Pirat Gerhold über die Frage des Absoluten: „Luther müsste als Hassprediger gelten“
Wer den Reformator feiert, könne die Terrormiliz „Islamischer Staat“ nicht verurteilen, sagt der Hamburger Piratenpolitiker.
taz: Herr Gerhold, was haben Martin Luther und der IS gemeinsam?
Andreas Gerhold: Die radikale, wörtliche Auslegung ihrer Schriften und die auch mit Gewalt einhergehende Verbreitung ihres Glaubens mit einem absoluten Anspruch. Das ist eine generelle Religionskritik, die ich habe: das Absolute des Glaubens. Das nimmt jede Religion jeweils für sich in Anspruch. Wer nicht dem einzig wahren Glauben folgt, ist verdammt. Andersgläubige können höchstens bekehrt werden, ansonsten müssen sie bekämpft werden. Das ist eine Gemeinsamkeit der monotheistischen abrahamitischen Religionen.
Sind Sie Katholik?
Ich bin Atheist. Allerdings bin ich als Kind der katholischen Kirche zugeteilt worden, akzeptiere das so aber nicht. Deshalb gebe ich auf Steuerkarten immer wieder an, dass ich konfessionslos bin.
54, Fotograf, ist seit 2009 Mitglied der Piratenpartei, seit 2011 Abgeordneter in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte. Als Vorsitzender des Vereins „Cannabis Social Club Hamburg“ setzt er sich für Legalisierung ein.
Sie sind also nicht einfach aus der Kirche ausgetreten?
Nein, weil ich genau das verweigere: Ich bin nie wissentlich eingetreten, ich bin nur als Kind eingetreten worden. Ich akzeptiere das nicht und das ist gar nicht mal so einfach, denn die katholische Kirche will ja auch Geld dafür, dass man austritt.
Aber sie will ja auch Geld fürs Drinbleiben. Wie kommen Sie da drumherum?
Indem ich auf der Steuerkarte immer wieder konfessionslos angebe und das auch korrigieren lasse, wenn das mal wieder mit den Daten der Kirche abgeglichen wird. Das passiert alle paar Jahre, dann steht da wieder römisch-katholisch drin und es wird Kirchensteuer abgezogen.
Sie führen also einen Privatkampf gegen die Kirche.
Nein, es geht ja darum, ob ich meine persönliche Mitgliedschaft in einer Organisation akzeptiere oder nicht. Es hat aber auch einen politischen Hintergrund, wenn ich sage, dass es eine bewusste Entscheidung sein muss, einer Kirche beizutreten. Das Zuordnen von Kleinkindern per Taufe finde ich einfach nicht richtig.
Am 31. Oktober begann das Lutherjahr – im nächsten Jahr wird der 500. Jahrestag der Reformation gefeiert. Sie schrieben auf Ihrer Facebookseite, wer Luther feiert, kann den IS nicht glaubhaft verurteilen.
Das habe ich im Kontext einer Diskussion als Fazit eines längeren Beitrages gesagt. Ich habe geäußert, dass es keinen Grund gibt, den antisemitischen, fundamentalistischen, abergläubischen, Gewalt verherrlichenden Menschenfeind Luther zu feiern. Schon gar nicht als Vorläufer der Aufklärung. Was ja von der evangelischen Kirche immer wieder vertreten wird. Mir geht einfach dieser Personenkult gegen den Strich. Luther ist eine historische Person, muss also natürlich in einem historischen Kontext analysiert und beurteilt werden.
Was genau stört Sie an den Feierlichkeiten?
Ich finde es bedenklich, dass eine Person, die solche radikalen, menschenfeindlichen Positionen sehr offensiv und erfolgreich vertreten hat und damit für viel Tod und Leid in ganz Europa und der Welt mit verantwortlich ist, heute so unkritisch gefeiert wird. Das war für mich der Grund, warum ich mich überhaupt zum Luthertag geäußert habe. Als Atheist könnte ich auch sagen, das ist Angelegenheit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und ihrer Anhänger. Aber Religion, eben das Christentum, spielt hierzulande eine dermaßen starke Rolle – auch in der Verquickung mit dem Staat, was wir als Piraten und auch ich als Person sehr kritisieren. Das kann man unter anderem festmachen an dem Einzug der Kirchensteuer durch den Staat und daran, dass Kirchengehälter durch den Staat bezahlt werden.
Für Atheisten bringt das Lutherjahr immerhin einen Feiertag. Das stimmt Sie auch nicht milde?
Ich gönne allen einen zusätzlichen freien Tag, keine Frage. Aber ich finde es verkehrt, das mit der unkritischen Feier Luthers zu verbinden. Es gibt durchaus eine kritische Auseinandersetzung der EKD, die ich wahrgenommen habe. Die Beschlüsse, die dazu vor einem Jahr gefasst wurden, finde ich inhaltlich allerdings sehr seicht und über weite Strecken relativierend.
Inwiefern?
