sexuelle Frau wahrgenommen zu werden, ist rebellisch. Ich erinnere mich, wie ich Reruns von „Sex and the City“ schaute und mitbekam, wie das, was dort gezeigt wurde, als bahnbrechend gefeiert wurde. Ich erinnere mich an eine Sendung auf ProSieben mit Lady Bitch Ray, in der sie im Korsett durch eine Mall läuft, und ein Kamerateam migrantische Jugendliche einfängt und fragt, was sie davon halten. Spoiler Alert: Nichts. Ich erinnerte mich an mein Umfeld, wo es die berühmten „Dorfmatratzen“ und die ersten Revenge Pornos gab. Wo „Schlampe“ eine heftige Beleidigung war, die die Reputation zerstören konnte.

Als ich mit 19 mein heimatliches Nest verließ, wurden mir zwei Sachen klar: Ich war Feministin. Und Sex zu haben, mich auszuleben und mich wie eine „Schlampe“ zu benehmen, ist feministisch. Ich befand mich also auf den Pfaden des Sexpositivismus und fühlte mich zunächst ziemlich erwachsen und cool dabei. Ich ging mit einer betont abgeklärten Attitüde an die Sache heran. Been there, done that. Die Grenzen meiner Freundinnen belächelte ich eher. In meiner Vorstellung entwickelte ich mich zu einer Mischung von Samantha Jones von „Sex and the City“ und Simone de Beauvoir. Doch es fühlte sich oftmals nicht richtig an. Meine angeblich lässige Haltung gegenüber Sex war eigentlich extrem gestresst. Es war nicht befriedigend, sondern eine Performance. Der Titel: „Guck mal, wie die migrantische Feministin krassen Sex hat. Ist sie nicht rebellisch?“ Ich hatte das Gefühl, ich musste mich beweisen.

Positivitätskultur

Im Buch „Süß“ von Ann-Kristin Tlusty wird dieses Phänomen beschrieben. Im Kapitel über die „süße Frau“ steht: „Doch Positivitätskultur erschafft Druck: Genau wie kommerzialisierte Bodypositivität Frauen abverlangt, ihren Körper nun gefälligst lieben zu sollen, fordert Sexpositivität sie geradezu kategorisch dazu auf, sich in sexuelle Abenteuer zu stürzen.“ Und an anderer Stelle: „Von einer Möglichkeit ist Sexpositivität bei Frauen nahezu zu einer Pflicht geworden.“

Erschwerend kam bei mir hinzu, dass ich unbedingt ein „Cool Girl“ sein wollte. Im Roman „Gone Girl“ gibt es hierzu die beste Beschreibung: „Wenn ich die Coole bin, dann bin ich eine begehrenswerte, geistreiche, witzige Frau, die Videospiele spielt, billiges Bier trinkt, flotte Dreier und Analsex mag …“ Es ist kein Zufall, dass neben den Hobbys zwei Arten von Sex aufgezählt werden, die Männer gerne einmal von ihren Partnerinnen erbeten. Die „Coole“ ist dabei eben nicht so wie die anderen Weiber, die sich zieren. Sie beschwert sich nicht, sie macht alles mit, sie ist wie eine von den Jungs, außer dass Mann mit ihr schlafen will. Und für diese Eindimensionalität wird sie geliebt.

In der Hinsicht hatte ich mich selbst verarscht. Die Feministin, die ich eigentlich sein wollte, ist zu einer Frau geworden, die ihre zur Schau gestellte angebliche Laissez-faire-Einstellung zu Sex nutzt, um sich von anderen Frauen abzuheben und um Männern zu gefallen. Ich nutzte meine Sexualität, um mir selbst eine coole, aufgeklärte, feministische und rebellische Aura zu geben, um mich dann von Männern führen zu lassen, ohne Rücksicht auf Verluste.

Ich musste mir erst von einem unterdurchschnittlichen Alman vorwerfen lassen, prüde zu sein, weil ich eine Grenze gezogen habe, um langsam umzudenken. Um zu erkennen, dass ich viel zu lange Sex für Männer gehabt habe und nicht für mich.

Doch was jetzt?

Ich wünschte, ich könnte jetzt einfach sagen, ich hätte einen Weg aus diesem Druck und diesem toxischen Gefilde gefunden, das die weibliche Sexualität umgibt. Denn eine wirkliche Alternative wird mir derzeit nicht vorgelebt. Ich versuche daher, einen autonomen Weg zur Sexualität zu finden, jenseits der Binärität von vanilla und kinky. Fernab von Narrativen und Rollenvorstellungen will ich herausfinden, was übrig bleibt von meiner Sexualität, meinen Wünschen und meinen Grenzen.

Das endgültige Ziel wird von unserem Lord and Savior formuliert – Nico Seyfried von KIZ: „Haben Sex, wie wir wolln. Und nicht wie die Kirche oder Pornos es uns erzählen.“ Am liebsten wäre mir, wenn sich eine Art „Sexneutralität“ etablieren würde, wobei Sex auf das reduziert wird, was es ist: Geschlechtsverkehr. Inwieweit das auf individueller Ebene machbar ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber ich werde meine eigene Sexualität wiederfinden.

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