Wenn es da zum Beispiel heißt, wir müssen uns mit dem Antisemitismus von Luther kritisch auseinandersetzen, gleichzeitig ständig darauf hingewiesen wird, dass es um den „späten Luther“ geht, der frühe Luther sei ganz anders gewesen und die evangelische Kirche sei davon bis heute belastet, klingt das im Unterton so, als stelle sich die Kirche als Opfer dar. Außerdem wird die Bezugnahme der Nationalsozialisten auf Luther relativiert, wenn gesagt wird, Luther sei von ihnen missbraucht worden. Ich empfinde diese Auseinandersetzung als relativierend und unaufrichtig.
Wie müsste für Sie denn eine angemessene Auseinandersetzung aussehen?
Eigentlich ist das nicht meine Aufgabe, sondern die der Protestanten selbst. Ich finde aber, dass dazu nicht nur der Antisemitismus gehört. Es geht ja viel mehr um die Geschichte der Kirche und das Beleuchten dieser Person und sein Verhältnis zu Andersgläubigen, nicht nur zu Juden. Es geht um sein Verhältnis zu den Bauernaufständen, seine, auch zur damaligen Zeit, menschenverachtende Sicht auf Frauen, seine Position zur Verfolgung vermeintlicher Hexen und Ketzer. Ich habe das Gefühl, dass die EKD nicht das Gesamtpaket angeht – und auch nicht genügend ihre Rolle im Nationalsozialismus, die ja eng mit Luther verknüpft ist.
Haben Sie es als Pirat inzwischen nötig, mit so steilen Thesen wie diesem IS-Vergleich Aufmerksamkeit zu erregen?
Mit dem Wirbel und dass daraufhin sogar die taz anruft, konnte ich nicht rechnen. Ich habe mich dazu auf meinem privaten Account und nicht auf der Seite der Piraten geäußert. Das ist also eine private Äußerung in einer Diskussion. Aber um das noch mal klar zu stellen: Ich vergleiche selbstverständlich nicht die EKD mit dem IS, das wäre tatsächlich absurd. Bei anderen protestantischen Gruppen, wie fundamentalistischen Evangelikalen, die sich ebenfalls auf Luther beziehen, läge das schon sehr viel näher.
Was sagen Sie dann?
Dass Luther nach heutigen Maßstäben als Hassprediger gelten müsste und ich es schwierig finde, um diese historische Figur heute einen unkritischen Personenkult zu betreiben, ihn als „genialen Theologen“ und angeblichen „Vorläufer der Aufklärung“ zu feiern und gleichzeitig den IS glaubhaft zu verurteilen.
Sie sind der bekannteste von überschaubaren vier Piraten, die in der Hamburger Bezirkspolitik vertreten sind.
Ich stehe mit meinem Gesicht für die Piraten und das nun schon seit 2009. Klar, von daher werden meine Äußerungen auch den Piraten zugeschrieben, da muss ich schon ein bisschen aufpassen. Diese Äußerung war durchaus zugespitzt und provokativ gemeint und wurde auch von einigen Parteikollegen kritisiert.
Sie sind ein Polarisierer. Regen Sie sich richtig auf oder haben Sie eher einen guten Riecher für Themen?
Das ist unterschiedlich. Es war halt Luthertag, es gab viele Posts und Medienberichte dazu. Deshalb habe ich eher beiläufig einen älteren Artikel aus der Welt verlinkt und kommentiert. Es geht mir um die Selbstherrlichkeit des Glaubens und das Absolute, was ich als persönlichen Angriff empfinde. Dabei sehe ich mich nicht als Religionsfeind, eher als Kritiker. Ich möchte Religion nicht abschaffen und den Leuten nicht vorgeben, was sie zu denken oder zu glauben haben. Ich bin Verfechter der Religionsfreiheit, aber auch das Nichtglauben ist ein Teil dieser Freiheit.
Aber ist der Vergleich zwischen Luther und dem IS nicht gerade vor dem Hintergrund der Religionsfreiheit bizarr? Oder sind Sie der Meinung, dass man dem IS mit Toleranz begegnen sollte?
Naja, grundsätzlich bin ich für eine Toleranz gegenüber dem Islam, gegenüber allen Glaubensrichtungen. Aber das Morden, Krieg und Terror haben ja nichts mehr mit dem Glauben zu tun. Das ist kein Bestandteil der Religionsfreiheit, wie ich sie befürworte, aber eben Bestandteil der Geschichte aller, mindestens aller abrahamitischen Religionen. Bei Luther ist es ja so, dass er vor 500 Jahren wirkte, wir feiern ihn aber heute. Da entsteht ein Widerspruch, wenn man die Person unkritisch feiert. Vielleicht muss man sogar aufpassen, dass man damit nicht auch noch die IS-Propaganda bestätigt, wonach die westliche Gesellschaft pauschal als Kreuzzügler bezeichnet wird. Aus der Innensicht sehen sich solche Gruppen ja in einer Verteidigungshaltung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt